Ein kurioses Nahrungsergänzungsmittel
Der Wunsch schöner, jünger und gesünder auszusehen, begleitet die Menschheit mit ähnlicher Aufdringlichkeit wie die Mäuse seine Speisekammern. Eines der populärsten Schönheits- und Anti-Aging-Präparate war das Arsen - das traditionelle Mäusegift.
Haben die Menschen nicht gemerkt, dass ein Stoff, den sie regelmäßig zum Vergiften von Mäusen und Ratten nahmen, nicht auch für sie schädlich sein kann? Wenn etwas Schönheit und Jugend verspricht, kaufen und schlucken es die Menschen, sonst gäbe es den heutigen Markt der Nahrungsergänzungsmittel nicht. Auch da wird so manches geschluckt, das das Leben verkürzen kann. Im Fall des Arsens muss man allerdings sagen, dass es sogar in einem Punkte gewirkt hat – Mensch und Tier bekamen vom Arsen ein blühendes Aussehen. Das ist sicherlich auch der Grund, warum es zu den populärsten Nahrungsergänzungsmitteln der Vergangenheit gehörte. Das Zeug ist seit dem Altertum in Gebrauch – sowohl als Rattengift wie auch als Schönheitsmittel.
Dazu zählen wohl auch die Arsenikesser in Bayer und Tirol. Richtig, aber die Herren nahmen das natürlich nicht wegen der Schönheit, sondern wegen der Potenz. Der Gebrauch wurde über die Bergleute volkstümlich. Die aßen das Arsen in Form von "Hidrach", also Hüttenrauch, regelmäßig in kleinen Mengen. Hüttenrauch entstand nämlich beim Erzrösten. Das Zeug steigerte die körperliche Leistungsfähigkeit. Beim Steigen im Gebirge bzw. beim Tragen von Lasten erleichterte Arsenik das Atmen, (wie das Kauen von Cocablättern in den Anden). Die Bewohner der Alpen nahmen das Arsen "ähnlich wie Kandiszucker" und ließen es im Mund "langsam vergehen" (Freiherr von Bibra). Gleichermaßen erhielten Arbeitspferde, "welche Lastwagen über steile Gebirge ziehen müssen", Arsenik. Auch das Vieh wurde damit gefüttert, weil es dadurch schneller an Gewicht zunahm.
Wenn man davon dick wird, ist das Produkt heute natürlich inaktzeptabel. So ändern sich die Zeiten. Ein Standardwerk über Genussmittel (!) aus dem Jahr 1855 verrät, dass Arsen gegessen wurde, "um ein gesundes und wohlbehäbiges Aussehen zu bekommen. So nehmen häufig junge Leute beiderlei Geschlechts aus Liebe Arsenik, nicht im tragischen oder poetischen Sinne, um vereint sich im Tode wenigstens angehören zu dürfen, ... sondern ganz ordinär, um fett zu werden." Leider wurde dabei in Erwartung schwellender Fettpölsterchen des Öfteren überdosiert, so dass daran manch eine Liebeshungrige wie die vergifteten Schadnager in der Speisekammer einging.
Es heißt ja, die Menschen hätten es eingenommen, um sich vor Vergiftungen zu schützen. Und zu diesem Zweck die Dosis immer weiter erhöht. Ja, so lautet die offizielle Begründung. Ich glaube aber, dass die Triebkraft eine ganz andere war. Das eine ist, dass beim Absetzen massive Entzugserscheinungen auftreten können, zum anderen ist bekannt, dass bei Arsenikessern mit der Zeit eine Gewöhnung eintritt und sie dann die Dosis erhöhen. Zudem gilt natürlich bei allen Wunderstoffen, egal ob Vitamin oder Arsen, die Vorstellung "viel hilft viel". Daher kam es zu tödlichen Vergiftungen, wenn die Dosissteigerung zu groß war. Dann mussten die Gerichtsmediziner klären, ob es sich bei den Toten um Giftmordopfer handelte oder um Arsenikesser, die zuviel Anti-Aging-Medizin erwischt hatten.
Und was sagten die Ärzte dazu? Die Mehrzahl verdiente sich ihre Brötchen damit. Sie verschrieben fleißig Arsen als sogenannte Fowlersche Lösung. Populär waren auch arsenhaltige "asiatische Pillen" und Mineralwässer, die im 19. Jahrhundert im Rahmen von Arsenkuren verabreicht wurden. Im Großen Brockhaus von 1928 lesen wir: "Zur allgemeinen Kräftigung bei Asthenikern und Nervösen, bei verschiedenen Blut- und Hautkrankheiten und, da Arsenik den Ansatz der Nahrungsstoffe im Körper begünstigt, bei mangelhaftem Eiweiß- und Fettansatz und bei Störungen des Knochenbaues (Osteomalazie)".
Ganz unter uns: Wann wurde das letzte Mal Rattengift als Mittel zur Förderung von Schönheit und Gesundheit verkauft? Das hat sich bis heute nicht geändert. Ein populäres Vitamin ist zugleich das einzige vollwirksame Rattengift, gegen das diese Nager noch keine Resistenz ausbilden konnten.
