Ein Leben in dunklen Zimmern

James Ellroy im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 03.02.2010
Gerade ist der dritte Teil der "Underworld USA"-Trilogie des US-Amerikaners James Ellroy unter dem Titel "Blut will fließen" erschienen. Darin geht es um "schlimme Männer", die sich in die "rote Göttin" verlieben. Der Autor ist derzeit auf Lesereise in Deutschland.
Liane von Billerbeck: Wer die Bücher von James Ellroy noch nicht gelesen hat, der kennt bestimmt die Verfilmungen "Black Dahlia" oder "L.A. Confidential". Mit "L.A. Confidential" begann der kommerzielle Erfolg des Schriftstellers Ellroy. Die vergangenen 15 Jahre aber hat er damit zugebracht, seine "Underworld USA"-Trilogie zu schreiben. Soeben ist der dritte Teil erschienen:
"Blut will fließen". Historische Höhepunkte der ersten beiden waren die Morde an John F. Kennedy und Martin Luther King. In diesem letzten erwähnte er eher beiläufig die Watergate-Affäre.
Wie immer bei Ellroy geht es überaus gewalttätig zu, seine Geschichte ist bevölkert von Cops und Gangstern, Huren, Agenten und Drogenhändlern. Aber trotz der Brutalität ist das kein herkömmlicher Krimi, denn unter das brutale Geschehen legt Ellroy einen anderen Ton, der erklärt, warum ihn ein BBC-Journalist mal den romantischsten Kerl, der je gelebt hat, genannt hat. Seine Krimis, so sagt er, die seien gar keine Krimis, sondern historische Romane. Wir haben mit ihm gesprochen – James Ellroy, herzlich willkommen!

James Ellroy: Happy to be here! Ich würde das Buch sogar eine Liebesgeschichte nennen, ich würde es eine Geschichte über den Zusammenprall von Ideologien nennen. Geschichten von schlimmen Männern, die auf der Suche nach starken Frauen sind. Ich würde gar nicht so sehr sagen, dass es absonderliche Typen sind, die meine Romane bevölkern, sondern ich würde sagen, es sind Menschen auf der Suche nach Rettung, nach Erlösung, nach Versöhnung. Und vor allem geht es auch um das symbiotische Zusammenspiel von Rechten und Linken in der Politik in einem besonders verführerischen Umfeld.

von Billerbeck: Die Hauptfiguren in "Blut will fließen" sind drei weiße Männer von explizit rechter Überzeugung. Wayne Tedrow, ein Expolizist, Chemiker und Heroinkocher, der bei Howard Hughes angestellt ist, dem Vermittler für Gangsterbosse. Dwight Holly, ein FBI-Agent, Intrigant, der schwarze Bürgerrechtsgruppen infiltriert und sich in eine gestandene Linke, die "rote Göttin" verliebt. Und der Jüngste, Donald Crutchfield, ein Spanner mit schwerer Macke könnte man sagen, Privatermittler, Drogenschmuggler und Kommunistenschlächter, zudem sexuell ziemlich verkorkst. Was verbindet die drei und wer ist Ihnen der Nächste?

Ellroy: Don Crutchfield ist eine Gestalt aus dem echten Leben. Ich habe ihn dafür bezahlt, dass er in meinem Buch auftritt. Er ist im echten Leben 13 Jahre älter als ich, ich habe ihn also jünger gemacht, ich habe seine mit meiner Liebesgeschichte verschmolzen. Aber alles, was diese schlimmen Männer miteinander verbindet, ist eben die Liebe zu dieser "roten Göttin" Joan, das verbindet sie alle.

von Billerbeck: Sind Sie auch so ein schlimmer Mann?

Ellroy: Nein, so schlimm bin ich nicht. Ich kann nur über solche schlimmen Männer schreiben, und ich war tatsächlich mal in eine Frau verliebt, die Joan hieß.

von Billerbeck: Traditionell oder man könnte auch sagen konventionell gibt es im Krimi ja immer eine Figur, mit der sich der Leser oder die Leserin identifizieren kann. Ihre drei sind eigentlich nicht gerade Sympathieträger, obwohl es auch Stellen gibt, wo sie mir nah waren plötzlich. Und der Leser muss sich über diese 800 Seiten durch eine ziemlich verwickelte Handlung kämpfen. Selbst wenn man geschult ist durch Dostojewski, ging es einem manchmal so, dass man am liebsten einen Zettel danebengelegt hätte, weil das Personentableau doch sehr breit ist. Ist das Absicht oder warum machen Sie es Ihren Lesern so schwer?

Ellroy: Ich würde sagen, diese drei männlichen Hauptgestalten fordern schon zum Mitgefühl, sie fordern Sympathie heraus. Sie sind letztlich auf der Suche nach Liebe, nach der Erfahrung der Transzendenz. Ich liebe die Herausforderung an den Leser, ich liebe das Große, die großen Themen, ich liebe symphonische Musik und vor allem liebe ich die dicht gepackten Handlungsstränge, die eine Herausforderung für den Leser darstellen, der aufgefordert ist, dieses Jagende, Drängende, diesen Rhythmus, in dem ich geschrieben habe, nachzuvollziehen. Und ich möchte den Leser dazu bewegen, lieber in längeren, weniger Sitzungen das Buch zu lesen als in kürzeren Abschnitten. Damit muss er sich auseinandersetzen, das ist die Herausforderung.

von Billerbeck: Von Theodor Fontane gibt es einen Roman, der heißt "Unwiederbringlich". Über all Ihren Büchern, da könnte stehen: Un-er-bitt-lich! Geht Ellroy nur extrem - Liebe oder Hass?

