Ein Jahrhundertgenie neu entdecken
Der umfangreiche Briefwechsel des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz ist von der UNESCO in das sogenannte Weltdokumentenerbe aufgenommen worden. Im Internet werden die Schriftstücke nun sukzessive zugänglich gemacht.
"Der Beamer ist, die Website aufgeschlagen, und jedermann erwartet sich ein Fest."
Eine sehr moderne Variante von Goethes "Vorspiel auf dem Theater". Damit leitete Georg Ruppelt, Direktor der Leibnizbibliothek, über in den mit Spannung erwarteten Teil des Abends, der eine ganz profane Überschrift hatte: "Freischaltung" des Internet-Portals. LeibnizCentral heißt es, geschrieben mit "C" – und das erinnert ein wenig an "Hauptbahnhof".
Einen großen Bahnhof hat man in letzter Zeit in Hannover immer wieder um Leibniz gemacht. Hatte früher eher eine Kekssorte das Privileg, mit dem Universalgelehrten in Verbindung gebracht zu werden, so wird er jetzt zunehmend touristisch vermarktet. Auch die Universität schmückt sich seit Jahren mit seinem Namen, so wie es auch die Niedersächsische Landesbibliothek tut. Aber sie verwaltet, pflegt und erforscht immerhin den einzigartigen Leibniz-Nachlass:
200.000 Blatt werden hier verwahrt, darunter 15.000 Original-Briefe aus seiner Korrespondenz mit rund 1200 Adressaten. Sie sind der wichtigste Teil seines Ouevres und wurden zurecht ins Weltdokumentenerbe aufgenommen. Sie nach und nach ins Netz zu stellen, ist Georg Ruppelt nicht nur ein Bedürfnis, es stellt auch eine Verpflichtung dar:
"Es ist beides. Mit der Auszeichnung der UNESCO, ins Weltdokumentenerbe eingetragen zu werden, wird man geehrt, hat aber auch den Auftrag, diese Dokumente der Welt zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet in der heutigen Zeit: virtuell."
Nach und nach soll das digital zugängliche Archiv mit nahezu allen Briefen aus der Schatzkammer der Bibliothek aufgefüllt werden, und mit zusätzlichen Manuskripten: faksimiliert, in Abschriften und gegebenenfalls übersetzt. Zunächst einmal sind drei Konvolute abrufbar: die Korrespondenz mit Herzog Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg, die mit dem Mathematiker Jakob Bernoulli und der Austausch mit dem Jesuitenpater Joachim Bouvet, von dem sich Leibniz zu Beginn des 18. Jahrhunderts nähere Auskünfte über China erhoffte:
"Ich zweifle nicht, dass es bei den Chinesen wichtige Beobachtungen auf dem Gebiet von Physik, Medizin und Mechanik gibt, die uns nützlich sein könnten, von der Geschichte, der Geographie und den Sprachen zu schweigen. Ihre alten astronomischen Beobachtungen kämen uns auch zupass."
Seine Briefe im Netz zugänglich zu machen, ist folgerichtig – ist Leibniz mit seinem binären Zahlenmodell doch mitverantwortlich für die Voraussetzungen des Computerzeitalters. Und erscheint mit seiner internationalen Korrespondenz geradezu als Pionier globaler Vernetzung, wenn auch in der Ära des langsamen Briefverkehrs.
Fragt sich dennoch, wer das neue Portal nutzen soll. Ein Recherche-Angebot für junge Wissenschaftler oder auch ein Service für ein breites, neugieriges Publikum?
Ruppelt: "Das Leibniz-Portal ist im Grunde ein Abbild dessen, was wir auch real machen. Wir sind eine Forschungs- und gleichzeitig eine Bürgerbibliothek. Wir erhoffen uns von dem Portal tatsächlich, dass möglichst viele Bürger dieses Jahrhundertgenie wieder- oder überhaupt erst entdecken, indem wir alles so zubereiten, dass es zugänglich ist."
