Ein Luther-Roman
"Das ewige Haus" ist ein Roman über Luther. Thorsten Becker versucht darin, dieser Figur der deutschen Geschichte nahe zu kommen. Dabei zeigt sich, dass der Autor ein Meister der Reanimation historischer Personen ist.
Am 31. Oktober 1943, dem Reformationstag, beginnt der Ich-Erzähler in Thorsten Beckers Roman mit seiner Niederschrift über den Schriftsteller Gisbert Gutsche. Der einstige Theologiestudent hatte sich im Dezember 1942 zusammen mit seiner Frau Eva, die Jüdin war, das Leben genommen.
Mit Hilfe des Nachlasses, indem sich Gutsches unvollendeter Martin-Luther-Roman "Das ewige Haus" und ein Tagebuch befinden, will er versuchen, sich "in seine Person und Persönlichkeit hinein zu gaukeln und zu schaukeln". Das Datum dafür scheint ihm angemessen. Schließlich soll der Reformator Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen haben, weshalb dieser Tag auch als Geburtstunde der Reformation gilt.
Die Handlung verläuft auf zwei zeitlichen Ebenen. Von 1943 bis zum Kriegsende 1945 erfolgt die Sichtung, Redigierung und Ergänzung von Gutsches Manuskript durch den Erzähler. Zurückversetzt in das 16. Jahrhundert, wird der Leser mit dem Luther-Text konfrontiert, der die Zeit zwischen 1523 und 1525 wiedergibt. Die Erzählstränge sind über das Kernthema - Krieg und Vernichtung - eng miteinander verwoben.
Die Bauernkriege stehen neben dem Krieg der Roten Armee und dem Krieg der Alliierten gegen Hitler. Ausgehend von den Konfessionskriegen zwischen Protestanten und Katholiken im 16. Jahrhundert greift Becker die bekannte These auf, dass Religionen zu allen Zeiten auch als Mittel der Anstiftung zum Krieg genutzt wurden. Luthers Bibelübersetzung und sein Zerwürfnis mit Thomas Müntzer während des Bauernkrieges erscheinen somit auch als aktuelles Zeitfenster.
Über Thorsten Beckers Roman könnte das Motto stehen: "Die Tinte ist ein ganz besonderer Saft." Mit diesem Satz eröffnet der Erzähler die Handlung, und er kehrt auf der letzten Seite als Gedanke Luthers wieder. Während der eine mit dem roten Saft Gutsches Manuskripte zu einem "lesbaren und propagandistisch effektstarken Ganzen" machen soll, wobei Luthers Judenfrage im Zentrum steht, sieht der Reformator in der Tinte, die eingefüllt in Thomas Müntzers Totenschädel auf seinem Schreibtisch steht, das Blut der Bauern, die im Freiheitskampf ums Leben kamen.
Aber Papier ist bekanntlich auch geduldig. Und nicht nur das der Bibel. In einer Vielzahl von Schriften ist die deutsche Geschichte archiviert, interpretiert und rehabilitiert worden. Becker aber will hinter die blutleeren Fakten und Konstrukte kommen. Er konzentriert sich auf Luthers Alltag in Wittenberg und das Hochzeitsfest mit Katharina von Bora. Parallel dazu wird die Ehe des Schriftstellers Gutsche im faschistischen Berlin rekonstruiert. Die Zeiten fließen ineinander und heraus treten Charaktere in Fleisch und Blut. Während Luther dem Zölibat abschwört und die einstige Nonne 1525 heiratet, versucht Gutsche seine jüdische Frau Eva und die Kinder 1942 vergebens vor den Faschisten zu retten.
Thorsten Becker ist ein Meister der Reanimation historischer Personen. Mit stilistischer Eleganz und listiger Rhetorik befreit er sie von der Patina widersprüchlicher Auslegungen, ohne sie in ihrem folgenreichen Handeln zu entlasten. Allerdings hat der Leser vielfach Mühe seinen ausschweifenden Exkursen in zahlreiche Seitenstränge der Geschichte zu folgen. Zumal diese oft nicht wieder aufgenommen werden und als Denkskizzen auf der Strecke bleiben. Vermutlich lauern in ihnen bereits neue Romanentwürfe.
