Ein Leben ohne Stillstand
Lonya Plotkin hat ein bewegtes Leben: Von Moskau ist er nach New York gezogen, von dort nach Amsterdam. Jetzt lebt er in Berlin. Auch beruflich herrscht bei Plotkin kein Stillstand: Von der Textiltechnologie ist er über die Computertechnologie zur Fotografie gekommen. Jetzt hängen seine Bilder in einem Frisiersalon in Berlin.
Lonya Plotkin: "Ich heiße Lonya Plotkin und bin in Moskau geboren."
Das war 1965. Heute lebt und arbeitet Plotkin als Fotograf in Amsterdam und Berlin. Auf seinen grell-bunten Fotos staksen junge Frauen auf Highheels durch Sporthallen, poussieren im Waffelkleid in Einkaufscentern oder verbiegen sich mit Staubsauger oder Wischtuch in der Hand in Wohnzimmern, in denen alte Leute Zeitung lesen. Plotkin interessiert mehr als nur die Mode.
Plotkin: "Wenn man sich die Modefotos in der Vogue oder so einer Zeitschrift anguckt, denkt man: Ok, ein hübsches Mädchen sitzt dort und sieht sehr sexy aus. Mehr sieht man nicht. Ich versuche, eine Geschichte zu erzählen. Ich suche nach Kontrasten, nach Absurdem, nach Übertreibungen. Ich möchte, dass die Betrachter darüber lächeln können oder überhaupt eine Reaktion zeigen."
"Ein Freund von mir macht Mode und der hat gleich den Blick gehabt, dass ist schon sehr ‚Jetzt’ und sehr Mode aber es hat was, was mich zweimal hingucken lässt, was mich auch wundern lässt."
Michael Schäfer arbeitet im trendigen Friseursalon "Haarschneiderei" in Berlin Prenzlauer Berg. Das ist ein passender Ort, um Plotkins großformatige Fotografien auszustellen.
"Ich wusste gleich, dass es hier für den Laden super ist (...), weil es vielschichtig ist. Es gibt viel zu sehen auf den Fotos. Sehr viele Kunden fragen, von wem die Fotos sind. Oder Leute kommen rein und fragen, ob sie sich die Fotos mal genauer angucken können. Das hatten wir vorher noch nicht so."
Lonya Plotkin ist mit seinen Eltern, seiner Schwester und seiner Großmutter in einer kleinen Drei-Zimmer-Wohnung in Moskau aufgewachsen. Seine Eltern, beide russische Juden, hatten große Pläne für ihren Sohn: Wenn nicht Ingenieur, wie sie es waren, dann sollte er Gehirnchirurg oder Physikprofessor werden. Lonya gab sein bestes und studierte immerhin Computertechnologie an der Moskauer Universität. 1988, als Gorbatschow an die Macht kam und russische Juden nach Israel ausreisen ließ, hat er nicht lange nachgedacht und ist gegangen. Allerdings nicht nach Israel, sondern gleich in den 'Big Apple'.
Plotkin: "New York ist für mich die einzige Stadt in den Vereinigten Staaten. Ich bin in Moskau groß geworden. Dort leben elf Millionen Menschen. Da lernt man, sich in der Masse zu bewegen, man entwickelt so eine gewisse Stadtschläue. (...) Als ich zuerst nach New York kam hat es mich umgehauen. Ich war begeistert, endlich eine richtige Stadt für mich gefunden zu haben."
Plotkin heiratete, entwickelte Software für Broker an der Wall Street, begann selbst an der Börse zu spekulieren, mietete ein teures Apartment in Manhattan. Er verdiente viel Geld. Nur Freizeit hatte er keine und zu seinem Hobby, dem Fotografieren, kam er erst recht nicht mehr.
Plotkin: "Plötzlich war ich Nummer 30.667. Es gab mich nicht mehr, nur eine Aufgabe, die ich ausführen musste. Es hat eigentlich auch niemanden interessiert, ob oder wie ich es gemacht habe. (...) Ich habe mich total verloren gefühlt."
Also kündigte Plotkin seine Arbeitsstelle, ließ sich scheiden, zog nach Holland und studierte in Amsterdam Fotografie.
Obwohl Plotkin hauptsächlich Modefotos macht, interessieren ihn am meisten die Menschen. Er guckt sich ein Model so lange an, bis er sich ein Bild von ihr machen kann - und so fotografiert er sie dann.
Plotkin: "Als Jude habe ich in Russland viele schlechte Erfahrungen gemacht. Darum musste ich schon als Kind lernen, mir die Leute richtig anzusehen. Es war so eine Art Überlebensstrategie. Ich musste wissen, ob jemand auf meiner Seite war oder gegen mich. ( ...) Darum habe ich heute eine ganz eigene Sicht auf Menschen. Und so fotografiere ich sie."
