Ein Jahr solidarisches Grundeinkommen in Berlin

Ein Projekt zur Förderung von Michael Müller

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Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) vor einer Wand, auf die mit einem Beamer die Schrift projiziert ist "Das Solidarische Grundeinkommen (SGE): fair bezahlt, frei[willig], sozialversicherungspflichtig"
Das solidarische Grundeinkommen dient letztlich nur der Imagepflege des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, kritisiert Sebastian Engelbrecht. © picture alliance / dpa / Paul Zinken
Ein Kommentar von Sebastian Engelbrecht · 30.07.2020
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Vor einem Jahr führte Berlin das "Solidarische Grundeinkommen" ein. Doch was nach einem hehren Gerechtigkeitskonzept für die Ewigkeit klingt, ist eigentlich nur ein PR-Trick, kritisiert Sebastian Engelbrecht. Ehrlicher wäre es, von ABM zu zu sprechen.
Michael Müller wollte ein strahlender, ein innovativer Regierender Bürgermeister sein. Deshalb erfand er das "Solidarische Grundeinkommen". Eine Alternative zu Hartz IV: Wer erst vor kurzer Zeit arbeitslos wurde, soll schnell wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden, soll dauerhaft und sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden und nach Tarif bezahlt werden. Es geht um gemeinnützige Arbeiten für staatliche Wohnungsbaugesellschaften, in Pflege- und Altenheimen, in Kindergärten.
Vor einem Jahr hat das Projekt begonnen. Berlin hat 170 Millionen Euro dafür vorgesehen, verteilt über fünf Jahre. Es lief schleppend an. Mittlerweile haben 500 Berlinerinnen und Berliner Arbeitsverträge unterschrieben, und bis zum Jahresende sollen es 1000 werden. Im Corona-Zeitalter könnte das Interesse an diesen Stellen noch wachsen.

Nicht einmal die SPD zieht mit

Eigentlich also ist alles schön, eigentlich ist das "Solidarische Grundeinkommen" eine gute Sache – und doch kommt man sich irgendwie verschaukelt vor. Der Begriff klingt nach einer beschäftigungspolitischen Generallösung, nach einem Gerechtigkeitskonzept für die Ewigkeit. Und das ist Müllers Grundeinkommen nicht. Es ist ein Projekt zur Förderung von Michael Müller.
Nicht zufällig regt sich an vielen Orten Widerstand gegen Müllers – ja, nennen wir es beim Namen – gegen Müllers Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. So nüchtern und viel wahrer nannte man das Projekt in den 90er-Jahren.
Müllers Parteifreund, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, verweigerte dem Berliner "Solidarischen Grundeinkommen" die Unterstützung. Der Bund beteiligt sich nicht finanziell. Die Sozialdemokraten verständigten sich beim Bundesparteitag Ende vergangenen Jahres auf Heils Idee eines "Bürgergeldes" anstelle von Hartz IV.

"ABM wäre ehrlicher"

Und auch die Linke, Müllers Koalitionspartner in Berlin, hat eigentlich andere Vorstellungen von Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Die Linken-Vorsitzende Kipping hält das sogenannte "Solidarische Grundeinkommen" für einen "Etikettenschwindel", und das völlig zu Recht. Sie selbst propagiert ein Grundeinkommen, das den Namen wirklich verdient, nämlich das bedingungslose Grundeinkommen – eine Summe, die jeder Erwachsene regelmäßig bekommt, die ihn vor Armut schützt und Teilhabe in der Gesellschaft ermöglicht.
Man mag zu dieser radikalen Idee der Linken stehen wie man will – aber dieses politische Ziel ist mit dem Begriff "Grundeinkommen" zutreffend beschrieben. Die Linken streben ein Grundeinkommen an, das der Staat unabhängig von einer Arbeitsleistung zahlt, auch unabhängig von Bedürftigkeitsprüfungen.
So bleibt beim müllerschen Grundeinkommen, das so gut und schön ist und so wunderbar klingt, bei näherem Hinsehen immer der Eindruck eines Public-Relation-Tricks. ABM wäre ehrlicher.
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