Literatur:
Pollmer U, Warmuth S: Pillen, Pulver, Powerstoffe. Die falschen Versprechungen der Nahrungsergänzungsmittel. Eichborn, Frankfurt/M. 2008
Lewin L: Phantastica. Die betäubenden und erregenden Genußmittel. Georg Stilke, Berlin 1927
Freiherr von Bibra E: Die narkotischen Genußmittel und der Mensch. Wilhelm Schmid, Nürnberg 1855
Der Große Brockhaus. FA Brockhaus, Leipzig 1928
Dazu zählen wohl auch die Arsenikesser in Bayer und Tirol. Richtig, aber die Herren nahmen das natürlich nicht wegen der Schönheit, sondern wegen der Potenz. Der Gebrauch wurde über die Bergleute volkstümlich. Die aßen das Arsen in Form von "Hidrach", also Hüttenrauch, regelmäßig in kleinen Mengen. Hüttenrauch entstand nämlich beim Erzrösten. Das Zeug steigerte die körperliche Leistungsfähigkeit. Beim Steigen im Gebirge bzw. beim Tragen von Lasten erleichterte Arsenik das Atmen, (wie das Kauen von Cocablättern in den Anden). Die Bewohner der Alpen nahmen das Arsen "ähnlich wie Kandiszucker" und ließen es im Mund "langsam vergehen" (Freiherr von Bibra). Gleichermaßen erhielten Arbeitspferde, "welche Lastwagen über steile Gebirge ziehen müssen", Arsenik. Auch das Vieh wurde damit gefüttert, weil es dadurch schneller an Gewicht zunahm.
Wenn man davon dick wird, ist das Produkt heute natürlich inaktzeptabel. So ändern sich die Zeiten. Ein Standardwerk über Genussmittel (!) aus dem Jahr 1855 verrät, dass Arsen gegessen wurde, "um ein gesundes und wohlbehäbiges Aussehen zu bekommen. So nehmen häufig junge Leute beiderlei Geschlechts aus Liebe Arsenik, nicht im tragischen oder poetischen Sinne, um vereint sich im Tode wenigstens angehören zu dürfen, ... sondern ganz ordinär, um fett zu werden." Leider wurde dabei in Erwartung schwellender Fettpölsterchen des Öfteren überdosiert, so dass daran manch eine Liebeshungrige wie die vergifteten Schadnager in der Speisekammer einging.
Es heißt ja, die Menschen hätten es eingenommen, um sich vor Vergiftungen zu schützen. Und zu diesem Zweck die Dosis immer weiter erhöht. Ja, so lautet die offizielle Begründung. Ich glaube aber, dass die Triebkraft eine ganz andere war. Das eine ist, dass beim Absetzen massive Entzugserscheinungen auftreten können, zum anderen ist bekannt, dass bei Arsenikessern mit der Zeit eine Gewöhnung eintritt und sie dann die Dosis erhöhen. Zudem gilt natürlich bei allen Wunderstoffen, egal ob Vitamin oder Arsen, die Vorstellung "viel hilft viel". Daher kam es zu tödlichen Vergiftungen, wenn die Dosissteigerung zu groß war. Dann mussten die Gerichtsmediziner klären, ob es sich bei den Toten um Giftmordopfer handelte oder um Arsenikesser, die zuviel Anti-Aging-Medizin erwischt hatten.
Und was sagten die Ärzte dazu? Die Mehrzahl verdiente sich ihre Brötchen damit. Sie verschrieben fleißig Arsen als sogenannte Fowlersche Lösung. Populär waren auch arsenhaltige "asiatische Pillen" und Mineralwässer, die im 19. Jahrhundert im Rahmen von Arsenkuren verabreicht wurden. Im Großen Brockhaus von 1928 lesen wir: "Zur allgemeinen Kräftigung bei Asthenikern und Nervösen, bei verschiedenen Blut- und Hautkrankheiten und, da Arsenik den Ansatz der Nahrungsstoffe im Körper begünstigt, bei mangelhaftem Eiweiß- und Fettansatz und bei Störungen des Knochenbaues (Osteomalazie)".
Ganz unter uns: Wann wurde das letzte Mal Rattengift als Mittel zur Förderung von Schönheit und Gesundheit verkauft? Das hat sich bis heute nicht geändert. Ein populäres Vitamin ist zugleich das einzige vollwirksame Rattengift, gegen das diese Nager noch keine Resistenz ausbilden konnten.
Literatur:
Pollmer U, Warmuth S: Pillen, Pulver, Powerstoffe. Die falschen Versprechungen der Nahrungsergänzungsmittel. Eichborn, Frankfurt/M. 2008
Lewin L: Phantastica. Die betäubenden und erregenden Genußmittel. Georg Stilke, Berlin 1927
Freiherr von Bibra E: Die narkotischen Genußmittel und der Mensch. Wilhelm Schmid, Nürnberg 1855
Der Große Brockhaus. FA Brockhaus, Leipzig 1928