Ein Jahr Lehman-Brothers-Pleite

Zu Gast: Hans-Peter-Burghof und Christoph Lütge |
Am 15.09.09 jährt sich der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman-Brothers, an dem Tag beantragte sie Insolvenz. Diese Pleite markiert den Höhepunkt der seit Sommer 2007 anhaltenden Finanzkrise und Rezession. Einer Krise, wie sie die Welt seit der Weltwirtschaftskrise in den 30er-Jahren nicht mehr erlebt hat.
Das von ihr ausgelöste Beben auf den Finanzmärkten wirkt bis heute nach. Nach neuesten Studien wurden mehr als zehn Billionen Dollar vernichtet. Statistisch gesehen kostet die Krise damit jeden Erdenbürger 1500 Dollar.

Bleibt die Frage: Haben wir aus der Krise gelernt?

"Zu wenig", sagt Prof. Dr. Hans-Peter Burghof. Der Wirtschaftswissenschaftler und Bankenexperte der Universität Hohenheim gehört zu den gefragten Analysten der Krise.

"Man hätte lernen können, dass es gefährliche Banken gibt, die man besonders regulieren muss, dass das Geld kostet. Dass man nur solche Geschäfte macht, von denen man etwas versteht. Und die Verbraucher hätten lernen können, dass das Gegenüber Interessen vertritt."

Die Krise sei einmal mehr der Ausdruck eines entfesselten "Raubtier-Kapitalismus", den es einzugrenzen gelte. Sie sei aber auch der Beweis für die um sich greifende Gier jedes Einzelnen.

"Der Ausgangspunkt war die Subprime-Krise in den USA. Da hat man ein viel stärkeres Auseinanderdriften der Gesellschaft als bei uns und man brauchte einen ´Schnuller`: Du bis zwar ein Underdog, aber du kannst dir alles leisten, weil du alles auf Kredit kriegst."

Banker seien zu Zockern geworden:

"Selbst wenn man den sensibelsten Familienvater solchen Anreizen aussetzt, wird auch der zum Riesenzocker. Der verantwortungsvolle Risikokontrolleur wurde entlassen. Entweder du bist drin und machst mit oder du fliegst raus."

Es gebe eine Grenze des Machbaren – im Privaten wie Gesellschaftlichen, diese werde jedoch von vielen missachtet. Dies gipfele letztlich auch in unkontrollierten Managergehältern.

"Je mehr du verdienst, umso mehr Geld musst du kriegen ..Nee! Wichtig ist, was du dafür arbeitest!"
Seine nüchterne Erkenntnis: "Mit Geld geht sehr, sehr viel Macht einher."

Wie verhalten sich Menschen in solchen Krisen? Sind Markt und Moral vereinbar? Mit diesen Fragen beschäftigt sich auch der Wirtschaftsethiker- und Philosoph Dr. Christoph Lütge von der Universität Braunschweig.

"Mich interessiert, welche Strukturen haben die Akteure dazu gebracht, sich so zu verhalten? Es wäre zu einfach, zu sagen, die waren gierig. Dahinter stehen Strukturen und bestimmte Weltbilder. Wenn da jemand gesagt hat, da kannst du 20 Prozent Rendite machen, dann haben die alle mitgemacht."

Der Ethiker versucht, bereits Wirtschaftsstudenten für Fragen der Moral zu interessieren, er hält aber auch regelmäßig Vorträge vor Managern und Politikern.
Ihn beeindruckt, dass die meisten Menschen besonnen auf die Krise reagiert haben.

"Die Menschen sind vernünftiger, als manche Funktionsträger denken. Ob das alles so rational begründet ist, sei dahingestellt. Aber es war gut, so etwas wie einen guten Menschenverstand zu haben. Es kommt natürlich auch darauf an, wie die Politik reagiert. Es war wichtig, dass die Regierung diesen Bankenschirm gespannt hat, damit waren die meisten besänftigt. So ein Signal war nützlich. Und die Regierungen haben gelernt aus den Vorgängerkrisen. Bei der 2000-er-Blase haben viele Kleinanleger ihr Geld verloren."

Moral und Markt müssten sich nicht ausschließen. Wichtig sei, dass sich die Gesellschaft auf Regeln einige – dies sei auch jetzt die Chance.
Man müsse allerdings der Tatsache ins Auge blicken, dass viele Unternehmen ohne Entlassungen nicht durch die Krise kommen könnten. "Wenn wir eine Marktwirtschaft haben, brauchen wir auch das Instrument der Entlassung."

Eingriffe seitens der Politik, wie der medienwirksame Rettungsversuch von Ex-Kanzler Gerhard Schröder bei dem Bauunternehmen Holzmann, hätten gezeigt, dass derartige Interventionen nichts bringen. Aufgabe der Politik sei es vielmehr, die gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen zu schaffen, dass derartige Maßnahmen abgefedert werden könnten, dass ggf. andere Arbeitsplätze gefunden werden könnten – zum Beispiel derzeit für die Mitarbeiter von Karstadt. "Insofern kann eine solche Krise auch positiv sein: Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende."

"Ein Jahr Lehman-Brothers-Pleite – Haben wir etwas gelernt"
Darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit dem Bankenexperten Hans-Peter Burghof und dem Wirtschaftsethiker Christoph Lütge. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

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