Neben der Dokumenten- und Briefrecherche bietet sich einer größeren Öffentlichkeit im neuen Portal noch der Besuch einer virtuellen Ausstellung an: Stationen im Lebensweg von Leibniz können rekapituliert werden, ein Stadtplan von Hannover aus jener Zeit steht bereit, Leibniz‘ Rechenmaschine - deren einziges erhaltenes Original ebenfalls in der Bibliothek aufbewahrt wird -, kann im Netz in einer 3 D-Version von allen Seiten angesehen und bei der Arbeit beobachtet werden. Auch Fetischobjekte wie der gut gepolsterte Reisestuhl des Großmeisters sind hier abgebildet.
Nach ihrem Fachgebiet, der Mathematik, will Johanna Wanka, die mit der "Freischaltung" betraute Kulturministerin Niedersachsens demnächst in dem facettenreichen Portal Ausschau halten, schätzt an dem Universalgelehrten aber auch dessen Berührung mit der Politik, wie sie es nennt, die Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit:
"Die wenigsten wissen, dass er sich politisch engagiert hat - ehrenamtlich, wie wir heute sagen, fürs Gemeinwohl. Und von ihm stammt auch die Grundidee für Versicherungen. Was wären wir heute ohne Versicherungen?"
Ein Universalgelehrter darf besichtigt werden: mit einem Werk, das mit seiner unglaublichen thematischen Vielfalt weiter Gegenstand wissenschaftlicher Erkundung sein wird. Georg Ruppelt:
"Über Alternativwelten hat er nachgedacht - heute ein spannendes Thema -, er hat versucht, die Religionen wieder zusammenzuführen: auf allen Gebieten war er seiner Zeit um Jahrhunderte voraus, weshalb er sich damals in Vielem auch nicht so hat durchsetzen können, wie es ihm recht gewesen wäre."
Ach ja, eine Frage tauchte heute Abend bei der Eröffnung doch noch auf. Was hätte Leibniz selbst wohl zu seiner digitalen Indienstnahme gesagt?
"Das hätte er ganz toll gefunden, er war ja immer neugierig. Und ich glaube, wenn er uns von oben zusieht, wird er applaudieren. Wir müssen uns eben anstrengen, dass das auch so bleibt."
Eine sehr moderne Variante von Goethes "Vorspiel auf dem Theater". Damit leitete Georg Ruppelt, Direktor der Leibnizbibliothek, über in den mit Spannung erwarteten Teil des Abends, der eine ganz profane Überschrift hatte: "Freischaltung" des Internet-Portals. LeibnizCentral heißt es, geschrieben mit "C" – und das erinnert ein wenig an "Hauptbahnhof".
Einen großen Bahnhof hat man in letzter Zeit in Hannover immer wieder um Leibniz gemacht. Hatte früher eher eine Kekssorte das Privileg, mit dem Universalgelehrten in Verbindung gebracht zu werden, so wird er jetzt zunehmend touristisch vermarktet. Auch die Universität schmückt sich seit Jahren mit seinem Namen, so wie es auch die Niedersächsische Landesbibliothek tut. Aber sie verwaltet, pflegt und erforscht immerhin den einzigartigen Leibniz-Nachlass:
200.000 Blatt werden hier verwahrt, darunter 15.000 Original-Briefe aus seiner Korrespondenz mit rund 1200 Adressaten. Sie sind der wichtigste Teil seines Ouevres und wurden zurecht ins Weltdokumentenerbe aufgenommen. Sie nach und nach ins Netz zu stellen, ist Georg Ruppelt nicht nur ein Bedürfnis, es stellt auch eine Verpflichtung dar:
"Es ist beides. Mit der Auszeichnung der UNESCO, ins Weltdokumentenerbe eingetragen zu werden, wird man geehrt, hat aber auch den Auftrag, diese Dokumente der Welt zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet in der heutigen Zeit: virtuell."
