Ein Markenzeichen für den deutschen Film

Von Siegfried Forster |
Auch mehr als 20 Jahre nach seinem Tod hat Rainer Werner Fassbinder in Frankreich noch zahlreiche Fans. Für viele Franzosen verkörpert er die Wiedergeburt des deutschen Films. Das Pariser Centre Pompidou widmet sich nun in einer Retrospektive dem deutschen Regisseur und zeigt erstmals sein gesamtes Werk. Die Filmschau wird von einer Ausstellung begleitet, die unter anderem Fassbinders Drehbuchentwürfe und Fotos dokumentiert.
An der Fassade des Centre Pompidou prangt symbolträchtig ein riesiges Porträt von Rainer Werner Fassbinder. Erst einem Filmemacher vor Fassbinder wurde diese Ehre zuteil: Alfred Hitchcock. Mit diesem Fassbinder-Reigen aus Film-Retrospektive, Ausstellung, DVD-Koffer und Kolloquium will Frankreich Fassbinder einen neuen Stellenwert in der Kinogeschichte verleihen, so François Nemer, der sich bei der Ausstellung deshalb allein auf das filmische Werk von Fassbinder konzentiert hat:

"In Frankreich ist paradoxerweise der Name Fassbinder unglaublich bekannt, aber sein Werk erheblich weniger. "

"Heute wird der Name Fassbinder automatisch mit der Wiedergeburt des deutschen Kinos verbunden. Aber man etikettiert ihn auch als fundamental deutschen Filmemacher, als ob man ihn darin einsperren und ihn nicht auf die gleiche Stufe stellen wollte wie die anderen französischen, amerikanischen oder europäischen Filmemacher. Das muss meines Erachtens aufgearbeitet werden. Ihn als einen erheblich universelleren Filmemacher zu begreifen, als das heute erscheint."

In vielen seiner Filme wird Fassbinders Bewunderung für das französische Kino sichtbar. Seine ersten Streifen hatte er Rohmer gewidmet, auch Chabrol interessierte ihn - allerdings mit etwas mehr Distanz und Kritik. Eine berühmte Tanzszene aus Godards "Bande à Part" findet sich bei einem Duo zwischen Hannah Schygula und Fassbinder in "Rio das Mortes" wieder. Nach Frankreich auszuwandern, daran hat Fassbinder nie gedacht, aber Paris war für ihn oftmals eine Quelle der Erholung, er hatte hier ein Haus gemietet, erzählt Juliane Lorenz, die mit ihm die letzten Jahre zusammen lebte und arbeitete und heute die Fassbinder-Foundation leitet:

"Sein großes Idol war - wie wir alle wissen - Jean-Luc Godard. Der hat ihn sehr fasziniert, das war für ihn die Quelle der Zeit, die er nicht kopieren wollte, aber die ihn inspiriert hat, in seiner Art Filme zu machen. Und er liebte Anna Karina, sein Star, er hat einmal mit ihr gearbeitet, im "Chinesischen Roulette". Auch die Mascha Meril hat da mitgespielt. Es war so, dass er schon seine Quellen aus der Tradition des Kinos natürlich gesucht hat. Und da es in Deutschland ja keinen mehr gab, aus den Zeiten, die man als das große Kino betrachten konnte, die große Kunstzeit im deutschen Kino, da hat er gesehen, was man sehen konnte und da waren sehr viele französische Filme dabei."

Der Fassbinder-Mythos in Frankreich basiert auf einigen wenigen Filmen: "Lili Marleen", "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" oder "Angst essen Seele auf". Mit anderen Worten: die Franzosen verehren ihn, obwohl sie die allermeisten seiner 40 Filme überhaupt nicht kennen. Die Retrospektive und die DVDs sollen diese Lücke nun endlich schließen. Die Zeit ist reif für ein neues Fassbinder-Fieber in Frankreich, berichtet Vincent-Paul Pomcour vom verantwortlichen Filmproduzenten Carlotta-Films:

" ... Wir haben dafür ein breites Publikum, aber vor allem junge Kinobegeisterte, die von Fassbinder gehört haben, aber nicht unbedingt seine Filme gesehen haben, vielleicht einen oder zwei, aber die Fassbinder neu wieder entdecken wollen und über den Mythos Fassbinder hinausgehen wollen. Jeder weiß, dass es ein bedeutender Filmemacher ist, engagiert, ein großer Regisseur, aber jetzt wollen sie ihn konkret sehen und das geht nur über die Kinosäle, DVDs und andere Medien. Das ist eine neue Generation Kinobegeisterter, die heute 20 oder 30 Jahre alt sind und die Fassbinder eher entdecken, als wieder entdecken. "

Fassbinder, in Frankreich ein Markenzeichen für deutsches Kino, scheint dabei auch die Türen für die neue Generation zu öffnen. Jedenfalls sind in diesem Jahr bereits acht neue deutsche Filme in Frankreich angelaufen, soviel wie noch nie. Juliane Lorenz, Präsidentin der Fassbinder Foundation, ist selbst überrascht, welche Begeisterung Fassbinder in Frankreich derzeit auslöst. Bei französischen Filmemachern hat Fassbinder bislang wenig Spuren hinterlassen. François Ozon ist da eine Ausnahme, erzählt Juliane Lorenz:

" Auch seine "Huit femmes", "Acht Frauen", sind sehr stark von Fassbinder geprägt, indem er eigentlich - das hat er immer gesagt - in Deutschland fragen die ihn immer ganz andere Sachen: "Haben sie nicht Hollywood und so...", dann hat er gesagt: "Nein, ich hatte eigentlich 'Petra von Kant' im Kopf als so genannte Referenz." "

Anders als in Deutschland ist Fassbinder in Frankreich nie in Vergessenheit geraten und sein Name blieb stets lebendig. Auch dank seiner Fetisch-Schauspielerinnen Hanna Schygulla und Ingrid Caven, die mit ihrer Karriere als Chanson-Sängerinnen den Fassbinder-Kult in der aktuellen Kulturszene auf kreative Weise wach hielten.