Ein Leben für den Sand
Es ist wie im kitschigen Bollywoodmärchen: Einst wurden seine Skulpturen als Hirngespinste verspottet, jetzt sorgt er mit ihnen weltweit für Staunen. In Berlin hat Sudarsan Pattnaik beim Festival „Sandsation“ bereits zum fünften Mal den Publikumspreis gewonnen.
Berlin – internationales Sandskulpturenfestival „Sandsation“ am Ufer der Spree. Im Ruhebereich für die Mitarbeiter liegen diverse Zeitungen auf dem Tisch. Gemeinsam mit der Pressesprecherin blättert Sudarsan Pattnaik die Ausgaben durch, schaut, was sie darüber schreiben, dass er bereits zum fünften Mal den Publikumspreis gewonnen hat. So oft wie kein anderer vor ihm. Ein gut aussehender, mittelgroßer Mann mit dunklen Augen und festem schwarzem Haar, einem weinroten Hemd und auffällig, langen Fingernägeln – so wie bei einem Gitarrenspieler.
„Die Fingernägel eignen sich besser als anderes Werkzeug für die Feinarbeit. Auch wenn wir mit den Skulpturen beginnen, benutze ich zunächst nichts Weiteres als meine bloßen Finger und eben die Fingernägel.“
Dann türmt er Sand bis zu zehn Meter in die Höhe. Genauer: Kiesgrubensand mit eckigen Körnern und einem hohen Lehmanteil, hart wie Beton, der zusätzlich mit einem Presslufthammer festgeklopft wird. So überstehen die filigran verzierten Meisterwerke sogar Regengüsse und Stürme. An seiner aktuellen Skulptur mit dem Titel „Klimawandel ist eine unbequeme Wahrheit“ hat er eine Woche von morgens bis abends gefeilt: Zu sehen sind ein Menschenkopf, darüber ein abgeholzter Baumstamm, vor dem drei Affen hocken, die ihre Augen, Ohren und Münder verschließen – und damit die Ignoranz symbolisieren.
„Sand ist mein Leben. Ich denke pausenlos darüber nach, wie ich meine Sandkunst weiterentwickeln kann. Ständig geistert mir durch den Kopf: Was wäre die beste Skulptur, die ich den Besuchern zeigen kann.“
Und das schon seit seinem neunten Lebensjahr. Sudarsan Pattnaik wächst in Ostindien direkt an der Küste auf.
„Mit fünf Dollar im Monat mussten wir zu sechst auskommen. Es war eine sehr harte Zeit.“
Das Geld für die Schulbücher können die alleinerziehende Mutter und die Großmutter für Sudarsan und seine drei kleineren Brüder nicht aufbringen. Der Junge muss im Haus eines reicheren Inders arbeiten. Doch vor der Arbeit läuft er jeden Morgen zum Strand, türmt Sandburgen und Figuren auf.
„Viele fragten mich damals: ‚Warum machst Du das? Du verschwendest deine Zeit! Diese Kunst ist so vergänglich. Jeden Tag kommt das Wasser und spült alles wieder fort.‘ Aber ich hatte mir in den Kopf gesetzt, diese Kunstform weiter zu entwickeln.“
Anfangs kreiert er die Gesichter indischer Gottheiten. Doch nur schön verzierte Skulpturen, das reizt den 33-Jährigen bis heute nicht. Vielmehr will er den Betrachtern die großen, brisanten Themen des Weltgeschehens vor Augen führen: den Klimawandel, Aids, Terrorismus oder die Tsunamikatastrophe von 2004.