Nach und nach soll das digital zugängliche Archiv mit nahezu allen Briefen aus der Schatzkammer der Bibliothek aufgefüllt werden, und mit zusätzlichen Manuskripten: faksimiliert, in Abschriften und gegebenenfalls übersetzt. Zunächst einmal sind drei Konvolute abrufbar: die Korrespondenz mit Herzog Johann Friedrich von Braunschweig-Lüneburg, die mit dem Mathematiker Jakob Bernoulli und der Austausch mit dem Jesuitenpater Joachim Bouvet, von dem sich Leibniz zu Beginn des 18. Jahrhunderts nähere Auskünfte über China erhoffte:
"Ich zweifle nicht, dass es bei den Chinesen wichtige Beobachtungen auf dem Gebiet von Physik, Medizin und Mechanik gibt, die uns nützlich sein könnten, von der Geschichte, der Geographie und den Sprachen zu schweigen. Ihre alten astronomischen Beobachtungen kämen uns auch zupass."
Seine Briefe im Netz zugänglich zu machen, ist folgerichtig – ist Leibniz mit seinem binären Zahlenmodell doch mitverantwortlich für die Voraussetzungen des Computerzeitalters. Und erscheint mit seiner internationalen Korrespondenz geradezu als Pionier globaler Vernetzung, wenn auch in der Ära des langsamen Briefverkehrs.
Fragt sich dennoch, wer das neue Portal nutzen soll. Ein Recherche-Angebot für junge Wissenschaftler oder auch ein Service für ein breites, neugieriges Publikum?
Ruppelt: "Das Leibniz-Portal ist im Grunde ein Abbild dessen, was wir auch real machen. Wir sind eine Forschungs- und gleichzeitig eine Bürgerbibliothek. Wir erhoffen uns von dem Portal tatsächlich, dass möglichst viele Bürger dieses Jahrhundertgenie wieder- oder überhaupt erst entdecken, indem wir alles so zubereiten, dass es zugänglich ist."
Neben der Dokumenten- und Briefrecherche bietet sich einer größeren Öffentlichkeit im neuen Portal noch der Besuch einer virtuellen Ausstellung an: Stationen im Lebensweg von Leibniz können rekapituliert werden, ein Stadtplan von Hannover aus jener Zeit steht bereit, Leibniz‘ Rechenmaschine - deren einziges erhaltenes Original ebenfalls in der Bibliothek aufbewahrt wird -, kann im Netz in einer 3 D-Version von allen Seiten angesehen und bei der Arbeit beobachtet werden. Auch Fetischobjekte wie der gut gepolsterte Reisestuhl des Großmeisters sind hier abgebildet.
Nach ihrem Fachgebiet, der Mathematik, will Johanna Wanka, die mit der "Freischaltung" betraute Kulturministerin Niedersachsens demnächst in dem facettenreichen Portal Ausschau halten, schätzt an dem Universalgelehrten aber auch dessen Berührung mit der Politik, wie sie es nennt, die Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit:
"Die wenigsten wissen, dass er sich politisch engagiert hat - ehrenamtlich, wie wir heute sagen, fürs Gemeinwohl. Und von ihm stammt auch die Grundidee für Versicherungen. Was wären wir heute ohne Versicherungen?"
Ein Universalgelehrter darf besichtigt werden: mit einem Werk, das mit seiner unglaublichen thematischen Vielfalt weiter Gegenstand wissenschaftlicher Erkundung sein wird. Georg Ruppelt:
"Über Alternativwelten hat er nachgedacht - heute ein spannendes Thema -, er hat versucht, die Religionen wieder zusammenzuführen: auf allen Gebieten war er seiner Zeit um Jahrhunderte voraus, weshalb er sich damals in Vielem auch nicht so hat durchsetzen können, wie es ihm recht gewesen wäre."
Ach ja, eine Frage tauchte heute Abend bei der Eröffnung doch noch auf. Was hätte Leibniz selbst wohl zu seiner digitalen Indienstnahme gesagt?
"Das hätte er ganz toll gefunden, er war ja immer neugierig. Und ich glaube, wenn er uns von oben zusieht, wird er applaudieren. Wir müssen uns eben anstrengen, dass das auch so bleibt."