Ein Leben wie ein Roman

Rezensiert von Wolfgang Schneider |
Mit Recht versteht Denis Demonpion die Bezeichnung „unautorisiert“ für sein Buch als Gütesiegel, zeigt es Houellebecq doch ganz anders als gewohnt. Demonpions Biographie macht deutlich, wie Houellebecq seine schriftstellerische Identität konstruierte und sich zur „Kunstfigur“ machte. Eine gut geschriebene Biografie ist es trotzdem nicht.
Wie soll man die Biografie eines lebenden Autors schreiben? Die erzählerischen Bögen, mit denen sich eine vergangene Epoche und eine untergegangene gesellschaftliche Welt ins Bewusstsein heben lassen, das analytisch-literaturwissenschaftliche Handwerkszeug, mit dem die Werke dargestellt, und die Akribie, mit der Berge von Sekundärliteratur gesichtet werden – all diese biografischen Talente zählen wenig, wenn es die Lebensgeschichte eines Autors zu schreiben gilt, dessen unerhörte Karriere erst vor knapp zehn Jahren in Gang kam.

So ist es denn auch kaum als Defizit zu verbuchen, dass Demonpion kein begnadeter biografischer Erzähler, sondern ein hartnäckiger Rechercheur ist. Da Michel Houellebecq zur Zusammenarbeit nur unter der Bedingung bereit gewesen wäre, dass er selber die genaue Kontrolle über das Projekt behält, hat Demonpion über hundert Personen aus Houellebecqs Umkreis – von den Eltern über Schulfreunde und Bürokollegen bis hin zu den Literaturbetriebsmenschen – über den Kultstar der französischen Literatur befragt.

Und fast alle haben Auskunft gegeben. Demonpion wendet also eine von Houellebecqs Waffen, die Indiskretion, auf den Autor zurück. Denn natürlich hat Houellebecq die Gesprächsbereitschaft seiner früheren Bekannten und Freunde nicht gefallen. „Verraten“ hat er sich gefühlt – der Autor, zu dessen Methode es gehört, real existierende Menschen literarisch zu verunglimpfen, ist in eigener Sache äußerst zart besaitet.

Mit Recht versteht Demonpion die Bezeichnung „unautorisiert“ für sein Buch als Gütesiegel. Nichts langweiliger als die hagiografischen Darstellungen lebender Künstler, die im besten Einvernehmen mit diesen geschrieben wurden. Ausführlich zu Wort kommen die Mutter, die Demonpion auf der Insel Reunion in ihrem esoterischen Refugium besucht hat, und der seit langem getrennt von ihr lebende Vater. Houellebecq hat seine Eltern heftig angeklagt – vernachlässigt hätten sie ihn zugunsten ihrer eigenen Selbstverwirklichungstrips, ein Gefühlskrüppel sei er deshalb geworden.

Er hat seinen Eltern literarische Denkmäler errichtet, angesichts derer die beiden bis heute spürbar um Fassung ringen. Die Mutter hat er in „Elementarteilchen“ als egoistische „Hippieschlampe“ verewigt, den Vater gleich auf den ersten Seiten von „Plattform“ ermorden lassen. Nun wehren sie sich gegen die Vorwürfe. Gewiss waren sie egoistisch, aber es gebe jemanden, der noch viel egozentrischer und skrupelloser sei: Houellebecq selbst. So bestätigen sie die Eindrücke, die viele Menschen von dem künftigen Autor empfangen haben: Bei aller äußerlichen Unauffälligkeit bemerkten sie einen starken Zug ins Depressive, Ungesellige, Asoziale. Dem Verfechter einer an Schopenhauer orientierten Mitleidsethik wird von der gekränkten Mutter das „Fehlen jeden moralischen Bewusstseins“ attestiert.

Auch wenn sich Demonpion bemüht, die schriftstellerische Leistung Houellebecqs herauszustellen, hält er ihm charakterliche Defizite vor. Sehr moralisierend geht er auch mit dem Umstand um, dass Houellebecq sich zwei Jahre jünger macht, als er ist, und seinen Namen gewechselt hat. Eigentlich heißt er Michel Thomas; Houellebecq ist der Name seiner Großmutter. Hat der Autor also etwas zu verschweigen, hat er seine Biografie gefälscht? Demonpion tut beim Lüften des „Geheimnisses“ aufgeregter, als es der Sache angemessen wäre. So spektakulär ist es nicht, wenn sich jemand für einen zugkräftigeren Künstlernamen entscheidet.

Trotzdem ist Demonpions Perspektive fruchtbar. Zeigt sie Houellebecq doch ganz anders als gewohnt. Das größte Kapital dieses Schriftstellers ist ja seine Authentizität als Schmerzensmann. Vielleicht niemand seit Rousseau hat sich mit solcher existentiellen Dringlichkeit und Leidensemphase selbst dargestellt wie er, niemand mit solchem Wahrheitspathos in die Literatur geworfen. Wenn er, wie ein verprügelter Hund wirkend, stammelnde Fernsehinterviews gibt – dann scheint er porentief echt. Aber, so Demonpion, „Michel Houellebecq konstruiert sein Leben wie seine Romane: sorgfältig, fleißig und methodisch.“ Der Autor, der sogar öffentlichkeitswirksam zu weinen versteht, verfüge in Wahrheit über „außerordentliche Selbstbeherrschung“ und Kalkül. Er weiß, mit welchen Themen und Posen er am besten Aufmerksamkeit gewinnen kann; er hat es verstanden, sich wie ein Markenprodukt zu etablieren.

Wie Houellebecq im Lauf der Jahre seine schriftstellerische Identität konstruierte und sich zur „Kunstfigur“ machte, wie er ein erstaunliches Netzwerk von Förderern aufbaute – das kann man diesem Buch entnehmen. Es wartet mit zahlreichen und für deutsche Leser nicht immer interessanten Details des französischen Literaturbetriebs auf und reiht in manchmal ermüdender Ausführlichkeit Zeugenaussage an Zeugenaussage. Über weite Strecken ist der Stil (oder die Übersetzung) dürr und trocken, dann wieder liest man angekitschte Sätze wie den folgenden: „Nur wenige Kommilitonen erahnen seine Künstlerseele.“ Eine gut geschriebene Biografie ist dies nicht, aber eine Fundgrube der Houellebecq-Information, die ein Fundus zukünftiger Forscher und Biografen sein wird.


Denis Demonpion: Michel Houellebecq. Die unautorisierte Biografie
Übersetzt von Barbara Grabski.
Verlag Schwarzkopf und Schwarzkopf, Berlin 2006, 320 Seiten