Ein König ist solo

Von Elske Brault |
Eigentlich sind für Shakespeares "Richard II." rund 30 Personen vorgesehen. Regisseurin Cornelia Rainer hat in ihrer Inszenierung auf die Menschenschar verzichtet - und bringt das Stück mit nur einem einzigen Darsteller auf die Bühne.
Richard II., ein Stück mit - vom König über die Höflinge bis hin zu Herolden und Dienern - 30 Personen in der Besetzungsliste, verdichtet die junge Regisseurin Cornelia Rainer zum Monolog der Hauptperson. Der Coup gelingt, denn Shakespeares Drama ist vor allem eine philosophische Reflexion über das Wesen von Herrschaft, gekleidet in poetische Verse. Die Schönheit dieser Sprache arbeitet die Inszenierung heraus, sie ist jedoch ein vor allem intellektuelles Vergnügen für Kenner des Originals.

Richard II. wird nicht zufällig so selten gespielt. Obwohl in Shakespeares Königsdrama immer von Heeren die Rede ist, kommt es nie zur Schlacht. Und obwohl zwei Widersacher um den Königsthron ringen, Richard II. nämlich und Bolingbroke, der ihn zur Abdankung zwingt, fehlen die faszinierenden Figuren: ein charismatischer Bösewicht wie Richard III. oder ein zögernder Mörder wie Macbeth. Bis zur Hälfte des Stücks hat Richard II. kaum Text, wie in einer Zeitzeugen-Kompilation Walter Kempowskis äußern sich verschiedene dem König nahestehende Personen über dessen Herrschaft. Richard selbst als Zentrum der Macht kommt erst in dem Moment zu Wort, da er diese Macht im dritten Akt verliert.

Und so erzählen Cornelia Rainer und ihr einziger Darsteller Sven-Eric Bechtolf die Geschichte folgerichtig vom Ende her, vom Tod im Kerker: Auf der schwarz ausgeschlagenen Bühne rollt der weiß gekleidete Richard über den schrägen Bühnenboden aufs Publikum zu, spuckt Blut, stirbt. In seinen Erinnerungen arbeitet er sich immer weiter zurück. Bechtolf übernimmt dabei verschiedene Rollen, spricht mit Greisenstimme den alten Gaunt, den Vater seines Gegners Bolingbroke, oder auch abwechselnd Bolingbroke und Richard. Alle Massenszenen des Stücks sind auf Dialoge reduziert, die Bechtolf mit erstaunlicher Präsenz über anderthalb Stunden präsentiert. Eine Mammutleistung: Mit wechselnden Stimmen und Stimmungen, mit tänzerischen Bewegungen und musikalischem Sprachverständnis bringt Bechtolf die Shakespeare-Verse in der Übersetzung von August Wilhelm Schlegel zum Klingen.

"Texte zum Klingen bringen" - das hat auch Regisseur Nicolas Stemann als Problemstellung für das Theater formuliert, das scheint nach den bildmächtigen Inszenierungen eines Andreas Kriegenburg oder Tomaz Pandur das neue Programm des Intendanten Joachim Lux für das Thalia Theater. Ob Stemanns Inszenierung von "Nathan der Weise", ob "Marx-Saga" oder "The Truth about the Kennedys": Das Thalia wird unter der neuen Intendanz zum Vortragssaal. Auch wenn wohl selten eine "Nathan"-Interpretation so glasklar alle Schichten des Textes heraus gearbeitet und zugleich die Fallstricke von Lessings Idealismus offen gelegt hat, allen genannten Inszenierungen haftet eine gewisse Blutleere an.

Und so ist auch dieser "Richard II. – Solo eines Königs" nicht gerade das, was man Freunden und Familie als aufregenden Theaterabend empfiehlt. Trotz der geschickten Inszenierung, trotz des bewunderungswürdigen Bühnenbildes: Das die gesamte Rückwand füllende Gemälde wird sich hoffentlich ein Unternehmen mit entsprechend großem Empfangssaal als Raumdekoration sichern, mitsamt der Beleuchtung, die auf dem abstrakten Himmelsbild Tag und Nacht, Sonnenauf- und -untergänge suggeriert. Das Premierenpublikum bejubelte zu Recht Sven-Eric Bechtolf. Doch ob dessen Starfaktor reichen wird, um Zuschauer auch in die regulären Vorstellungen zu ziehen, ist zweifelhaft.