Ellroy: Ich würde sagen, in meinem Buch ist eine größere Vielfalt an menschlichen Charakteren zu finden als in den vorhergehenden Büchern. Ich würde nicht sagen, dass ich unerbittlich auf die Figuren niederkomme. Was ich wirklich suche, das ist die Intensität des Schreibens, diese Unaufhaltsamkeit, dieser Zwang geradezu in der Darstellung. So sehe ich das, und so möchte ich das auch für den Rest meines Lebens beibehalten.

von Billerbeck: Wenn man Ihre Helden konservativ oder rechts nennen würde, dann wäre das wahrscheinlich schwer untertrieben, und platt ausgedrückt könnte man sagen, Tedrow, Holly und Crutchfield, die verkörpern all das, vor dem uns unsere Mütter gewarnt haben. Trotzdem – das haben Sie auch selbst schon gesagt – sind diese doch sehr brutalen Menschen auf der Suche nach etwas: nach Liebe und vielleicht sogar nach Gott. Teilen Sie diese Ansicht?

Ellroy: Yes!

von Billerbeck: Short answer. Sie haben mal in einem Interview gesagt, ich glaube an Gott und ich bin ein strenger Moralist, und Sie haben auch gesagt, ich bin ein Reaktionär. Sind Sie also ein Moralist mit dem Vergnügen am kalten Sezieren des Niedergangs?

Ellroy: Was ich ausloten möchte, das sind die Folgen von unmoralischen Handlungen und den Preis, den meine Figuren für ihre unmoralischen Taten zu bezahlen haben. Ich glaube nicht, dass Zweideutigkeit eine Tugend ist. Worauf ich letztlich hinaus will, ist, dass Sie als Leser meine schlimmen Männer zu lieben beginnen – und zwar deswegen, weil sie sich am Ende ändern.

von Billerbeck: Stimmt, das ist mir so gegangen. Ich hatte bei Ihrem Buch auch immer das Gefühl, dass Musik eine wichtige Rolle spielt als so eine Art Grundton, der unter dem Buch liegt, und es hat mich auch nicht gewundert, dass Sie, der so viel Gewalt beschreibt, nicht gerade die Musik von Gerald Finzi liebt oder von Schubert, sondern ich las, Sie mögen Beethoven und Bruckner. Warum gerade die beiden?

Ellroy: Ich mag die große Musik, die mit großem Nachdruck, Emphase vorgetragen wird. Revolutionär und in Bruckners Fall auch metaphysisch aufgeladen.

von Billerbeck: James Ellroy ist mein Gast. Der Schriftsteller ist auf Lesereise mit seinem gerade auf Deutsch erschienenen Buch "Blut will fließen", dem dritten Teil seiner "Underworld USA"-Trilogie. 15 Jahre Arbeit an diesen drei Bänden, allein am letzten Teil saßen Sie statt der geplanten drei volle acht Jahre. Wie müssen wir uns ein Leben vorstellen in dieser Zeit?

Ellroy: Sie wollen wissen, wie es mir so gegangen ist beim Schreiben dieses Buches? Na ja, ich hatte einen Nervenzusammenbruch, meine Ehe ging in Stücke, ich verliebte mich in eine Frau namens Joan, die hat mich fallen lassen und zog nach Los Angeles. Ich verliebte mich in eine Frau namens Karen, die hat auch Schluss gemacht. Ich saß sehr viel Zeit im dunklen Zimmer und dachte nach und dachte nach. So sieht es aus, wenn man solch ein Buch schreibt.

von Billerbeck: Ein Leben in dunklen Zimmern, ist das Ihre Vorstellung von einem schönen Leben?

Ellroy: Mir gefällt es, im Dunklen zu liegen und nachzudenken, zu beten und zu brüten. Das macht mich sehr glücklich.

von Billerbeck: Aber wenn man so im Dunkeln liegt, ohne Handy, ohne Internet, ohne Fernsehen, ohne sonst was, wie recherchiert man dann? In Ihrem Buch sind ja auch viele Stellen, die spielen auf Kuba, auf Hawaii – wie haben Sie diese Recherche dann gemacht? Haben Sie dafür Rechercheure gehabt, die das für Sie erledigt haben?

Ellroy: Ja, ich stelle tatsächlich solche Faktenfinder an, die mir bestimmte Tatsachenzusammenstellungen liefern, Chronologien und dergleichen. Das ermöglicht mir dann, mit sehr viel Ermessensspielraum da hineinzuschreiben.

von Billerbeck: Sie haben in den vergangenen acht Jahren, als Sie an "Blut will fließen" saßen, auch ein zweites Buch geschrieben, habe ich gelesen, das soll in Kürze erscheinen, und das soll nach dem Buch, das auf Deutsch "Die Rothaarige" hieß, eine Art zweite Autobiografie sein. Worum wird es gehen?

Ellroy: Diese Buch wird den Titel haben "Der Fluch der Hilliker", und es geht hier um Frauen und mich.

von Billerbeck: Sind Sie also tatsächlich der romantischste Kerl, der je gelebt hat?

Ellroy: Yes!

von Billerbeck: Der Schriftsteller James Ellroy zu Gast bei Deutschlandradio Kultur. Das Gespräch wurde übersetzt von Johannes Hampel. Ellroys Krimi "Blut will fließen" ist soeben auf Deutsch im Ullstein-Verlag erschienen.
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