"Ein klassisch unmögliches Liebespaar"

Andrea Stoll im Gespräch mit Ulrike Timm · 19.08.2008
Sie gehören zu den Großen der deutschsprachigen Lyrik des letzten Jahrhunderts. Wie stark die Liebe zueinander ihr Werk geprägt hat, erweist sich erst jetzt. Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan "Herzzeit" dokumentiert das Ringen um Sprache wie das Scheitern ihrer Beziehung. Er wird bereits als das Ereignis des Bücherherbstes bezeichnet.
Ulrike Timm: Ingeborg Bachmann und Paul Celan, das sind die beiden vielleicht bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker nach 1945. Celans "Todesfuge", sein Trauergesang für die ermordeten Juden, ist bis heute Schullektüre und Ingeborg Bachmanns Lyrikband "Die gestundete Zeit" war in den 1950er-Jahren ein ganz großer Erfolg, auch wenn ihre geheimnisvolle Sprache selten wirklich verstanden wurde. Beide Lyriker verband mehr als ein Jahrzehnt lang eine schwierige, eine bisweilen verzweifelte Liebesbeziehung, von der man bisher wenig wusste. Das ändert sich jetzt. Gleich vier Herausgeber, zwei Bachmann- und zwei Celan-Experten, haben den Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan veröffentlicht, kommentiert und eingeordnet. "Herzzeit" heißt das Buch, das uns erstmals Einblick gibt in die geheimnisvolle Beziehung zweier Dichter. Beteiligt an diesem editorischen Großprojekt war Bachmann-Expertin Andrea Stoll, und die begrüße ich jetzt!

Andrea Stoll: Guten Tag, Frau Timm!

Timm: Frau Stoll, da lernten sich ja 1948 zwei blutjunge und völlig unbekannte Dichter kennen. Auf die Leichtigkeit des Verliebtseins fällt von Beginn an ein Schatten. Sie war eine Täter-Tochter und er ein Opfer-Sohn. Wie hat das die Beziehung der beiden mitbestimmt?

Stoll: Dramatisch, kann man so sagen. Denn das hat von Anfang an in der Tat die Begegnung geprägt. Nach diesem ersten leichten Beginn des Kennenlernens, des Sich-Verliebens ging sofort der große Aufriss los, dass die Finsternis dessen, der eine furchtbare Vernichtungserfahrung in der eigenen Familie erlebt hat, zum Thema wird, die Vernichtungserfahrung der Juden in NS-Deutschland. Und man kann das in diesem Briefwechsel in der Tat auch verfolgen, dass von Anfang an der Kampf mit dieser Frage, wie ist überhaupt lyrisches Sprechen nach dieser Erfahrung des Nationalsozialismus, der Zerstörung und der Vernichtung, wie ist überhaupt Lyrik, lyrisches Sprechen möglich. Das große Verdikt von Theodor W. Adorno, darf man nach Auschwitz überhaupt noch Gedichte schreiben, ist das Thema, auch ohne dass es je ausgesprochen wird. Aber es ist das Thema zwischen diesen beiden Dichtern. Und der Kampf gegen das Verstummen, die Skrupel, die deutsche Sprache anzuwenden, wie geht das, führt wirklich ins Zentrum dessen, was poetisches Sprechen ausmacht.

Timm: Gab es das bei den beiden überhaupt, Leichtigkeit, Fröhlichkeit, Ausgelassenheit? Man kann sich ja Paul Celan als fröhlichen und Mohnblumen verschenkenden Freund eigentlich gar nicht richtig vorstellen.

Stoll: Das gab es, natürlich. Das sind zwei junge Leute gewesen. Und die haben den Krieg überlebt, um es mal so zu sagen. Und das ist auch etwas Bezauberndes in diesem Briefwechsel. Es gibt aber auch Briefe Ingeborg Bachmanns an ihre Eltern, wo sie fast kokett erzählt, dass es da einen Mohnblumenstrauß gab und dass das Zimmer überschüttet ist und wie nett das alles ist und wie charmant. Aber wenn man dann eben auf diese beiden Menschen zugeht, sieht man, dass die Leichtigkeit, die Freude, das Verliebtsein nur die eine Seite war und die andere eine Bedrückung, die ganz klar durch die einbrechende Erinnerung auch an die Toten seiner Jugend immer wieder in Celans Leben hineinbrach, dass diese große Bedrückung ein ganz konstantes Lebensthema war, bis zum Schluss. Das hat er nie abstreifen können.

Timm: Die Briefe waren ja der Motor in einer Liebesbeziehung. Persönlichen Kontakt gab es während all der vielen Jahre selten. Und wenn, dann endete das schnell im Desaster. Lebten da, Frau Stoll, zwei Menschen ihr Paralleluniversum in der Schrift?

