Ein Israeli und der Anschlag von Berlin

"Heute bin ich ein Scherbenhaufen"

Blumen, Kerzen und kleine Botschaften sind am 12. Januar 2017 in Berlin auf dem Breitscheidplatz zu sehen, wo am 19.Dezember 2016 zwölf Menschen bei einem islamistischen Attentat getötet wurden.
Unter den Opfern des Anschlags am Breitscheidplatz war auch der Israeli Rami Elyakim. © dpa / picture alliance / Paul Zinken
Von Benjamin Hammer · 18.12.2017
Am 19. Dezember 2016 wurde das Leben von Rami Elyakim zerstört: Beim Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt wird er selbst schwer verletzt, seine Frau wird getötet. Heute sagt Elyakim: "Die Deutschen haben viele Fehler gemacht."
Rami Elyakims Erinnerung endet am 19. Dezember 2016 um 19:47 Uhr. Um 20:02 Uhr zerstört Anis Amri das bis dahin glückliche Leben der Familie Elyakim. Rami wird schwer verletzt. Am Arm, am Becken und an beiden Oberschenkeln. Die Ärzte müssen ihn in ein künstliches Koma versetzen. Es dauert mehrere Tage, bis der Israeli in einem Berliner Krankenhaus wieder aufwacht. Seine zwei erwachsenen Kinder sind bei ihm. Und Rami Elyakim fragt:
"Wo ist Dalia?"
Elyakim hat keine Ahnung, was los ist. Seine Kinder sagen es ihm: Seine Ehefrau Dalia wurde an jenem Abend im Dezember getötet. Sie ist eines von elf Todesopfern des Anschlages auf dem Breitscheidplatz.
Rami Elyakim sagt, dass er okay ist, dass alles langsam besser werde. Aber das stimmt so nicht. Elyakim liegt in einem Sessel in seiner Wohnung in Herzlyya, eine Stadt nördlich von Tel Aviv. Auf dem Wohnzimmertisch liegen etwa zehn Packungen mit Medikamenten. Seine Füße sind stark angeschwollen. Seinen linken Arm kann er nicht mehr bewegen. Auf seiner Brust klebt ein dicker Verband. Vor zwei Wochen wurde Elyakim am Herzen operiert. Die israelischen Ärzte vermuten, dass er sich nach dem Anschlag im Krankenhaus ein Bakterium zugezogen hat, das sein Herz angreift.

"Sie fehlt mir sehr"

"Ich war ein Mann, der viel Kraft hatte. Heute bin ich ein Scherbenhaufen, ich komme kaum allein zurecht. Das wird sich auch nicht bessern, es wird so bleiben. Ich hätte niemals gedacht, das mir so etwas passieren kann."
Das Hintergrundbild auf Rami Elyakims Smartphone zeigt seine Frau Dalia. Er habe es erst nach ihrem Tod installiert, sagt Rami. Vorher sei sie schließlich immer dagewesen. In echt. Es ist der einzige Moment des Interviews, in dem Elyakim kurz lächelt.
Rami Elyakim
Rami Elyakim© Benjamin Hammer
"Zuerst einmal habe ich meine Frau verloren, mit der ich über 40 Jahre zusammengelebt habe. Wir sind zusammen, seit ich 21 Jahre alt war. In all dieser Zeit waren wir höchstens für ein paar Tage voneinander getrennt. Dieser Verlust ist viel schwerer für mich zu ertragen, als die körperlichen Verletzungen, die ich davongetragen habe. Ich bin es nicht gewohnt, alleine zu leben. Sie fehlt mir sehr."
Schon kurz nach dem Anschlag berichten auch die israelischen Medien ausführlich. Schnell wird klar: Zwei Israelis werden vermisst. Es sind die Elyakims. Erste Fragen werden gestellt: Hätte der Anschlag verhindert werden können? Warum dauert es so lange, bis Angehörige Informationen über ihre Familienmitglieder erhalten? Später stellt sich heraus: Anis Amri, der Attentäter, war den Behörden als Gefährder bekannt. Er saß mehrfach im Gefängnis, auch in Deutschland – und kam wieder frei. Rami Elyakim sagt: In Israel hätte so etwas niemals passieren können.
"Die Deutschen haben viele Fehler gemacht. Tatsache ist, dass der Attentäter, der uns getroffen hat, im Gefängnis saß, und sie ihn frei ließen, obwohl sie von seinen bösen Absichten wussten, sie haben ihn frei gelassen. Das ist zum Beispiel ein Fehler."

Keine Hilfe aus Deutschland

Anfang des Monats haben die Angehörigen der Todesopfer vom Breitscheidplatz einen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben. Sie beklagen, dass Deutschland nicht genug gegen den Terror unternommen habe. Und sie fordern eine deutlichere Anerkennung ihres Leids – auch von der Kanzlerin.
"Es geht hier um Menschen. Menschen, die ihre Eltern oder ihren Ehepartner verloren haben. So geht das einfach nicht. Zu meinem großen Glück hat sich die israelische Regierung um mich gekümmert. Wenn ich auf die Unterstützung der Deutschen hätte warten müsste, hätte ich jetzt, ein Jahr danach, kein Geld mehr, um mir Essen zu kaufen."
Eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums erklärt auf Nachfrage: Rami Elyakim und seine Kinder haben Zahlungen aus Deutschland erhalten. Wie hoch sie sind, darüber gibt die Bundesregierung jedoch grundsätzlich keine Auskunft.
Wenige Tage nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz feierten die Juden Chanukka, das Lichterfest. Or Elyakim, der Sohn von Rami und Dalia, zündete am Brandenburger Tor in Berlin die vierte Kerze des riesigen Leuchters an. Auch in diesem Dezember, zwölf Monate später, sind die Kinder der Elyakims in Berlin. Jene Stadt, in der ihre Mutter starb und ihr Vater schwer verletzt wurde.
"Einer von uns ist am Leben geblieben. Das macht mich froh, das macht mir Hoffnung. Das Schicksal wollte es so. Wir haben zwei wunderbare Kinder. Die sind zwar schon groß, aber ich möchte für sie da sein. Für sie muss ich meinen Gesundheitszustand verbessern. Ich möchte sie glücklich machen."
Seine Kinder werden in Berlin die Kanzlerin treffen. Sie werden an einer Gedenkveranstaltung teilnehmen. Rami Elyakim ist zu krank für die Reise nach Berlin. Den Jahrestag des Terroranschlages, bei dem seine Frau starb, wird er zu Hause verbringen. Alleine.
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