Ein junger Wilder

Von Mirko Schwanitz |
Für Ljubko Deresch war die "orangene Revolution" in der Ukraine ähnlich psychedelisch wie manche seiner bisher auf Deutsch erschienen Bücher. Nun hat er mit "Intent! oder Die Spiegel des Todes" ein neues Buch vorgelegt, in dem er seine Leser durch parallele Welten jagt.
Es ist ein schmaler Mann, der da die Akademitschna-Straße im Lemberger Zentrum entlang geschlendert kommt. Es sind diese schlacksigen Bewegungen die Ljubko Deresch unverkennbar machen. Dazu kurze, sehr kurze Haare und dunkle Augen in einem blassen Gesicht. Vielleicht habe ich, sagt er mit feinem Lächeln, zu lange in irgendwelchen Studierstuben gesessen

Ljubko Deresch: "Also ich wohne eigentlich nicht in Lemberg, sondern in Tarnobil, einer kleinen Stadt unweit von Lemberg. Aber lange Zeit habe ich hier von Montag bis Freitag gearbeitet und studiert."

Nein, nicht Literatur oder Philologie - wie es eigentlich anzunehmen wäre bei einem jungen Mann, der mit seinen gerade einmal 25 Jahren bereits zu den wichtigsten Autoren der Ukraine gezählt wird. Ljubko Deresch schloss vor kurzem das Studium der Wirtschaftswissenschaften ab. Ganz so als vertraue er nach fünf Romanen noch immer nicht seiner schriftstellerischen Begabung.

Ljubko Deresch: "Mit dem Schreiben habe ich begonnen, da war ich 14. Es war nach einem Aufenthalt in den Bergen bei meinem Onkel. Der hatte da ein sehr große Bibliothek mit Science fiction, Horror- und okkultistischer Literatur. Nach dem Lesen dieser Bücher und dem Hören der Musik von Pink Floyd entstand mein Roman "Kult"."

Ein dunkles Buch, verstörend wie die Erinnerung an das im Delirium liegende Sowjetreich. Schwarz wie "Nightmare on Elm Sreet", jenen Gruselschocker, den seine Eltern damals von ihrer ersten Amerika-Reise mitbrachten, und euphorisch wie die Eltern zu jener Zeit. Die Mutter, Ärztin an der Lemberger Universität, der Vater Ingenieur. 10.000 Mal verkaufte sich das Buch – in der Ukraine eine Sensation.

Ljubko Deresch: "Das, was ich mit 16 geschrieben habe, unterscheidet sich doch sehr von dem, was ich heute schreibe. Mit 16 war es für mich interessant, neue Welten zu schaffen. Es war meine romantische Phase. Jetzt interessiert es mich, das Hier und Heute zu beobachten."

Ljubko Deresch: "Wir befinden uns hier auf dem Hohen Schloss, einem kunstvollen Park aus dem 18. Jahrhundert. Das Hohe Schloss ist für mich nicht nur interessant, weil Stanislaw Lem seine Biografie nach diesem Ort benannte, sondern vor allem, weil hier die Handlung meines vierten Romans mit dem Titel "Arche" spielt."

Ljubko Deresch mag den Blick auf die Dächer und Kirchenkuppeln von Lemberg, die Geräusche die heraufdringen:

"Lemberg klingt für mich wie ein kaputter Krug, aus dem ein Geruch von mit Erde vermischtem Gras steigt. Und dann diese Geräusche, die Zikaden mittags."

Die Stadt als vergessener zerbrochener Krug auf einer Wiese voller Zikaden fernab der großen Zentren. Ein Bild, das viel erzählt über die Sicht des Ljubko Deresch auf den Ort, an dem er aufgewachsen ist.

Ljubko Deresch: "Wer zwischen Europa und Asien lebt wie wir, der sieht sowohl Europa als auch Asien. Wir hier haben eine andere Perspektive, weil wir stets in beide Richtungen blicken und so vielleicht freier urteilen können. Ehrlich gesagt, ich möchte nicht, das Europa zu uns kommt. Und noch weniger, möchte ich, dass Asien zu uns kommt. Gerade das dynamische Gleichgewicht, das wir hier haben, gefällt mir außerordentlich gut."

Was Deresch jedoch nicht davon abhält, durch die Welt zu reisen. Beides forme seine Idenität – der zerbochene Krug und die Metropolen. Wie diese Identität sich ausdrückt im Hier und Heute, welche Gestalt sie annimmt, das ist das, was er literarisch kommentiert – auch in seinem neuesten Roman. Geschrieben natürlich in ukrainisch, auch wenn die Mehrheit im Lande noch immer Russisch spricht. Die Vorstellung aber, das überall im Lande die ukrainische Sprache dominieren sollte, ist ihm eher fremd.

Ljubko Deresch: "Das ist für mich keine prinzipielle Frage, weil ich mich nicht an der Spitze der geistigen Widergeburt sehe, wie vielleicht Jury Andruchowytsch. Ich will damit nicht sagen, dass ich Kollegen verurteile, die das Bedürfnis haben, archäologisch vorzugehen. Mich inspiriert das nur nicht. Mich interessiert allein, welche Auswirkungen das alles auf mich, auf mein eigenes Leben hat. Das ist für junge Menschen typisch. Mich interessiert nur, was ich sehe und erlebe."

Er verabschiedet sich, setzt sich Kopfhörer auf, dreht am MP3-Player. Pink Floyd natürlich und noch immer. Dann winkt er und geht. Unterwegs fährt er sich mit der für ihn so typischen Handbewegung über dem Flaum am Kinn, als könne der unterwegs einfach verloren gehen. Seine Freundin erwartet ihn, unten am Bahnhof.