Ein Lebemann umschifft das Leid

David Vogel beschreibt die Geschichte eines Sorglosen. Der Protagonist des Buches spaziert Anfang des 20. Jahrhunderts durch Wien und umgibt sich mit den Schönen und Reichen. Dem oberflächlichen Trubel stellt der Autor das ärmliche Leben der jüdischen Immigranten gegenüber.
Michael Rost ist ein junger Mann, dem das Glück hold ist: Eben erst aus der fernen Provinz der der k. und k.-Monarchie in die Reichs- und Residenz-Hauptstadt gekommen, fliegen dem 18-Jährigen die Herzen der Frauen ohne große Anstrengung zu. Er hat keine finanziellen Sorgen und keine Pläne für Studium oder Arbeit. Er mietet ein Zimmer in einer geräumigen Innenstadt-Wohnung, beginnt ein Verhältnis mit der Frau des Hauses, Gertrud Stift, alsbald auch mit deren 16-jähriger Tochter Erna.

Der bisher kaum bekannte Autor David Vogel wird gerne in einem Atemzug mit Arthur Schnitzler genannt. Wie bei diesem wird auch Vogels Wiener Bühne von der saturierten, mitunter lebensüberdrüssigen Gesellschaft der untergehenden Donaumonarchie bevölkert, auch bei ihm knistert es unüberhörbar im Gebälk der bürgerlichen Moral. Doch anders als Schnitzlers gelangweilte dekadente Protagonisten wie Anatol oder dessen Freund Max kommt Vogels Hauptperson Rost nicht aus dem echten Adel oder Geldadel.

Um ihn dennoch mit sorgenfreier Existenz auszustatten, erfindet der Autor für ihn eine Zufallsbekanntschaft, den Millionär Peter Dean, der es mit zweifelhaften Geschäften in Amerika zu großem Reichtum gebracht hat und in Rost sich selbst in jungen Jahren wiederzufinden meint. Deshalb stellt er ihm ausreichend Mittel zur Verfügung, damit dieser ein luxuriöses Leben führen kann. Offenbar lässt der Autor bei der Darstellung seiner Hauptfigur auch Autobiografisches seiner eigenen frühen Jahre in Wien einfließen, lediglich hatte der junge Vogel, als er nach Wien kam, keinen Millionär, der ihn seiner Geldsorgen hätte entheben können.

Michael Rost ist aber kein Sympathieträger, sondern ein kühler Egozentriker, der Hunger aufs Leben hat, sich nimmt, wonach im der Sinn steht, dem aber nichts ferner liegt, als sich in die Niederungen der Arbeitswelt zu begeben.

Der Autor zeigt eine hohle Welt am Abgrund. Ihr stellt er die der jüdischen Immigranten gegenüber, jene, die nichts haben, Stammgäste in einem jüdischen Gasthaus in der Leopoldstadt sind und dort einander mit vermeintlich bedeutsamen Biografien beeindrucken wollen, was ihre jämmerliche Existenz noch erbärmlicher macht Er überzeichnet dabei manche Charaktere mitunter mit etwas zu grellen Farben.

Einen genauen Blick hat Vogel auf die Kulisse, vor der sein Roman spielt: Die Sonne, die sich ihren Strahlenweg durch Wien bahnt, den Regen, die Farben der Nacht. Dienstmädchen, die Krüge mit Bier aus Lokalen in die Häuser ihrer Herrschaften bringen, rufende Eisverkäufer, dösende Kutscher . Es sind Zeitdokumente des Wien kurz nach 1900.

Nur eine Handvoll Orte in der Stadt nennt der Autor immer wieder beim Namen: Den Ring, den Donaukanal, den Prater, den Volksgarten. Wenn Personen einkehren, dann sind das regelmäßig Kaffeehäuser. Diese Beschränkung lässt manche Szenen redundant erscheinen.
Ganze Handlungsstränge werden allerdings später nicht mehr aufgenommen, der Roman selbst läuft zum Schluss aus, ohne Pointe oder Auflösung noch offener Erzähl-Äste.

Das liegt daran, dass es sich bei "Eine Wiener Romanze" um ein Jugendwerk von David Vogel handelt. Den Roman, vermutlich in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts entstanden, legte er dann zur Seite, bearbeitete ihn zwar später, doch stellte er ihn nie fertig. Erst 2010 wurde das 15 eng beschriebene Bögen umfassende Manuskript in Vogels Nachlass in Tel Aviv entdeckt.

Auch wenn manche Figur in der Charakterzeichnung zu blass oder zu eindeutig erscheinen und die Handlung an einigen Stellen offen bleiben mag, zeichnet der Roman doch facettenreiche Bilder, Milieus und Personen. Auf alle Fälle ist er ausgezeichnete Nahrung für Wien-Nostalgiker.

Besprochen von Stefan May

David Vogel: Eine Wiener Romanze
Aufbau Verlag, Berlin 2013
316 Seiten, 22,30 Euro
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