Ein Mann, drei Leben

Von Bettina Ritter |
Fredun Kianpour hat mit 36 Jahren bereits drei Leben geführt. Zuerst hat er als Konzertpianist gearbeitet, wurde dann Unternehmensberater - und gründete nun kürzlich einen kleinen Buchverlag. Dort ist Anfang des Jahres auch sein Debut-Roman "Nachleben" erschienen.
"Ich glaube auch, wenn man mal die Angst verliert, ins kalte Wasser zu springen und was völlig anderes auszuprobieren, dass es häufig viel weniger schwerfällt, als man sich das vorher vorstellt. Sehr, sehr viele Barrieren sind im eigenen Kopf."

Die Barrieren in seinem eigenen Kopf, die hat Fredun Kianpour bereits mehrmals eingerissen. Konzertpianist, Unternehmensberater und jetzt Autor und Verleger. Alle sieben Jahre ein beruflicher Wechsel, und immer eine intuitive Entscheidung. Seine letzte Arbeitsstelle als Unternehmensberater kündigte er. Ohne einen neuen Job zu haben, erzählt der Ein-Meter-Neunzig-Mann im schwarzen Anzug.

"Es gab keinen konkreten Auslöser. Ich hatte nur ein tiefes Bauchgefühl, jetzt ist es wieder Zeit für was anderes. Ich vertrete grundsätzlich die Auffassung, dass man sehr vielseitig bleiben sollte im Leben und sehr flexibel. Ich finde es schade, dass in unserer Gesellschaft Vielseitigkeit häufig zugunsten von Spezialisierung vernachlässigt wird."

Der 36-Jährige sitzt in einem Berliner Café und nippt an seiner Tasse. Dunkle Schatten liegen unter seinen braunen Augen. Zurzeit bekomme er zu wenig Schlaf, sagt Kianpour und lächelt müde. Seit ein paar Wochen fährt er mit dem Zug kreuz und quer durch Deutschland, liest in Buchhandlungen und Cafés aus seinem Debut-Roman "Nachleben". Der handelt von dem jungen Pianisten Arthur, der in den 30er-Jahren ermordet wird und 50 Jahre später im musikstudentischen Hannover der 90er-Jahre wieder aufersteht. Die Idee zu seinem Roman kam Kianpour, als er selbst in Hannover Musik studierte.

"Natürlich beschäftigte man sich im Klavier-Studium viel mit Toten. Mit irgendwelchen Komponisten, die seit 100 Jahren tot sind, mit Pianisten, die in den 30er-Jahren Stücke aufgenommen haben, die man heute auch interpretiert und die man heute natürlich völlig anders interpretiert. Und da stellt sich halt von selbst die Frage, was würde zum Beispiel Alfred Corteau sagen, wenn er uns heute Chopin spielen hören könnte, geschweige denn, was würde Chopin sagen, wenn er uns Chopin spielen hörte."

Sein Roman ist nachts entstanden. Immer, wenn er zwischen zehn und zwölf Uhr abends von seinem Job als Unternehmensberater nach Hause kam, hat er sich an den Schreibtisch gesetzt und geschrieben. Fünf Jahre lang. Kianpour leidet unter Schlaflosigkeit. Als er dann keinen Verlag für sein Buch fand, gründete er im Dezember 2008 selbst einen. Zusammen mit seiner Ehefrau Tatjana Ruge, die damals an ihrer Dissertation in Philosophie schrieb. Sie gab dem Verlag ihren Namen. Der "Ruge Verlag" hat seinen Sitz in Frankfurt am Main, wo beide auch leben. Ihre Spezialisierung: Russische Autoren.

"Tatjana ist in der Sowjetunion aufgewachsen, in Kasachstan, und sie liest die Manuskripte von russischsprachigen Autoren, weil wir festgestellt hatten, dass es da junge Autoren gibt, die sehr interessante Sachen schreiben, und die selbst in Russland noch nicht sehr bekannt sind und hier völlig unbekannt und wo 'ne Chance besteht, dass man sozusagen den Diamant findet, wenn er noch Kohle ist."

In den Verlag haben beide ausschließlich eigenes Geld gesteckt. Nur das garantiere große Entscheidungsfreiheit, weiß Kianpour nach Jahren als Unternehmensberater. Seine Erfahrungen aus der Wirtschaft kommen ihm jetzt zugute. Generalstabsmäßig vermarktet er seinen Debut-Roman: Neben der großen Lesetour hat er auch eine CD mit Musik zum Buch herausgebracht. Und das ist erst der Anfang. Der Halb-Perser und Sohn zweier Ärzte sprudelt nur so vor kreativen Ideen:

"Ich hab hundert Projekte im Kopf, auch in anderen künstlerischen Bereichen. Ich hab früher sehr viel Gesprächskonzerte gemacht, ich hab zu den Stücken, die ich gespielt habe, dem Publikum ein bisschen erzählt über die Entstehungsgeschichte oder die Interpretation, und das ist sehr, sehr gut angekommen. Und ich hab mit Freunden die Idee im Moment, dass wir das einem Fernsehsender anbieten."

Für sein Hobby Thaiboxen hat er bei so vielen Projekten schon lange keine Zeit mehr. Aber Klavier üben jeden Tag - das lässt er sich nicht nehmen. Und auch wenn sein wechselhaftes berufliches Leben oftmals Stress bedeutet, will er seine vielfältigen Erfahrungen nicht missen. Sie haben ihm vor allem eines gebracht:

"Horizonterweiterung. Ich weiß noch, als ich Pianist war, hatte ich unausgesprochen und unreflektiert das Gefühl, na ja, irgendwie ist ja die Kunst das einzig Wichtige. Und dann komme ich in eine Welt als Unternehmensberater, in der das unausgesprochene Selbstverständnis ist, eigentlich ist die Wirtschaft das, was hier alles am Laufen hält. Man lernt dann sehr stark, von seinen eigenen Erfahrungen zu abstrahieren, wenn man diesen Prozess einmal durchlaufen hat, dann weiß man danach, was man alles nicht weiß. Es wird einem klarer, von wie vielen Dingen man eigentlich keine Ahnung hat. Das war für mich eine sehr interessante Erkenntnis."

Service:

Die große Lesetour von Fredun Kianpour führt ihn bis zum 27. September 2009 quer durch Deutschland. Er liest aus seinem Musiker-Roman "Nachleben". Alle Termine kann man auf der Internetseite des Ruge-Verlags einsehen.