Ein leiser Schrei
John Boynes "Der Junge im gestreiften Pyjama" kommt leise daher, flüsternd fast, wie jemand, der sich nicht traut, über ein schreckliches Geheimnis laut zu sprechen. Die Geschichte spielt im Jahr 1942 und erzählt von dem neunjährigen Bruno, der zusammen mit seiner Familie aus seinem geliebten Zuhause in Berlin herausgerissen wird. Er muss nach Auschwitz, doch nicht ins Lager, sondern ins hässliche Kommandantenhaus. Denn sein Vater ist der Lagerleiter.
Doch der kleine, scheue Junge durchschaut das alles nicht. Er ist einsam und unglücklich, bis er Schmuel kennenlernt, einen Jungen, der auf der anderen Seite des hohen Zauns lebt. Wie alle Menschen drüben trägt Schmuel einen gestreiften Pyjama, und obwohl er Bruno mit dem Schlimmsten verschont, begreift dieser langsam, was es mit dem Zaun und dem Lager auf sich hat. Eines Tages versucht Bruno, sich Gewissheit zu verschaffen und gerät selbst in die Fänge des schrecklichen Geschehens.
In der Flut von Jugendbüchern über die Nazi-Zeit erscheint John Boynes Buch wie ein einsamer Felsen. Nicht nur, weil es auf der Täter-Seite spielt – wobei auch Bruno ein Opfer des Regimes ist -, sondern vor allem durch seine provozierende Perspektive.
Durch Brunos ahnungslose Kinderaugen sehen wir die Welt des KZs von außen wie eine geheimnisvolle Burg, deren grauenhaftes Inneres nicht geschildert sondern verschwiegen wird. Brunos Naivität verschlägt dem Leser die Sprache und entlarvt zugleich die Absurdität der Lagerwelt.
"Eine Fabel" lautet der Untertitel von John Boynes Buch, wobei es sich eher um eine Parabel handelt. Viele Passagen erinnern an Roberto Benignis tragikomischen Film "Das Leben ist schön", in dem ein Vater seinem Sohn das Leben im KZ als großes Spiel erklärt. Unter der scheinbar harmlosen Oberfläche brodelt das Böse, das der Leser – anders als Bruno – meist schon kennt. Aus dieser Diskrepanz zwischen Unschuld und Wissen erwächst die konzentrierte Dramatik der Geschichte.
Aus Brunos Sicht, scheinbar einfach und sachlich erzählt, entpuppt sich "Der Junge im gestreiften Pyjama" jedoch schnell als subtil komponierter und symbolhaltiger Roman. Leise, manchmal fast märchenhaft im Ton, strukturiert er das Geschehen durch Wiederholungen, verzögert es durch Rückblenden oder lädt es durch bewusste Auslassungen mit Spannung auf. Statt Hitler, KZ und Gaskammer kennt Bruno nur die tief komischen Bezeichnungen "Auswisch" für Auschwitz oder "der Furor" für den Führer. Das sagt alles.
Wahrscheinlich werden jugendliche Leser nicht alle Finessen dieser genial einfachen Geschichte realisieren. Doch das ist nicht schlimm, bietet das Buch doch jedem Leser genau das, was er verarbeiten kann: eine rührende Freundschaftsgeschichte, eine symbolhaltige Parabel über Täter und Opfer, ein beklemmendes Bild des Bösen oder aber eine subtile Analyse der Mechanismen von Gehorsam und Gewalt. Dass ein solches Buch kein Happy end verträgt, ist selbstverständlich. Der Leser aber ist nach der verstörenden Lektüre trotzdem glücklich.
Rezensiert von Sylvia Schwab
John Boyne: Der Junge im gestreiften Pyjama
Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007, 272 Seiten, 13,90 Euro
In der Flut von Jugendbüchern über die Nazi-Zeit erscheint John Boynes Buch wie ein einsamer Felsen. Nicht nur, weil es auf der Täter-Seite spielt – wobei auch Bruno ein Opfer des Regimes ist -, sondern vor allem durch seine provozierende Perspektive.
Durch Brunos ahnungslose Kinderaugen sehen wir die Welt des KZs von außen wie eine geheimnisvolle Burg, deren grauenhaftes Inneres nicht geschildert sondern verschwiegen wird. Brunos Naivität verschlägt dem Leser die Sprache und entlarvt zugleich die Absurdität der Lagerwelt.
"Eine Fabel" lautet der Untertitel von John Boynes Buch, wobei es sich eher um eine Parabel handelt. Viele Passagen erinnern an Roberto Benignis tragikomischen Film "Das Leben ist schön", in dem ein Vater seinem Sohn das Leben im KZ als großes Spiel erklärt. Unter der scheinbar harmlosen Oberfläche brodelt das Böse, das der Leser – anders als Bruno – meist schon kennt. Aus dieser Diskrepanz zwischen Unschuld und Wissen erwächst die konzentrierte Dramatik der Geschichte.
Aus Brunos Sicht, scheinbar einfach und sachlich erzählt, entpuppt sich "Der Junge im gestreiften Pyjama" jedoch schnell als subtil komponierter und symbolhaltiger Roman. Leise, manchmal fast märchenhaft im Ton, strukturiert er das Geschehen durch Wiederholungen, verzögert es durch Rückblenden oder lädt es durch bewusste Auslassungen mit Spannung auf. Statt Hitler, KZ und Gaskammer kennt Bruno nur die tief komischen Bezeichnungen "Auswisch" für Auschwitz oder "der Furor" für den Führer. Das sagt alles.
Wahrscheinlich werden jugendliche Leser nicht alle Finessen dieser genial einfachen Geschichte realisieren. Doch das ist nicht schlimm, bietet das Buch doch jedem Leser genau das, was er verarbeiten kann: eine rührende Freundschaftsgeschichte, eine symbolhaltige Parabel über Täter und Opfer, ein beklemmendes Bild des Bösen oder aber eine subtile Analyse der Mechanismen von Gehorsam und Gewalt. Dass ein solches Buch kein Happy end verträgt, ist selbstverständlich. Der Leser aber ist nach der verstörenden Lektüre trotzdem glücklich.
Rezensiert von Sylvia Schwab
John Boyne: Der Junge im gestreiften Pyjama
Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007, 272 Seiten, 13,90 Euro