Ein Land will raus aus der Isolation

Von Ulrich Leidholdt |
Die Isolationsstrategie von Ex-US-Präsident Bush ist gescheitert: Syrien ist von der "Achse des Bösen" zurückgekehrt in die Weltpolitik. Auch wenn Washington und Damaskus auch jetzt alles andere als Freunde sind, hat Bush-Nachfolger Obama nach fünf Jahren erstmals wieder einen Botschafter nach Damaskus geschickt. Sein Nahostbeauftragter Mitchell sagt jetzt, Syrien spiele eine "ausschlaggebende Rolle" bei der Suche nach Stabilität im Nahen Osten. Damaskus ist wieder erstarkt und die Syrer selbst verbinden mit der außenpolitischen Öffnung auch die Hoffnung auf mehr Freiheit im Innern, wie unser Korrespondent Ulrich Leidholdt berichtet.
Fußballänderspiel im Nationalstadion von Damaskus - Syrien gegen Schweden. Nicht so sehr das 1:1 sorgt für Hoffnung in einem Land, das - von George Bush auf die Achse des Bösen gesetzt - wieder mitspielen will und soll auf internationalem Parkett.

Syriens Ziel: Wieder mitspielen, die Isolation auflösen, die das Land jahrelang umgab wegen seiner Freundschaft zum Iran, seinen engen Beziehungen zu den vom Westen mit dem Terrorstempel gebrandmarkten Organisationen Hisbollah im Libanon und Hamas in Gaza und wegen des Verdachts, Syrien stecke hinter dem Mord am libanesischen Premier Hariri.

Noch ist nicht jeder in Syrien davon überzeugt, dass die USA unter Präsident Obama wirklich einen anderen Kurs gegenüber ihrem Land und dem Nahen Osten einschlagen wollen wie dieser Fotograf in einem Damaszener Caféhaus.

"Ach wissen Sie, ich bin 66 Jahre alt und habe viele US-Präsidenten kommen und gehen sehen. Alle machen Versprechungen, die sie nie halten, wenn sie erst mal im Amt sind!"

Doch verstärkt sich bei vielen nach Jahren der Abschottung und dem Gefühl, als vermeintlicher Schurkenstaat nicht gewollt zu sein, auch die Sehnsucht nach Veränderung. Hoffnung auf internationale Öffnung und vielleicht größere Freiheiten auch zu Hause erzeugt neues Selbstbewusstsein wie bei diesem Kartenspieler.

"Ich glaube, Syrien ist heute stärker als früher. Syrien hat dem Druck widerstanden. Wir müssen keine Angst vor amerikanischer Aggression haben. Das Verhältnis zwischen den USA und anderen Ländern ist doch eher davon bestimmt, was man voneinander hat und nicht von Militäraktionen."

Ähnlich drückt es Samir Seifan aus. Er berät von seinem schicken Büro in Damaskus aus Politiker, außerdem in- und ausländische Firmen. Als einer der wenigen syrischen Experten reiste er nach Obamas Amtsantritt zu Sondierungsgesprächen nach Washington.

"Bis jetzt sehen wir Obama positiv. Syrien will mit ihm und den USA zusammenarbeiten. Ohne die USA gibt es keinen Frieden. Wenn alle am Verhandlungstisch sitzen sollen, dann braucht es die USA, ihre Garantien, ihre Macht. Wir begrüßen das – nein: Wir bitten die USA darum. Sie spielen einfach die Schlüsselrolle."

Syrische Hoffnungen und Erwartungen in Richtung Washington. Sicher: Seit Jahresfrist hat man in Damaskus manchen Kongressabgeordneten oder schon drei Mal den US-Sondergesandten für Nahost, George Mitchell, begrüßen dürfen. Auch will bald wieder ein amerikanischer Botschafter dort sein Beglaubigungsschreiben überreichen. Doch Zählbares sei weiterhin rar, gibt Samir Seifan zu bedenken.

"Viel geändert hat sich noch nicht. Es gibt eine Menge Versprechen, Ansätze. Das allein stellt Syrien aber nicht zufrieden. Wir brauchen Ergebnisse."

Fortschritte, die Syrien zusammen mit den USA und zum eigenen Vorteil zu erreichen wünscht, die mahnt in fließendem Englisch der in London zum Augenarzt ausgebildete Präsident Bashar al-Assad in westlichen Medien an, seit vor 15 Monaten die Wende in Washington feststand.