Stoll: Ein Stück weit kann man das sicher so sagen. Es ist ein klassisch unmögliches Liebespaar, nicht mit dir und nicht ohne dich. Das könnte man auch als Motto über diese Beziehung stellen. Es ist so, dass diese Liebesbeziehung ja verschiedene Phasen hat. Es gibt diese Leichtigkeit der ersten Begegnung, dann sehr schnell die Erkenntnis, dass das Täter-Kind, Ingeborg Bachmann als Tochter eines NS-Offiziers, eines österreichischen, er als Sohn eines Elternpaares, das in einem deutschen Konzentrationslager umkam, dass dieser Hintergrund das Leben, das Sprechen der beiden doch enorm belastet. Es gab dann das Gefühl von Ingeborg Bachmann, so sehr sie sich auch einfühlen will in seine Vernichtungserfahrung, in seine Trauer, in seine Auffassung von Dichtung als Grabschrift, dass er das nicht anerkennt. Sie hat sich irgendwann von ihm verworfen gefühlt und hatte das Gefühl, sie kann machen, was sie will, sie kann ihm in seinem Anspruch so nicht gerecht werden und wird von ihm auch nicht anerkannt, weil sie diese Erfahrung nicht teilen kann. Und dann folgt in der Tat eine Phase des Schweigens nach einem desaströsen Aufenthalt in Paris 1950, wo sie versucht haben, miteinander zu leben. Und Ingeborg Bachmann danach ihrem Wiener Freund, Hans Weigel, gesteht, dass dieser Versuch Strindbergschen wurde. Man habe sich gegenseitig die Luft weggenommen.

Timm: Sie kämpft beherzt um ihn, aber auf verlorenem Posten. Lass uns die Worte finden, so oder so ähnlich heißt das ganz oft. Und dann schweigen sie sich wortreich an. Frau Stoll, Paul Celan nahm sich 1970 das Leben. Wie hat sich das auf Bachmanns Schreiben ausgewirkt?

Stoll: Es hat sich auch hier in einem ungeheuren Umfang ausgewirkt. Man kann sagen, die Gedichte Ingeborg Bachmanns sind eine Art Flaschenpost, die auch dann zu Celan geschickt wird, wenn die Beziehung selbst im Schweigen verharrt, wenn sie sich nicht treffen, wenn sie sich nicht sehen. Und diese Falschenpost, dieses Lebendigmachen, etwas, was im Leben nicht zu leben ist, das setzt sie fort auch dann und noch einmal in einer ganz dramatischen Weise, als Celan tatsächlich uneinholbar wird, sprich nachdem er sich 1970 umgebracht hat. Diese Erfahrung, dass der Freund, um den sie so gekämpft hat, der Geliebte, der so ein großes Lebenszentrum war trotz auch anderer Beziehungen, dass der nicht mehr erreichbar ist, führt dann wieder zu einem ganz starken Aufgreifen. Und Ingeborg Bachmanns Roman "Malina" ist in der Tat ein Roman, der ganz, ganz viele Celan-Motive aufgreift.

Timm: Und sie hat den Schlusssatz geändert?

Stoll: Sie hat nicht nur den Schlusssatz geändert. Der Roman war eigentlich fertig. Der sollte bei Suhrkamp in den Druck gehen. Sie hat alles noch mal aufgemacht und hat im Roman selbst sowohl auf das Thema des Briefeschreibens Bezug genommen als auch auf ganz viele Motive von ihm bis zum Schlusssatz hin, ja.

Timm: Eigentlich galten ja immer Ingeborg Bachmann und Max Frisch als das literarische Paar der Nachkriegsjahre. Muss sich dieser Blick jetzt ändern?

Stoll: Der muss sich ändern. Unbedingt. Schon deshalb, weil Celan in einer ganz anderen Weise konstant im Werk Ingeborg Bachmanns präsent ist, in der Lyrik und in der Prosa. Aber auch, weil dieser Briefwechsel in den überprüften Lebensdaten sehr deutlich zeigt, dass die Begegnung, die erste Begegnung mit Max Frisch 1958 im Juli in Paris unmittelbar nach einem ganz schmerzlichen Beenden dieser Liebesbeziehung mit Celan einsetzt, und man braucht noch nicht mal Hobbypsychologe zu sein, um zu wissen, dass da etwas nicht verarbeitet gewesen sein kann. Und das trägt sich auch weiter, auch das erzählen die Briefe.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Wir sprechen mit Andrea Stoll über den gerade erschienenen Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Dieser Briefwechsel blieb lange unter Verschluss. Warum erscheint er gerade jetzt?

