Ein Leben für die Farbe

Von Rainer Zerbst · 20.01.2006
Der 1880 geborene Maler Hans Purrmann ließ sich in Paris von der Moderne inspirieren. Matisse zählte zu seinen Lehrern. Fortan wurden Farben zum Lebensinhalt des Deutschen. Die Kunsthalle Tübingen zeigt in der Ausstellung "Im Kräftespiel der Farben" zahlreiche Gemälde und Aquarelle des Künstlers.
Es muss eine Seelenverwandtschaft auf den ersten Blick gewesen sein, als Hans Purrmann 1905 auf Matisse traf. Dass der junge Deutsche mit seinen 25 Jahren von Matisse fasziniert war, ist verständlich. Der zehn Jahre ältere hatte mit seinen kräftigen, leuchtenden, sich selbst genügenden Farben eine ganz eigene Malerei entwickelt. Und Purrmann griff diese Farbigkeit sofort auf. Farbe wurde fortan, so Götz Adriani, der die Ausstellung für Tübingen betreut, zum Lebensinhalt des jungen Deutschen.

"Dabei hätte eigentlich eher ein postimpressionistischer Maler aus Purrmann werden müssen, denn trotz seinem Studium in München bei Franz von Stuck ließ er sich ganz von dem Stil eines Slevogt und Corinth faszinieren. So gibt es ein dunkles Parkbild vom 23-jährigen Purrmann: Der düster graubraune Boden des Parkwegs nimmt den größten Teil des Bildes ein, auf ihm kleine flirrende Lichtflecken der Sonne - ein bereits sehr kühnes Bild - und diese Kühnheit setzt sich dann ab 1905 in Paris unter dem Einfluss von Matisse fort. Wobei interessanterweise, so Götz Adriani, auch der ältere Matisse von Purrmann fasziniert gewesen sein muss."

Ganz so kühn, wie Matisse wurde Purrmann aber nicht. Matisse zum Beispiel malte 1911 sei "Rotes Atelier" - eigentlich eine glatt rot angestrichene Fläche, auf der wie eingezeichnet Möbelstücke und Bilder verteilt sind. Auch Purrmann malte einiger Jahre später sein Atelier, auch rot, aber da gibt es doch noch realistische Relikte wie Teppiche oder so etwas wie Parkettboden. Aber die Farben spielen bereits eine wesentliche Rolle - Farben, die sich zu emanzipieren beginnen. Später konnte es durchaus vorkommen, dass Purrmann 210 verschiedene Grüntöne nebeneinander setzte - Farbnuancen, die streng genommen nicht zueinander passen - und doch erwecken sie den Eindruck einer perfekten Laubkrone eines Baumes - und das unter einem ebenfalls eigentlich nicht passenden Blau des Himmels. Solche Farbbehandlung lernte er bei seinem zweiten Vorbild - Paul Cézanne. Er reiste sogar eigens nach Südfrankreich, um dort die Motive zu malen, die auch Altmeister Cezanne gemalt hatte - und da wird deutlich, wie sehr Purrmann abhängig vom jeweiligen Licht war.

"Als er dann 1919 für 16 Jahre nach Langenargen an den Bodensee zog, wurden die Farben wärmer, harmonischer. Aber sie blieben Dreh- und Angelpunkt seiner Malerei."

Und noch etwas übernahm er von Matisse: Matisse malte als Hintergrund für seine Motive gerne gemusterte Tapeten oder drapierte gemusterte Stoffdecken. Genau dasselbe findet sich auch bei Purrmann, und siehe da: das Motiv verliert seine Bedeutung, denn der gemusterte Hintergrund ist mindestens ebenso wichtig wie das im Bildtitel genannte Motiv, ein Blumenstrauß zum Beispiel. So gelang Purrmann aus ganz traditionellen Motiven wie Stilleben, Landschaft oder Porträt eine Malerei der Moderne.

Kein Wunder, dass er gerne im Süden malte, wo das helle Licht die ganze Landschaft flächiger erscheinen lässt, als bestünde sie nur aus nebeneinander gesetzten Farbflächen. Ganz unfreiwillig war der Aufenthalt im Süden, etwa im Tessin, freilich nicht. Die Nazis stuften seine Bilder als entartet ein. Purrmann ließ sich in Italien eine Identitätskarte geben, auf der "italiana" stand. Hier traf er unter anderem mit Hermann Hesse zusammen, der mit klarem Blick das Wesen von Purrmanns Malerei erkannte. Er schrieb ein Gedicht über Purrmann, als dieser gerade sich selbst malte. Dabei, so Hermann Hesse, sehe und male Purrmann sich eben nicht selbst, vielmehr wäge er besonnen das Licht auf Wange, Stirn und Knie, das Blau und Weiß im Bart, sowie blumenschöne Farben aus dem Grau und Blau der Jacke. - Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: blumenschöne Farben aus einem Grau einer Stoffjacke, aber genau das macht Purrmanns Kunst aus, die in den Farben Qualitäten sieht, die das normale Auge nicht erkennt. Nur wenn wir vor seinen Bildern stehen, ahnen wir einen Hauch von diesen Qualitäten, die dem Künstler selbstverständlich sind.

Service:
Die Ausstellung ist vom 21. Januar bis zum 23. April 2006 zu sehen.