Ein Knochenjob für Forscher

Von Peter Marx · 30.09.2012
In mühseliger Kleinarbeit analysieren Archäologen zahlreiche Knochenreste, Metallteile und Skelettreste vom Tollense-Tal in Mecklenburg-Vorpommern. Dort liegt das einzige bekannte Schlachtfeld nördlich der Alpen aus der Bronzezeit.
Christoph Hues rutscht auf den Knien behutsam um eine rote Marke und kratzt mit einem Maurer-Schaber Millimeter für Millimeter über den Boden, der bedeckt ist mit vielen kleinen roten Punkten. Fundstellen? Hues lächelt. Der Student der Humanbiologie ist heute erstmals dabei als Grabungshelfer und darf an neue Funde noch nicht ran:

"Das sind Eisenrückstände von Schilfgras, das hier verrottet ist und eisenhaltig ist. Es kann hier sehr hart sein, hier, also ein Knödel dann übrigbleiben. Das macht stärkeres Kratzgeräusch wenn man darüber fährt."

Vorsichtig krabbelnd umrundet der 28-Jährige die rote Marke, genau beobachtet von Projektleiterin Gundula Liedke:

"Ja, das ist eine Fundmarkierung. Da steckt wahrscheinlich ein kleiner Knochensplitter noch in der Schicht und damit er beim weiteren Freilegen nicht übersehen wird, ist er mit einer kleinen roten Nadel markiert."

Heute, sagt die Archäologin, "ist nicht viel los". Aufräumarbeiten. Die Fundschicht, rund einen Meter unter der Grasnarbe, ist in den letzten Wochen völlig ausgeräumt worden. In Handarbeit, ohne Bagger. Das Ergebnis: Hunderte von Knochensplitter, Ellen, Speichen, Oberschenkelknochen und einige Schädel.

"Wir machen es eben so, dass wenn die Fundschicht mit den Skelettresten dokumentiert ist, dann schauen wir noch mal eine Etage tiefer, damit uns auch nichts entgeht, damit die auch etwas tiefer liegenden Knochenreste noch geborgen werden können. Deswegen hat man am Ende eine sterile Fläche, auf der nichts mehr zu sehen ist."

Das circa 20 Quadratmeter große Grabungsfeld liegt am Ufer des Flusses Tollense, der sich träge durch ein schmales Tal windet. Bei einer Paddeltour entdeckte 1996 der ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger Ronald Borgwardt mehrere menschliche Knochen, die aus einer Abbruchkante des Ufers herausragten. Es war der Fund seines Lebens. Inzwischen wurden tausende von Knochen gefunden. Archäologen vermuten, dass es sich hier um das einzige bekannte Schlachtfeld nördlich der Alpen handelt.

"Wir wissen, dass es eine Fundschicht der Bronzezeit ist. Wir wissen, dass die Datierung der Skelettreste und einzelner Holzreste, die zur Fundschicht gehören, auf den Zeitraum circa 1300 vor Christus weisen, also ein Ereignis, das an Skelettresten datierungsmäßig immer wieder bestätigt wird. Wir wissen, dass es an den Skelettresten Verletzungsspuren gibt, zum Teil unverheilte, zum Teil verheilte. Wir wissen, dass wir Waffenfunde hier aus der Fundschicht haben und darüber hinaus aus dem Tal auch weitergehend. Wir sehen, dass es sich großteils um männliche Individuen im jungen Erwachsenenalter handelt und von daher hat sich diese Theorie, dass es sich um einen Fund mit gewaltsamem Hintergrund handelt, herausgebildet."

Schloss Willigrad an Stadtrand von Schwerin. In der alten Bibliothek des Schlosses stapeln sich die Knochenfunde vom Tollense-Fluss. Ein Stockwerk tiefer sitzt Landesarchäologe Detlef Janzen zusammen mit Experten der Universitäten Rostock, Greifswald und Hamburg zusammen:

"Wir haben Archäologen mit dabei, wir haben Grabungstechniker mit dabei, die sich vor Ort um die Ausgrabungen selbst kümmern. Wir haben Anthropologen mit dabei, wir haben Geologen, wir haben Leute dabei, die C-14 Untersuchungen machen, Radiocarbon-Bestimmungen. Wir haben die Archäozoologen mit dabei. Wir haben auch eine Arbeitsgruppe dabei, die sich mit der Auswertung der DNA beschäftigt, eine Arbeitsgruppe die sich mit den Isotopen in den Knochen beschäftigt um den Ort zu ermitteln, wo diese Menschen aufgewachsen sind."