Neben Helmut Newtons Fotografien sind es vor allem die mysteriösen Modestrecken des französischen Fotografen Guy Bourdin, an denen sich Plotkin orientiert. Highheels, Revolver und unnahbare Models ähneln eher einer Krimi- als einer glitzernden Fashion-Szenerie. Auch Plotkin inszeniert seine Bilder.
Plotkin: "Zum Beispiel die Fotoserie "Goal". Als ich die Sachen gesehen habe, gefielen sie mir, ich wusste jedoch nicht, was ich mit ihnen anfangen sollte. Sie waren so dominat, so bunt. Eines Tages ging ich mit meinem Sohn in einen Fitnessclub und plötzlich wusste ich, dass das der Ort war, wo ich diese Serie fotografieren würde. Dort gab es den blauen Fußboden mit geraden Linien darauf, Leitern, Tore. Ich sah das und war begeistert."
Um eine geeignete Location zu finden, reist Plotkin nicht extra nach Südafrika, Australien oder Neuseeland, wie viele seiner Kollegen. Er bevorzugt die kurzen Wege - auch, wenn es nicht immer die leichtesten sind.
Plotkin: "Als ich in Holland gelebt habe, war gegenüber meiner Wohnung ein Altersheim. (...) Ich bin von Tür zu Tür gegangen und habe die alten Leute gefragt, ob ich bei ihnen meine Models fotografieren kann. Nach acht Stunden hatte ich fünf Leute gefunden, die mitmachen wollten."
Momentan lebt Plotkin in Berlin. Hier plant er eine europäische Länderserie, in der er Models mit landestypischen Gegenständen oder anderen Dingen bekleidet und fotografiert. Belgien hat er als erstes Land bereits bearbeitet.
Plotkin: "Drei Models haben drei verschiedene Kleider getragen. Eine hatte ein Waffelkleid an, die zweite ein Kleid aus Pralinenketten. Dafür habe ich 800 Pralinen gekauft. Und der dritten habe ich ein Kleid aus Bierdeckeln genäht."
Als nächstes plant Plotkin Deutschland modisch in Szene zu setzen. Seine Ideen reichen von Röcken aus Goethe- oder Einsteinköpfen bis hin zu Mänteln aus Niveacremedosen. Doch vorerst hat er wichtigeres zu tun.
Plotkin: "Ich fotografiere Berlin. Der Ostteil wird wie verrückt saniert. Nach einer Woche erkennt man ein Gebäude kaum wieder, weil es sich so verändert hat. Der Osten verschwindet. Darum fotografiere ich jetzt dort."
Service:
Plotkins Bilder sind zu sehen in der
"Haarschneiderei", Pappelallee 28, in Berlin-Prenzlauer Berg.
Öffnungszeiten:
Mo - Fr 11 - 20 Uhr,
Sa 11 - 15 Uhr
Das war 1965. Heute lebt und arbeitet Plotkin als Fotograf in Amsterdam und Berlin. Auf seinen grell-bunten Fotos staksen junge Frauen auf Highheels durch Sporthallen, poussieren im Waffelkleid in Einkaufscentern oder verbiegen sich mit Staubsauger oder Wischtuch in der Hand in Wohnzimmern, in denen alte Leute Zeitung lesen. Plotkin interessiert mehr als nur die Mode.
Plotkin: "Wenn man sich die Modefotos in der Vogue oder so einer Zeitschrift anguckt, denkt man: Ok, ein hübsches Mädchen sitzt dort und sieht sehr sexy aus. Mehr sieht man nicht. Ich versuche, eine Geschichte zu erzählen. Ich suche nach Kontrasten, nach Absurdem, nach Übertreibungen. Ich möchte, dass die Betrachter darüber lächeln können oder überhaupt eine Reaktion zeigen."
"Ein Freund von mir macht Mode und der hat gleich den Blick gehabt, dass ist schon sehr ‚Jetzt’ und sehr Mode aber es hat was, was mich zweimal hingucken lässt, was mich auch wundern lässt."
Michael Schäfer arbeitet im trendigen Friseursalon "Haarschneiderei" in Berlin Prenzlauer Berg. Das ist ein passender Ort, um Plotkins großformatige Fotografien auszustellen.
"Ich wusste gleich, dass es hier für den Laden super ist (...), weil es vielschichtig ist. Es gibt viel zu sehen auf den Fotos. Sehr viele Kunden fragen, von wem die Fotos sind. Oder Leute kommen rein und fragen, ob sie sich die Fotos mal genauer angucken können. Das hatten wir vorher noch nicht so."
Lonya Plotkin ist mit seinen Eltern, seiner Schwester und seiner Großmutter in einer kleinen Drei-Zimmer-Wohnung in Moskau aufgewachsen. Seine Eltern, beide russische Juden, hatten große Pläne für ihren Sohn: Wenn nicht Ingenieur, wie sie es waren, dann sollte er Gehirnchirurg oder Physikprofessor werden. Lonya gab sein bestes und studierte immerhin Computertechnologie an der Moskauer Universität. 1988, als Gorbatschow an die Macht kam und russische Juden nach Israel ausreisen ließ, hat er nicht lange nachgedacht und ist gegangen. Allerdings nicht nach Israel, sondern gleich in den 'Big Apple'.