Rezensiert von Carola Wiemers
Thorsten Becker: Das ewige Haus
Roman, Rowohlt Hamburg 2009, 509 Seiten, 24,90 Euro
Mit Hilfe des Nachlasses, indem sich Gutsches unvollendeter Martin-Luther-Roman "Das ewige Haus" und ein Tagebuch befinden, will er versuchen, sich "in seine Person und Persönlichkeit hinein zu gaukeln und zu schaukeln". Das Datum dafür scheint ihm angemessen. Schließlich soll der Reformator Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen haben, weshalb dieser Tag auch als Geburtstunde der Reformation gilt.
Die Handlung verläuft auf zwei zeitlichen Ebenen. Von 1943 bis zum Kriegsende 1945 erfolgt die Sichtung, Redigierung und Ergänzung von Gutsches Manuskript durch den Erzähler. Zurückversetzt in das 16. Jahrhundert, wird der Leser mit dem Luther-Text konfrontiert, der die Zeit zwischen 1523 und 1525 wiedergibt. Die Erzählstränge sind über das Kernthema - Krieg und Vernichtung - eng miteinander verwoben.
Die Bauernkriege stehen neben dem Krieg der Roten Armee und dem Krieg der Alliierten gegen Hitler. Ausgehend von den Konfessionskriegen zwischen Protestanten und Katholiken im 16. Jahrhundert greift Becker die bekannte These auf, dass Religionen zu allen Zeiten auch als Mittel der Anstiftung zum Krieg genutzt wurden. Luthers Bibelübersetzung und sein Zerwürfnis mit Thomas Müntzer während des Bauernkrieges erscheinen somit auch als aktuelles Zeitfenster.
Über Thorsten Beckers Roman könnte das Motto stehen: "Die Tinte ist ein ganz besonderer Saft." Mit diesem Satz eröffnet der Erzähler die Handlung, und er kehrt auf der letzten Seite als Gedanke Luthers wieder. Während der eine mit dem roten Saft Gutsches Manuskripte zu einem "lesbaren und propagandistisch effektstarken Ganzen" machen soll, wobei Luthers Judenfrage im Zentrum steht, sieht der Reformator in der Tinte, die eingefüllt in Thomas Müntzers Totenschädel auf seinem Schreibtisch steht, das Blut der Bauern, die im Freiheitskampf ums Leben kamen.
Aber Papier ist bekanntlich auch geduldig. Und nicht nur das der Bibel. In einer Vielzahl von Schriften ist die deutsche Geschichte archiviert, interpretiert und rehabilitiert worden. Becker aber will hinter die blutleeren Fakten und Konstrukte kommen. Er konzentriert sich auf Luthers Alltag in Wittenberg und das Hochzeitsfest mit Katharina von Bora. Parallel dazu wird die Ehe des Schriftstellers Gutsche im faschistischen Berlin rekonstruiert. Die Zeiten fließen ineinander und heraus treten Charaktere in Fleisch und Blut. Während Luther dem Zölibat abschwört und die einstige Nonne 1525 heiratet, versucht Gutsche seine jüdische Frau Eva und die Kinder 1942 vergebens vor den Faschisten zu retten.
Thorsten Becker ist ein Meister der Reanimation historischer Personen. Mit stilistischer Eleganz und listiger Rhetorik befreit er sie von der Patina widersprüchlicher Auslegungen, ohne sie in ihrem folgenreichen Handeln zu entlasten. Allerdings hat der Leser vielfach Mühe seinen ausschweifenden Exkursen in zahlreiche Seitenstränge der Geschichte zu folgen. Zumal diese oft nicht wieder aufgenommen werden und als Denkskizzen auf der Strecke bleiben. Vermutlich lauern in ihnen bereits neue Romanentwürfe.
Rezensiert von Carola Wiemers
Thorsten Becker: Das ewige Haus
Roman, Rowohlt Hamburg 2009, 509 Seiten, 24,90 Euro