Ziel dieser Zusammenkunft ist es, die Ergebnisse der einzelnen Fachrichtungen auszutauschen und die nächsten Aufgaben zu klären. Beispielsweise wer die Toten sind und woher sie kamen. Bisher fehlt jeder Hinweis, sagt Jantzen:

"Also über die ethnische Zugehörigkeit dieser Menschen können wir keinerlei Aussagen treffen. Es gibt ja keine Schriftquellen aus der Zeit und deshalb sind auch keine Stammesbezeichnungen oder ähnliches überliefert. Slawen waren es nicht, von Germanen kann man auch nicht sprechen. Wir haben es dort mit einer Bevölkerungsgruppe zu tun, mit deren Herkunft wir uns natürlich beschäftigen. Wir wollen auch gerne wissen, wo diese Menschen aufgewachsen sind. Wir wollen im Projekt auch herausfinden, ob diese Leute untereinander verwandt waren, also wie diese Personengruppe zusammengesetzt war."

Eine wichtige Rolle in diesem Puzzle spielen die gefunden Waffen: Darunter zwei baseballförmige Holzschläger, die im Nahkampf eingesetzt worden sind und dutzende von Pfeilspitzen, alles Funde aus dem Tollense-Tal.

"Das heißt, das lässt uns schon auf ein relativ differenziertes Kampfgeschehen schließen. wir verstehen im Moment nur noch nicht, wann genau an welchem Ort und mit welchen Waffen gekämpft wurde. Dazu ist natürlich die Analyse der Verletzungen und der Verletzungen an den Knochen wichtig. Aber dazu müssen wir auch die genaue Verteilung der Waffen im Tal kennen."

Dafür ist Projektleiterin Gundula Lidke zuständig, die das weit gezogene Grabungsfeld systematisch mit Sonden untersuchen lässt. Mehrere neue Fundstellen sind bereits auf ihren detaillierten Karten vermerkt. Noch fehlte die Zeit, dort systematisch zu graben.

"Also die Gesamtfläche mit menschlichen Skelettresten hier im Tollense-Tal ist ziemlich groß. Das dürfte sich im Quadratkilometerbereich bewegen. Wir haben davon jetzt an der Hauptfundstelle, wo auch die ersten Funde aufgetreten sind, etwas über 200 Quadratmeter ausgegraben. Das heißt, es ist bisher nur ein Bruchteil der Fundschicht die im Tollense-Tal vorhanden, aber es ist ein Anfang."

Die Grabungsleiterin gesteht, dass es noch Jahre dauern wird, bis alle Fundstellen wissenschaftlich aufgearbeitet sind. Sie setzt vor allem auf die Hobby-Taucher des Verbandes für Unterwasserarchäologie, die sonst Wracks in der Ostsee untersuchen. Jetzt tauchen sie entlang der Ufer der Tollense und das überaus erfolgreich. So entdeckten sie, im Schlamm verborgen, Reste einer alten Brücke. Gundula Lidke deutet auf eine tiefe Stelle am Uferrand. Hier blasen die Taucher mit Pressluft den Schlamm zur Seite:

"Ja, das ist die Stelle, die in diesem Jahr entdeckt wurde. Hier gab es schon seit einigen Jahren Hinweise auf Holzreste im Fluss, die auch mittels Dentro-Chronologie auf 1300 vor Christus datiert worden waren. Es war für uns ein Anliegen, dass wir diese Stelle besser erforschen und hier noch weitere Informationen gewinnen. Es ist in diesem Jahr gelungen, jetzt zu beiden Seiten, an den Ufern der Tollense weitere Holzreste, sowohl noch stehend eingetieft in den Merkel als auch liegend verbaut, hier zu dokumentieren."