Obama solle sich für den Nahost-Frieden stark machen – dann stünden ihm in Damaskus alle Türen offen.

Syrien braucht die Vereinigten Staaten, deren Vorgängerregierung es mit Nordkorea und Iran gleichsetzte. Denn Syrien verfolgt ein nationales Ziel.

Wir sind unterwegs Richtung Süden. Gut 60 Kilometer sind es von Damaskus bis nach Quneitra, der Hauptstadt des Bezirks Golan. Seine weltweit bekannten Höhenzüge sind seit bald 43 Jahren unter israelischer Kontrolle. Nur das einstige Zentrum der fruchtbaren und früher strategisch bedeutenden Region ist wieder in syrischer Hand, gesichert von UN-Soldaten.

Heute ist Quneitra, einst Heimat für 30.000 Menschen, eine Geisterstadt. Häuser, das Hospital, Kirchen und Moscheen – alles zerstört. Von Israel. Mohammed Ali, Leiter des staatlichen Informationszentrums in Quneitra, braucht zehn Minuten für die offizielle syrische Version.

Syrien habe sich ernsthaft für einen gerechten, umfassenden und dauerhaften Frieden eingesetzt, der das Recht aller garantiere, auf internationalen Resolutionen basiere, auf dem Prinzip Land für Frieden, auf der Grundlage der Konferenz von Madrid, sagt Mohammed Ali. Aber Israels Unnachgiebigkeit verhindere Frieden.

Die Rückgabe des Golan ist für Syrien das Thema schlechthin. Frieden mit Israel – ja. Aber die vollständige Heimkehr der besetzten und später annektierten Höhen ist ein nationales Muss – so auch für Politik-Berater Seifan.

"Das ist unser Land, wir haben ein Recht darauf. Kein Staat akzeptiert die Besetzung seines Landes. Die Wurzel aller Probleme in unserer Region ist die Besatzung: Golanhöhen, Sheeba-Farmen, Westbank, Gaza – alles seit 1967 von Israel okkupiert."

Ein Jahr lang hat Syrien mit Israel verhandelt, indirekt, unter türkischer Vermittlung. Seit Israels Angriff auf Gaza herrscht Funkstille. Jetzt zeigt Damaskus Seite an Seite mit Washington Interesse an einer Wiederaufnahme der Gespräche. Doch Israel will nicht. Syrien steht plötzlich nicht mehr als Verhinderer da, sondern präsentiert sich konstruktiv.

Doch Damaskus strebt kein Ergebnis um jeden Preis an. Halbe Sachen könnte Präsident Bashar al-Assad seinem 20-Millionen-Volk angesichts der hochgepuschten Erwartungen nicht verkaufen. Die türkische Besetzung Syriens habe 400 Jahre gedauert, sagen die Menschen - was sind da vier Jahrzehnte?

Das Ergebnis muss also stimmen. Ein Ende des noch immer bestehenden Kriegszustands mit Israel könnte allerdings auch lange ersehnte innenpolitische Lockerungen mit sich bringen, hoffen viele Syrer.

"Veränderungen in Syrien müssen von innen kommen, nicht aus dem Ausland. Obama spielt keine große Rolle. Hier muss es passieren. Obama ist ja auch kein Experte für die arabische Welt. Von unseren Problemen versteht der wenig."

Mehr innere Freiheit in einem Land, das seit fast fünf Jahrzehnten mit Ausnahmerecht regiert wird und in dem abweichende Meinungen schnell ausgedehnte Haftstrafen nach sich ziehen können – auch Analyst Seifan sieht hier Handlungsbedarf.

"Syrien konzentriert sich mehr auf den wirtschaftlichen als den politischen Wandel. Ist ein Land äußerem Druck ausgesetzt, dann versucht der Staat, die Gesellschaft stärker zu kontrollieren. In Syrien wird viel diskutiert über Politik, Bewegungsfreiheit und Menschenrechte. Doch es stimmt: Außenpolitisch sind wir derzeit flexibler als im Innern."