„"Als die Tsunamiwelle kam, dachte ich: Was kann ich als Künstler tun? Also formte ich eine riesige Skulptur am Strand mit dem Spruch: ‚Helft den Tsunamiopfern!‘ Am nächsten Tag druckten Zeitungen auf der ganzen Welt das Foto, um die Menschen zum Spenden aufzurufen.“
Da merkte Sudarsan Pattnaik, was seine vergängliche Kunst dauerhaft bewirken kann. Der arme Junge aus der Provinz ist ein weltweit anerkannter Künstler geworden, der für Wettkämpfe bereits in vierzig Länder reiste. Er traf den Dalai Lama, die indische Staatspräsidentin. In seiner Heimat leitet er inzwischen ein Institut für Sandkunst. Seine Kunst entwickelt er begierig weiter. Die neueste Form: Sandanimationen, die er auf seiner Internetseite zeigt.
„Ich streue einfach trockenen Sand auf eine Glasscheibe und dann strömt die Fantasie durch dieselben Finger.“
Eine Kamera filmt von oben, wie sich die Silhouette eines Mannes über eine Glasscheibe beugt, die Hände Sand verwischen und dann der Zeigefinger Furche um Furche einen riesigen Tempel – der an das indische Taj Mahal erinnert – kreiert. Auf diese Weise erschafft Sudarsan Pattnaik ganze Märchen.
Trotz seiner Erfolge wirkt er keineswegs abgehoben, eher zurückhaltend schüchtern. Lächelt jungenhaft verlegen, als er auf dem Festival „Sandsation“ den Publikumspreis entgegen nimmt. Und auch mit 33 Jahren hat er noch Träume:
„Mein größter Traum ist ein Sandskulpturen-Park, denn ich kann natürlich auf meinen Reisen nirgendwo lange bleiben. Den Park könnten Besucher ganzjährig besuchen. Ich bräuchte ungefähr vier oder fünf Hektar Land. Ich habe so viele Ideen für Skulpturen im Kopf und mit meinen Studenten die besten Sandkünstler vor Ort.“
Einst galten seine Skulpturen bei Verwandten und Nachbarn als Hirngespinste – heute ernähren sie die ganze Familie. Das erinnert an ein kitschiges Bollywoodmärchen mit Happy End – doch manchmal kann auch das Leben selbst solche Geschichten schreiben. Inzwischen hat Sudarsan eine zweijährige Tochter. Ob die mal seine Pläne weiterführt? Natürlich wisse er das jetzt noch nicht, sagt er lächelnd:
„Aber wenn sie später mal Sandskulpturen bauen würde, würde mich das sehr glücklich machen. Aber wie auch immer: Sie wird die Freiheit haben, das zu tun, was immer sie will.“
Denn er weiß selbst zu gut: Diese Freiheit war es, die ihm sein Happy End erst ermöglicht hat.
Link zum Thema:
Homepage des Festivals Sandsation 2010
„Die Fingernägel eignen sich besser als anderes Werkzeug für die Feinarbeit. Auch wenn wir mit den Skulpturen beginnen, benutze ich zunächst nichts Weiteres als meine bloßen Finger und eben die Fingernägel.“
Dann türmt er Sand bis zu zehn Meter in die Höhe. Genauer: Kiesgrubensand mit eckigen Körnern und einem hohen Lehmanteil, hart wie Beton, der zusätzlich mit einem Presslufthammer festgeklopft wird. So überstehen die filigran verzierten Meisterwerke sogar Regengüsse und Stürme. An seiner aktuellen Skulptur mit dem Titel „Klimawandel ist eine unbequeme Wahrheit“ hat er eine Woche von morgens bis abends gefeilt: Zu sehen sind ein Menschenkopf, darüber ein abgeholzter Baumstamm, vor dem drei Affen hocken, die ihre Augen, Ohren und Münder verschließen – und damit die Ignoranz symbolisieren.
„Sand ist mein Leben. Ich denke pausenlos darüber nach, wie ich meine Sandkunst weiterentwickeln kann. Ständig geistert mir durch den Kopf: Was wäre die beste Skulptur, die ich den Besuchern zeigen kann.“
Und das schon seit seinem neunten Lebensjahr. Sudarsan Pattnaik wächst in Ostindien direkt an der Küste auf.
