Ein Leben ohne Schuld gibt es nicht

Von Marc-Christoph Wagner · 14.03.2011
Die dänische Regisseurin Susanne Bier hat mit ihrem Film "In einer besseren Welt" gerade erst einen Oscar für den besten fremdsprachigen Film und wenige Wochen zuvor einen Golden Globe gewonnen. Der Film zeigt den Grundkonflikt zwischen Idealismus und harter Realität auf.
Es ist das Schicksal, welches die beiden Jungen Christian und Elias zusammenführt. Christians Mutter stirbt früh an Krebs. Kurz darauf ziehen Christian und sein Vater Claus aus der Metropole London heim in die dänische Provinz.

Filmszene: Dialog auf dem Schulhof
"Mitschüler: "Christian. Warum hängst du bei der Rattenfresse rum?"
Christian: "Rattenfresse?"
Mitschüler: "Bist du blind oder was? Seine Zähne, er sieht doch aus wie 'ne Ratte."
Christian: "Nee. Ich glotze aber auch nicht anderen Leuten in den Mund."
Mitschüler: "Aha".
Atmo Schlag."

Anders als Elias, der die Einschüchterungen seiner Mitschüler schon lange hinnimmt, wehrt sich Christian mit massiver Gewalt. In einem unbeobachteten Augenblick schlägt er den körperlich überlegenen Mitschüler, der ihn angriff, zusammen, führt ihm gar das Messer an die Kehle.

Filmszene: Dialog Vater/Sohn
"Claus: "Warum hast du mir nicht gesagt, dass er dich geschlagen hat? Hä? Wir hätten mit ihm und seinen Eltern sprechen können."
Christian: "Es haben zu viele gesehen."
Claus: "Das ist doch keine Antwort!"
Christian. "Wenn ich mich nicht gewehrt hätte, würden alle anderen glauben, sie könnten mich auch verprügeln."
Claus: "Schlägst du ihn, schlägt er dich. Du schlägst zurück und es hört nie auf. Kapierst du nicht? So fängt Krieg an."
Christian: "Nicht, wenn man beim ersten Mal hart genug zurückschlägt.""

Steht Christian für das Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn, verkörpert vor allem Elias' Vater Anton den idealistischen Gegenpart. Ob als Arzt in afrikanischen Flüchtlingslagern oder daheim in der dänischen Provinz: Immer wieder begegnet er Angriffen wenn nicht mit Nächstenliebe, so doch mit Beherrschung. Unbefleckt aber kommt auch Anton, dieses vermeintliche Symbol des Guten, nicht durchs irdische Leben.

Filmszene: Dialog Am Telefon
"Mutter: "Ich bin immer so stolz auf uns gewesen. Wirklich. Ich war stolz darauf, dass wir nicht so waren, wie all diese anderen Idioten, die einfach aufgeben und sich scheiden lassen."
Anton: "Ja, ich... Ich weiß, ich habe einen blöden Fehler gemacht. Ich habe versucht, zu erklären, warum ich mich so verrannt habe, wie es dazu kommen konnte, dass ich so blödes Zeug gemacht habe. Ich habe ehrlich versucht ..."
Mutter: "Du ... Du hast immer nur an sie gedacht, auch wenn du bei mir warst.""

Ein Leben frei von Schuld – das muss eine Illusion bleiben. Was alle Protagonisten im Laufe des Films erfahren. Eben hierin sieht Regisseurin Susanne Bier die Stärke des Films, eben hierin auch den Grund dafür, dass sich "In einer besseren Welt" bei der jüngsten Oscar-Verleihung selbst gegen so starke Konkurrenten wie etwa den mexikanischen Streifen "Biutiful" durchsetzte:

Susanne Bier: "Ich glaube, die Geschichte trifft einen Kern unserer Zeit, sie nimmt Themen auf, die wir derzeit in vielen Gesellschaften diskutieren, Themen wie Rache oder auch Mobbing. Darüber hinaus aber zerstört der Film nicht jegliche Hoffnung – und eben dieser Cocktail gibt ihm seinen universellen Charakter."

Im dänischen Original trägt der Film den Titel "Die Rache", was den Kern der Geschichte ungleich besser trifft als "In einer besseren Welt". Denn Susanne Bier geht es um diesseitige, um menschliche Konflikte, die ab und an glücklich enden mögen, die selbst dann aber zerrüttete Seelen hinterlassen:

Susanne Bier: "Wir Dänen haben für unsere Filme nicht viel Geld, dafür haben wir gelernt, menschliche Geschichten zu erzählen. Und eben weil sie menschlich sind und nicht nur an der Oberfläche verharren, stoßen sie auf Resonanz."

Tatsächlich verbindet Susanne Biers Film das Beste aus beiden Welten. Filmisch steht "In einer besseren Welt" großen Hollywoodproduktionen in nichts nach, erzählerisch bewahrt die Geschichte eine skandinavische Intimität, die universelle Konflikte in einer kleinen Personengalerie spiegelt.

Schade nur, dass dem deutschen Zuschauer das alles nur über den Umweg der Synchronisation präsentiert wird, die – zumindest in diesem Fall – die Intensität des Films erheblich reduziert. Wer etwa den durch sein Schicksal früh erwachsenen und furchtlosen Christian im dänischen Original gesehen hat, kann sich über den kindlichen Tonfall in der deutschen Übersetzung nur kopfschüttelnd wundern. In dieser Version jedenfalls hätte Biers Film einen Oscar wohl kaum gewonnen.

Filmhomepage "In einer besseren Welt"