Plotkin: "New York ist für mich die einzige Stadt in den Vereinigten Staaten. Ich bin in Moskau groß geworden. Dort leben elf Millionen Menschen. Da lernt man, sich in der Masse zu bewegen, man entwickelt so eine gewisse Stadtschläue. (...) Als ich zuerst nach New York kam hat es mich umgehauen. Ich war begeistert, endlich eine richtige Stadt für mich gefunden zu haben."
Plotkin heiratete, entwickelte Software für Broker an der Wall Street, begann selbst an der Börse zu spekulieren, mietete ein teures Apartment in Manhattan. Er verdiente viel Geld. Nur Freizeit hatte er keine und zu seinem Hobby, dem Fotografieren, kam er erst recht nicht mehr.
Plotkin: "Plötzlich war ich Nummer 30.667. Es gab mich nicht mehr, nur eine Aufgabe, die ich ausführen musste. Es hat eigentlich auch niemanden interessiert, ob oder wie ich es gemacht habe. (...) Ich habe mich total verloren gefühlt."
Also kündigte Plotkin seine Arbeitsstelle, ließ sich scheiden, zog nach Holland und studierte in Amsterdam Fotografie.
Obwohl Plotkin hauptsächlich Modefotos macht, interessieren ihn am meisten die Menschen. Er guckt sich ein Model so lange an, bis er sich ein Bild von ihr machen kann - und so fotografiert er sie dann.
Plotkin: "Als Jude habe ich in Russland viele schlechte Erfahrungen gemacht. Darum musste ich schon als Kind lernen, mir die Leute richtig anzusehen. Es war so eine Art Überlebensstrategie. Ich musste wissen, ob jemand auf meiner Seite war oder gegen mich. ( ...) Darum habe ich heute eine ganz eigene Sicht auf Menschen. Und so fotografiere ich sie."
Neben Helmut Newtons Fotografien sind es vor allem die mysteriösen Modestrecken des französischen Fotografen Guy Bourdin, an denen sich Plotkin orientiert. Highheels, Revolver und unnahbare Models ähneln eher einer Krimi- als einer glitzernden Fashion-Szenerie. Auch Plotkin inszeniert seine Bilder.
Plotkin: "Zum Beispiel die Fotoserie "Goal". Als ich die Sachen gesehen habe, gefielen sie mir, ich wusste jedoch nicht, was ich mit ihnen anfangen sollte. Sie waren so dominat, so bunt. Eines Tages ging ich mit meinem Sohn in einen Fitnessclub und plötzlich wusste ich, dass das der Ort war, wo ich diese Serie fotografieren würde. Dort gab es den blauen Fußboden mit geraden Linien darauf, Leitern, Tore. Ich sah das und war begeistert."
Um eine geeignete Location zu finden, reist Plotkin nicht extra nach Südafrika, Australien oder Neuseeland, wie viele seiner Kollegen. Er bevorzugt die kurzen Wege - auch, wenn es nicht immer die leichtesten sind.
Plotkin: "Als ich in Holland gelebt habe, war gegenüber meiner Wohnung ein Altersheim. (...) Ich bin von Tür zu Tür gegangen und habe die alten Leute gefragt, ob ich bei ihnen meine Models fotografieren kann. Nach acht Stunden hatte ich fünf Leute gefunden, die mitmachen wollten."
Momentan lebt Plotkin in Berlin. Hier plant er eine europäische Länderserie, in der er Models mit landestypischen Gegenständen oder anderen Dingen bekleidet und fotografiert. Belgien hat er als erstes Land bereits bearbeitet.
Plotkin: "Drei Models haben drei verschiedene Kleider getragen. Eine hatte ein Waffelkleid an, die zweite ein Kleid aus Pralinenketten. Dafür habe ich 800 Pralinen gekauft. Und der dritten habe ich ein Kleid aus Bierdeckeln genäht."
Als nächstes plant Plotkin Deutschland modisch in Szene zu setzen. Seine Ideen reichen von Röcken aus Goethe- oder Einsteinköpfen bis hin zu Mänteln aus Niveacremedosen. Doch vorerst hat er wichtigeres zu tun.
Plotkin: "Ich fotografiere Berlin. Der Ostteil wird wie verrückt saniert. Nach einer Woche erkennt man ein Gebäude kaum wieder, weil es sich so verändert hat. Der Osten verschwindet. Darum fotografiere ich jetzt dort."
Service:
Plotkins Bilder sind zu sehen in der
"Haarschneiderei", Pappelallee 28, in Berlin-Prenzlauer Berg.
Öffnungszeiten:
Mo - Fr 11 - 20 Uhr,
Sa 11 - 15 Uhr