Zu dieser Flexibilität gehört auch, dass Syrien, wo Religion Privatsache ist, trotz äußerem Druck und Sanktionen, die Staat und Bevölkerung hart treffen, weiter gute Kontakte mit dem Gottesstaat Iran und den Islamisten von Hamas und Hisbollah unterhält. Samir Seifan nennt das clever, stellt aber klar:

"Hisbollah im Libanon hat enge Beziehungen zu Syrien, aber sollten sie versuchen, sich bei uns zu etablieren, kommen sie ins Gefängnis. Für Hamas und Hisbollah gibt es in der syrischen Gesellschaft keinen Platz. Wir unterstützen Hisbollah im Libanon und Hamas in Palästina, aber nicht bei uns."

Durchaus denkbar, dass Obama, der unter Bush verlorenen Kredit im Nahen Osten zurückgewinnen will, auf Syriens gute Verbindungen zu den Außenseitern setzt, wenn man so einer Friedensregelung näher kommen kann – zumindest kann er damit rechnen, dass Syrien sie im eigenen Interesse an der kurzen Leine führt.

Doch klar ist auch, dass sich Syriens Führer der strategischen Rolle im Nahostkonflikt wohl bewusst ist, sodass er sich seinen eigenen Kopf leisten kann. In der arabischen Welt zahlt sich solche Stur- oder Standhaftigkeit – je nach Blickwinkel - für jenen Mann aus, der in Kürze zehn Jahre im Amt ist und anfangs nicht nur im Westen als politisches Leichtgewicht unterschätzt wurde – Präsident Bashar al-Assad. Die Meinungsumfrage eines angesehenen US-Instituts auf arabischen Straßen weist ihn als populärsten Führer in Nahost aus.

"Er stellte sich gegen die Besetzung Iraks und Israels Angriff auf Gaza. Normalen Arabern ist das sehr wichtig. Für sie ist Assad die Nummer Eins. Sie sind wütend auf Israel und die Amerikaner und erkennen an, dass Assad sich beiden entgegengestellt hat – deshalb lieben sie seinen Charakter und seine Persönlichkeit."

Doch ohne zügigen wirtschaftlichen Aufschwung könnte Assads Stern im eigenen Lager sinken. Zwar finden sich in Damaskus überall Edel-Boutiken, Elektronikshops und Luxusautos. Es scheint an nichts zu fehlen – Voraussetzung: Man verfügt über die nötigen syrischen Pfund oder Dollar.

Doch 30 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, müssen mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen. Deshalb braucht Assad für den Aufschwung politische Erfolge wie etwa die jüngste Entspannung mit Nachbar Libanon, auch deshalb seine Verhandlungsbereitschaft mit Israel und die neue Allianz mit den USA. Die EU und Deutschland erwartet Syrien bei seinem politischen Aufbruch nicht nur als Handelspartner, verdeutlich Samir Seifan.

"Deutschland ist doch ein Hauptakteur in Europa. Mit der EU könnte es seinen Einfluss in unserer Region verstärken. Wirtschaftlich ist Europa ein Riese, aber politisch geht es hinter den USA in Deckung. Israel schnürt Gaza von der Außenwelt ab. Wir können nicht verstehen, dass Deutschland bei den Treffen mit der israelischen Regierung nicht mehr Druck auf Israel ausübt, dass es sich dem Frieden zuwendet."

Syriens Nachbar Türkei hat sich nicht nur mit diplomatischer Vermittlung bereits Vorsprung und Vertrauen in Damaskus erarbeitet.

"Die Türkei will sich in der Region engagieren, die Beziehungen zu ihren Nachbarn verbessern und vorhandene Konflikte lösen - und das macht sie gut. Wir wissen, dass die Türkei gute Beziehungen zu Israel und den USA unterhält. Das ist in Ordnung und wir begrüßen das. Unser Verhältnis zur Türkei ist vielversprechend, die Wirtschaftskontakte nehmen ständig zu."

Türkische LKW, türkische Hotelketten und Touristen aus dem Nachbarland sind unübersehbar. Sie werden dringend für den wirtschaftlichen Fortschritt benötigt, der die politische Öffnung Syriens flankieren soll und muss. Die Syrer hoffen auch hier auf einen Aufschwung und mehr Bereitschaft im Westen. An entsprechenden Einladungen wie durch den in Wismar und Leipzig ausgebildeten Bauingenieur Bader Shahin, der im Zweitjob durch die antike Oasenstadt Palmyra führt, fehlt es jedenfalls nicht.

"Kommen Sie – Land sicher, Menschen nett, gastfreundlich. Kann man nur spüren, wenn man im Land war."