Ein Mann, der das internationale Renommee erhöhen soll

Von Michael Watzke · 19.01.2011
Das Münchner Haus der Kunst, 1937 von den Nationalsozialisten eingeweiht, ist für Okwui Enwezor ein außergewöhnlicher Ort.
"A place haunted by history, but not constrained by its past."

Ein Ort, der vom Spuk seiner dunklen Geschichte lange verfolgt wurde. Der sich aber aus den einzwängenden Fesseln seiner Vergangenheit gelöst hat. Das, sagt Okwui Enwezor, sei vor allem das Verdienst des scheidenden Direktors Chris Dercon:

" ... who has enabled this institution to emerge as a critical place, where the different geographies of contemporary art constantly merge und create new visions and engaging ideas."

"Durch Chris Dercon", sagt sein Nachfolger, sei "das Haus der Kunst ein bedeutsamer Ort geworden, an dem sich die verschiedenen Geografien zeitgenössischer Kunst immer wieder kreuzen und neue, bezaubernde Ideen entwickeln."

Chris Dercon, der nach London wechselt, hat Okwui Enwezor gestern Abend angerufen und ihm gratuliert. Er sei glücklich mit der Entscheidung, dass sein langjähriger Freund und respektierter Kollege das Haus der Kunst übernehme. Mit Dercon, sagt Enwezor, habe er einen jahrelangen, freundschaftlichen Boxkampf ausgetragen:

"We had an ongoing boxing match. So that's why for me it is even more significant that I am succeeding him in this house."

Okwui Enwezors Wahl ist wegweisend für München. Ein Entschluss gegen Provinzialität und für Internationalität. Angelika Nollert ist Direktorin des "Neuen Museums für Kunst und Design" in Nürnberg. Ihr steht die Begeisterung für Enwezor förmlich ins Gesicht geschrieben:

"Ich halte diese Entscheidung für wirklich großartig für München. Es ist eine ganz zeitgenössische und zeitgemäße Entscheidung, so eine Person hierher zu holen. Und ich sag jetzt mal, dass das nicht nur für München gut ist, sondern auch für Deutschland und darüber hinaus. Ich erwarte mir – wie Chris Dercon eigentlich schon damit begonnen hat – weiter eine absolute Internationalisierung und dann eine Rückbindung zum Ort. Das ist es, was, wie ich glaube, Okwui sehr gut ausformulieren kann."

Angelika Nollert hat vier Jahre lang mit Enwezor zusammengearbeitet, bei der Documenta in Kassel 1998 bis 2002. Der Nigerianer war damals der erste nichteuropäische Leiter und hatte den Horizont der deutschen Weltkunstschau enorm erweitert – mit mutiger und politisch engagierter Kunst:

"Er ist jemand, der äußerst genau arbeitet, der - das kam heute zur Sprache - wissenschaftlich herangeht, der dennoch nicht theoretisiert in seinen Ausstellungen, das aber als Grundlage, als Fundament nimmt, der immer sehr viel Wert legt auf Diskurse, auf Vermittlung, der auch Vernetzung anstrebt."

Der Wahl-New-Yorker Okwui Enwezor hat in der internationalen Kunstszene einen bedeutenden Ruf. Die Zeitschrift "Art Review" führt ihn auf Platz 42 der 100 mächtigsten Personen in der Kunstwelt. Okwui war Kurator zahlreicher Ausstellungen von Südafrika bis Südkorea. Bayern ist für ihn kein neues Pflaster.

"Munich is not a place that is unfamiliar with me. It is in fact an important part of my intellectual DNA. After all, it was the Villa Stuck that in 1998 gave me the opportunity and invited me, without knowing what this exhibition would look like, to organize the 'Independence and Liberation Movement in Africa' show."

"München ist Teil meiner intellektuellen DNA", sagt Enwezor. Es sei schließlich "das Museum Villa Stuck gewesen, das 1998 die mutige Entscheidung traf, dem damals noch eher unbekannten Künstler Enwezor anzutragen, eine Ausstellung über zeitgenössische afrikanische Kunst der Befreiungs- und Unabhängigkeitsbewegung zu kuratieren. Ohne zu wissen, wie diese Ausstellung aussehen würde."

Auch Michael Thoss erwähnt diese gelungene Ausstellung. Der Geschäftsführer der Allianz Kulturstiftung ist erleichtert, dass die acht Monate lange Suche nach dem Dercon-Nachfolger am Haus der Kunst nun vorbei ist:

"Ich denke, die Erleichterung erklärt sich auch damit, dass man jetzt keine regionale Lösung gesucht hat. Ich denke, es ist auch die einzige Chance für München, wo – das muss man sagen – die Künstlerszene im Begriff ist, sich zu regionalisieren. Dass also die großen Häuser dann wirklich auf eine internationale Lösung setzen. Der begonnene Dialog mit den großen Kunstmessen, dass München auch im Fahrplan zwischen der Biennale Venedig und der Art Basel auftaucht, das ist ganz wichtig – und das wird Okwui fortsetzen."

Kaum jemand in der Münchner Kunstszene widerspricht, dass Okwui Enwezor das internationale Renommee Münchens erhöht. Das ist auch Hauptziel des bayerischen Kunstministers Wolfgang Heubisch bei der Entscheidung gewesen:

"Wer internationalen Maßstäben nicht standhält, wird in München nicht berufen. Und das gilt auch für die Berufung hier im Haus der Kunst."

Okwui Enwezors Pläne, seine Ideenentwürfe für das Haus der Kunst – noch gibt er sie nicht bekannt. Schließlich beginnt er erst im Oktober. Bis dahin will er die deutsche Sprache lernen – und die Musik Wagners kennenlernen. Man habe ihm versprochen:

" ... to take me to Bayreuth. So maybe I will begin to get an experience of the music and the dimensions [of this composer]."

Bayreuth ist – wie das Haus der Kunst – ein Ort, der vom Spuk seiner dunklen Geschichte lange verfolgt wurde. Und der sich ebenfalls aus den einzwängenden Fesseln seiner Vergangenheit lösen musste und bis heute muss. Chris Dercons Haus der Kunst in München ist ein leuchtendes Beispiel dafür, wie dieser Prozess gelingen kann. Okwui Enwezor wird das auf spannende Weise fortsetzen. Er ist nicht trotz der dunklen Geschichte seines Hauses der Kunst gekommen, sondern wegen. An dem Ort, an dem die Nazis vor 70 Jahren angeblich "entartete Kunst" ausstellten, wird bald ein Kosmopolit seine Vision weltumspannender Gegenwartskunst präsentieren.
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