Ein Leben in Bildern

22.03.2010
Der Musikwissenschaftler Christoph Albrecht hat über viele Jahre mit dem Schweizer Regisseur und Bühnenbildner Arturo Marelli zusammengearbeitet. Nun hat er einen Bildband über sein Leben und Werk herausgegeben.
Der Satz ist poetisch vielsagend: "Ich höre den Raum", so lautet, gleichsam apodiktisch, der Titel dieses Bildbandes über die Arbeiten des Schweizer Regisseurs und Bühnenbildners Marco Arturo Marelli. Herausgegeben hat ihn einer, der Marelli aus jahrelanger Zusammenarbeit kennt: Der Musikwissenschaftler Christoph Albrecht war, als ihm Marelli erstmals begegnete, Dramaturg an der Hamburgischen Staatsoper. Später, in seiner Funktion als Intendant der Semperoper Dresden, hat er ihn mehrfach eingeladen, an seinem Haus zu inszenieren - natürlich im eigenen Bühnenbild.

Ob es deswegen ratsam scheint, Marelli als eine "einsame Konstante der Qualität"zu bezeichnen, wie es der scheidende Intendant der Wiener Staatoper Ioan Holender im Grußwort dieses fürwahr schwergewichtigen Bandes tut, sei zumindest angezweifelt. Marellis Kunst kommt auch ohne solchen Lorbeer aus. Sie ist eigenmächtig, eigensinnig, eigenartig genug.

Dem berühmten Choreografen John Neumeier verdankt es Marelli, dass dies früh erkannt wurde. Sein erstes Bühnenbild kreierte er 1974 für John Neumeiers Ballettabend "Meyerbeer/Schumann". Bedauerlich, dass aus dieser Zeit keine Bilder zu sehen sind. Die Auswahl umfasst den Zeitraum von 1984 bis 2010, inklusive der soeben in Wien uraufgeführten "Medea" von Aribert Reimann, zu der Marelli – erneut in Personalunion als Regisseur und Bühnenbildner – ein lanzarotisches Lavafeld auf die Bretter der Staatsoper rollte.

Die Opulenz des Bandes ermöglicht einen umfassenden Blick auf die Ästhetik des Szenengestalters - eingeschlossen deren Veränderungen im Laufe der Jahrzehnte. Dass er diesbezüglich auf einem weiten Feld wandelt, hat Marelli in zahlreichen Arbeiten bewiesen. Der Band greift hier Tendenzen insofern auf, als dass er nicht chronologisch ordnet, sondern nach Komponisten. Die Bildauswahl ist dabei auch für den Laien anschaulich genug, um sich ins jeweilige Werk vorzutasten; dem Kenner offenbart sie Bruchstücke der (vielleicht) verlorengegangenen Erinnerung an den jeweiligen Abend.

Daraus resultiert – so man sich die Mühe macht, hin und her zu blättern, um die Chronologie einzufangen – ein buchstäblich sehenswertes Panorama, das insbesondere zweierlei verdeutlicht: einmal den Weg Marellis vom Illustrativen hin zum Räumlichen. Und dann ein Kontinuum seiner Kunstanschauung: Viele seiner Bühnenbilder sind im besten (und durchaus doppelten) Sinn Spiegel-Bilder. Dazu passt eine Äußerung des Künstlers: Ein Grundbedürfnis des Theaters sei die Suche nach der Wahrheit, die Suche nach sich selbst. Im Spiegel (der Geschichte) hat Marco Arturo Marelli dies immer wieder versucht umzusetzen. Nicht immer mit Erfolg, nicht immer zwingend. Aber doch stets mit einer stupenden Bildmächtigkeit sowie mit dem Wissen um die Bedeutung der Musik.

Wie formuliert es so schön Wolfgang Willaschek: "Partitur ist ihm eine Landschaft, die er akribisch durchforstet, durchpflügt." Damit verbunden die Kritik: Dergleichen Beschreibungen hätte man sich mehr gewünscht; so manche der Texte in diesem schön gestalteten Bildband wirken doch etwas affirmativ oder herbeigezwungen.

Besprochen von Jürgen Otten

Christoph Albrecht (Hg.): Marco Arturo Marelli - Ich höre den Raum. Arbeiten für die Oper des Regiesseurs und Bühnenbildners
Henschel Verlag, Leipzig 2010
240 Seiten, 39,90 Euro