Einer der Taucher ist Joachim Krüger von der Universität Greifswald. Auf zwei Kilometer haben die Taucher bisher über 2000 Menschenknochen entdeckt. Doch die Brückenreste sind der Fund, den die Unterwasser- und Landarchäologen am meisten fasziniert. Denn genau an dieser Stelle, könnte die Schlacht der Bronzekrieger angefangen haben, ergänzt Krüger:

"Wir sind recht guter Hoffnung, dass wir den Anfang des Geschehens haben könnten oder sagen wir mal einen sehr heißen Platz, wo das Geschehen seinen Ausgang genommen haben könnte. Und von dort aus müssen wir jetzt auch flussabwärts gucken."

Für Grabungsleiterin Gundula Lidke sind die Brückenreste derzeit die einzige "heiße Spur":

"Wir haben in diesem Bereich, in dem sich diese mögliche Brücke befindet, eben auch erste Hinweise auf das Einsetzen von Menschenresten im Fluss und auch von weiteren Funden zu beiden Seiten der Tollense, sodass hier möglicherweise ein Ort sein könnte, an dem sich das damalige Geschehen entzündet hat oder an dem es primär stattgefunden hat."

Die entscheidenden Fragen bleiben jedoch weiter offen, sagt Landesarchäologe Detlef Janzen:

"Das ist natürlich eine der Fragestellung dieses Projektes. Wir wollen grundsätzlich aufklären, was dort an dieser Stelle passiert ist, in welchem Zeitrahmen es sich zugetragen hat. Und dazu gehört natürlich auch die Frage, wenn dort gekämpft wurde, wer gegen wen gekämpft hat und aus welchem Grund."

Schriftliche Aufzeichnungen aus dieser Zeit um rund 1300 vor Christus gibt es nicht. Lediglich Indizien. Dazu zählen die vielen Bronzefunde aus den letzten 20 Jahren im Tollense-Tal. Eine prächtige Fibel, Pfeilspitzen, Bronze-Nadeln, sowie kleine Zinnbarren, die zur Herstellung von Bronze- eine Legierung aus Zinn und Kupfer notwendig waren. Joachim Krüger von der Uni Greifswald hofft, dass diese Zinnbarren einen ersten Hinweis geben, wer die Krieger waren beziehungsweise woher sie kamen:

"Wir haben also unsere Ringe analysieren lassen oder besser unsere Zinnbarren. Wir kennen jetzt genau den metallurgischen Fingerabdruck und jetzt in einem weiteren Schritt müssen wir Anfragen an die verschiedenen europäischen Lagerstätten stellen, damit wir heraus bekommen, wo dieses Zinn herkommt."

Vor vier Jahren hat eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege und der Universität Greifswald mit systematischen Forschungen im Tollense-Tal - unweit der Autobahn A 20 zwischen Rostock und Neubrandenburg - begonnen. Die deutsche Forschungsgemeinschaft hat bereits 527.000 Euro für die weitere Erkundung des Tals bis 2014 bewilligt. Bis dahin hoffen die Archäologen die Reste einer Siedlung aus der Bronzezeit zu finden. Sie sind sicher, dass es im Tal eine Siedlung gab, wofür die bereits entdeckten Brückenreste sprechen.

Gundula Lidke schaut durch das 400 Meter breite Tal in Richtung Autobahn. "Aber wo?", sagt sie, lacht und hofft auf einen Glücksfund. Eine Siedung, darin ist sie sich sicher, würde viele Antworten geben:

"Ja, es wäre schön, wenn wir zu unserem Skelett-Fundplatz und zu den dazugehörigen Befunden, die uns vor allem in diesem Jahr durch die taucharchäologischen Untersuchungen in Form eines Brückenrestes über die Tollense, eben noch eine oder zwei dazu gehörende Siedlungen finden würden. Mit all dem, was wir hier haben, mit dieser großen Anzahl von Leuten, mit denen sich andeutenden Strukturen in Sachen Verkehrswege, muss man eigentlich damit rechnen, dass es hier im Umfeld eine größere Siedlung gegeben hat."

Und dann greift sie wieder zur Kelle und kratzt den nächsten Knochen frei. Vielleicht liefert er Antworten auf die vielen Fragen.


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