Stoll: Dieser Briefwechsel ist sehr persönlich. Das wird jeder Leser erfahren, der da diese Briefe zur Hand nimmt. Man hört sie wirklich flüstern und klagen. Es ist ungeheuer ergreifend, ungeheuer intensiv. Und wenn man etwas so Persönliches preisgibt, birgt das immer auch Risiken, dass etwas missverstanden wird. Von daher hat die Familie Ingeborg Bachmanns sehr lange gezögert, diesen Briefwechsel freizugeben. Er wäre noch länger gesperrt gewesen, aber es gab viele Gespräche in den letzten Jahren dazu. Und letztlich der Entschluss, dass man es vielleicht doch in einer Zeit veröffentlichen sollte, wo auch noch Leser da sind, die das Ausmaß dieses Nachkriegsdramas ermessen können. Aber auch vonseiten Celans gab es die große Bereitschaft und die große Unterstützung durch seinen Sohn Eric Celan und die erfahrenen Briefe-Herausgeber aufseiten Celans. Wir haben das alles gemeinsam diskutiert und sind Gott sei Dank zu diesem Entschluss gekommen.

Timm: Und es ist ja eben auch kein Enthüllungsbuch, sondern vor allem auch ein Zeitdokument der Nachkriegsjahre. Die Herausgabe des Briefwechsels wird schon jetzt als editorische Meisterleistung gewürdigt. Vier Herausgeber, zwei für Bachmann, zwei für Celan, ich nenne sie mal, Bertrand Badiou, Hans Höller, Barbara Wiedemann und Sie, Andrea Stoll. Sie haben gemeinsam dokumentiert, kommentiert, eingeordnet. Gab es da unter den Herausgebern bisweilen Missverständnisse wie auch zwischen Bachmann und Celan?

Stoll: Ganz so dramatisch ist es zwischen uns nicht zugegangen. Natürlich hat jeder seinen Dichter, sprich seine Dichterin im Blick und da gab es durchaus Diskussionspunkte, aber immer in sehr, sehr konstruktiver Weise. Und wir hatten wie gesagt ja auch die sehr brieferfahrene und editionserfahrene Barbara Wiedemann an Bord, die auch die wirklich sehr, sehr mühsame Arbeit der Gesamtkoordination geleitet und durchgeführt hat, sodass wir alles immer sehr konstruktiv und hoffentlich im Sinne der Leser auch lösen konnten.

Timm: Sie waren die Ersten, die nicht zur Familie gehörten und Einblick in diesen ganz intimen Briefwechsel hatten. Fragt man sich da manchmal auch, was mache ich da, wühle ich im Privatleben, das mich eigentlich nichts angeht? Oder ist das einfach die reine literaturwissenschaftliche Entdeckerfreude?

Stoll: Es ist vielleicht die Erkenntnis, die sich ja auch ansonsten im Kultur- und im Literaturbereich in den letzten Jahren wieder durchgesetzt hat, dass man Literatur eben nicht nur als Strukturelement analysieren kann, sondern dass Literatur und Leben zusammengehören. Und es wird wenige literarische Dokumente geben, die das eindrucksvoller beweisen können als dieser Briefwechsel. Wer hier entdecken will, kann richtig loslegen nach diesem Briefwechsel. Ich denke, da werden sogar neue Doktorarbeiten entstehen.

Timm: Und die Briefe, die lesen sich bisweilen herzzerreißend. Zwei Sprachmächtige ringen da um die jedes Wort und sind doch oft ganz sprachlos. Diese Briefe waren nie für die Öffentlichkeit bestimmt, sind aber selbst Literatur. Kann man sagen, das ist postum das Gemeinschaftswerk von Ingeborg Bachmann und Paul Celan?

Stoll: Ich zögere bei dem Wort Gemeinschaftswerk. Aber es ist mit Sicherheit ein Versuch, die beiden lebendig werden zu lassen. Es macht sie ungeheuer lebendig und es zeigt eben, dass Literatur und Sprechen nicht voneinander zu trennen sind. Es geht in diesen Briefen ums Ganze, in der Liebe, aber auch im literarischen Sprechen.

Timm: Andrea Stoll, eine der Herausgeberinnen von "Herzzeit". Das ist der neu erschienene Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Vielen herzlichen Dank fürs Gespräch!

Stoll: Danke, Frau Timm!

Timm: Und das Buch ist herausgegeben von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll eben und Barbara Wiedemann, erschienen bei Suhrkamp, 400 Seiten kosten 24,80 Euro und lohnen sich sehr.
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