Ein Ideenstück

Von Hartmut Krug |
Sex und Alkohol, Ehrgeiz und Konkurrenz, das sind die Zutaten des bis dato ungespielten Stückes aus dem letzten DDR-Jahrzehnt. Autor Jörg-Michael Koerbl, der unter Heiner Müller auch als Schauspieler arbeitete, lässt darin einen Erfolgsschriftsteller in seinem Wochenendhaus auf seine Frau und deren Liebhaber treffen.
Jörg-Michael Koerbls 1984 entstandenes Stück "Gefährliche Menschen"
ist kein Stück aus oder über die DDR. Der 1950 in Stendal geborene Autor, der 1990 sein Stück "Gorbatschow" an der Berliner Volksbühne uraufführte, 1999 mit "Neues Deutschland" eine Ost-West-Groteske vorlegte, dann mehrfach von Heiner Müller als Schauspieler eingesetzt wurde, bevor er für einige Jahre nach Martinique zog, liefert ein Ideenstück.

Seine Figuren sind nicht sozial benannt oder entwickelt, sondern aus der Medien- und Kulturgeschichte bekannt. Ein Erfolgsschriftsteller fährt mit einer Schauspielerin in sein Wochenendhaus im Wald und trifft dort auf seine Frau und deren Liebhaber. Hinzu kommen sein ebenfalls dichtender Sohn und dessen Freundin sowie ein alter Freund, ein Kritiker und Lektor, mit dessen Reden gegen Pessimismus in der Literatur etwas DDR-Atmosphäre ins Stück gerät.

Ansonsten versammelt Koerbl alles an Haltungen und Reden in seinem Worthülsen-Text, was seit Ingmar Bergmann je in Theaterstücken und Filmen an Selbsterkennungsuche, Lebensekel und -angst von Arrivierten ausgedrückt und mit der Verzweiflung und Abscheu einer jungen Generation konfrontiert wurde. Viel Sex und Alkohol, manche Zynismen und Verzweiflungen, viel Ehrgeiz und Konkurrenz. Nur das junge Paar, dessen unschuldiger Sex bewundert wird (!), besitzt noch Träume und Gefühle. Klar, dass es sich nur mit einem gemeinsamen Selbstmord gegen die Leere und Kälte der Elternwelt zu wehren vermag.

Beständig, von den ersten Sätzen an, sucht Koerbl seine Beziehungsfarce über Egozentriker hinaufzutreiben ins Grundsätzliche, hin zu Visionen einer allgemeinen Katastrophe. Es ist ein geschwätziges Stück mit wenig Witz, aber viel tieferer Bedeutung, das seinen Figuren keinen Freiraum gibt: nichts wird entwickelt, nichts angedeutet, sondern alles erbarmungslos erklärt. Es ist ein epigonales, vor allem aber spannungsloses Stück. Dessen Protagonisten, da sie Künstler sind, besonders leiden.

Statt den schmalen Text spielerisch zu verorten und zu konzentrieren, bläst die Regisseurin Claudia Meyer ihn mit enormer Kunstanstrengung auf. Damit beerdigt sie ihn vollends. Vor dem auf der Hinterbühne sitzenden Publikum zappeln die Figuren anfangs ihre Nervositäten und Neurosen zu wildem Trommelwirbel aus, um dann mit Chi-Gong-Übungen ihre Mitte und Ruhe zu suchen. Später schleichen sie in einem kalten Wald aus silbrigen Eisenstämmen umher, fallen übereinander her und belauern sich. (Achtung: Natur als Gefahr und Hoffnung!)

Wenn die Menschen sich immer wieder Tiermasken aufsetzen, ergibt das verfremdende Spiel der Schauspieler, das mit seiner Tiergesten-Nachmacherei und seiner ikonographisch-existentiellen Bedeutung wichtigtuerisch, hohl und plakativ wirkt, eher unfreiwillige Komik.

Zwar wird Botho Strauß´ im Programmheft mit seinen Überlegungen zum freien Spiel der Lust und Laune, zu ungeordneten Bedürfnissen und reinem Aufbegehren in "Paare, Passanten" zitiert, doch von solchen Subtilitäten sind die sprachliche Bedeutungsmaschine des Autors und die szenische Kunstanstrengung der Regisseurin weit entfernt. Was sie liefern, ist nur saurer Kitsch.