„Mit fünf Dollar im Monat mussten wir zu sechst auskommen. Es war eine sehr harte Zeit.“
Das Geld für die Schulbücher können die alleinerziehende Mutter und die Großmutter für Sudarsan und seine drei kleineren Brüder nicht aufbringen. Der Junge muss im Haus eines reicheren Inders arbeiten. Doch vor der Arbeit läuft er jeden Morgen zum Strand, türmt Sandburgen und Figuren auf.
„Viele fragten mich damals: ‚Warum machst Du das? Du verschwendest deine Zeit! Diese Kunst ist so vergänglich. Jeden Tag kommt das Wasser und spült alles wieder fort.‘ Aber ich hatte mir in den Kopf gesetzt, diese Kunstform weiter zu entwickeln.“
Anfangs kreiert er die Gesichter indischer Gottheiten. Doch nur schön verzierte Skulpturen, das reizt den 33-Jährigen bis heute nicht. Vielmehr will er den Betrachtern die großen, brisanten Themen des Weltgeschehens vor Augen führen: den Klimawandel, Aids, Terrorismus oder die Tsunamikatastrophe von 2004.
„"Als die Tsunamiwelle kam, dachte ich: Was kann ich als Künstler tun? Also formte ich eine riesige Skulptur am Strand mit dem Spruch: ‚Helft den Tsunamiopfern!‘ Am nächsten Tag druckten Zeitungen auf der ganzen Welt das Foto, um die Menschen zum Spenden aufzurufen.“
Da merkte Sudarsan Pattnaik, was seine vergängliche Kunst dauerhaft bewirken kann. Der arme Junge aus der Provinz ist ein weltweit anerkannter Künstler geworden, der für Wettkämpfe bereits in vierzig Länder reiste. Er traf den Dalai Lama, die indische Staatspräsidentin. In seiner Heimat leitet er inzwischen ein Institut für Sandkunst. Seine Kunst entwickelt er begierig weiter. Die neueste Form: Sandanimationen, die er auf seiner Internetseite zeigt.
„Ich streue einfach trockenen Sand auf eine Glasscheibe und dann strömt die Fantasie durch dieselben Finger.“
Eine Kamera filmt von oben, wie sich die Silhouette eines Mannes über eine Glasscheibe beugt, die Hände Sand verwischen und dann der Zeigefinger Furche um Furche einen riesigen Tempel – der an das indische Taj Mahal erinnert – kreiert. Auf diese Weise erschafft Sudarsan Pattnaik ganze Märchen.
Trotz seiner Erfolge wirkt er keineswegs abgehoben, eher zurückhaltend schüchtern. Lächelt jungenhaft verlegen, als er auf dem Festival „Sandsation“ den Publikumspreis entgegen nimmt. Und auch mit 33 Jahren hat er noch Träume:
„Mein größter Traum ist ein Sandskulpturen-Park, denn ich kann natürlich auf meinen Reisen nirgendwo lange bleiben. Den Park könnten Besucher ganzjährig besuchen. Ich bräuchte ungefähr vier oder fünf Hektar Land. Ich habe so viele Ideen für Skulpturen im Kopf und mit meinen Studenten die besten Sandkünstler vor Ort.“
Einst galten seine Skulpturen bei Verwandten und Nachbarn als Hirngespinste – heute ernähren sie die ganze Familie. Das erinnert an ein kitschiges Bollywoodmärchen mit Happy End – doch manchmal kann auch das Leben selbst solche Geschichten schreiben. Inzwischen hat Sudarsan eine zweijährige Tochter. Ob die mal seine Pläne weiterführt? Natürlich wisse er das jetzt noch nicht, sagt er lächelnd:
„Aber wenn sie später mal Sandskulpturen bauen würde, würde mich das sehr glücklich machen. Aber wie auch immer: Sie wird die Freiheit haben, das zu tun, was immer sie will.“
Denn er weiß selbst zu gut: Diese Freiheit war es, die ihm sein Happy End erst ermöglicht hat.
Link zum Thema:
Homepage des Festivals Sandsation 2010