Ein Ich-Erzähler und drei Schauspieler

Von Volker Trauth · 27.04.2012
Scheiternde Sinnsucher, zurückgekehrt in ihr Heimatdorf, stehen im Zentrum des neuen Stockmann-Stücks. Schauspielerisch ist die Aufführung überdurchschnittlich gelungen. Von den drei Ichs überzeugt vor allem Nico Holonics. Die Leistung des Abends gelingt Henrike Johanna Jörissen als Nora.
Ein Heimkehrer kehrt in sein Heimatdorf zurück. Er hat offensichtlich in der Stadt mit Finanzgeschäften Geld gemacht. Das Dorf "fault auseinander", nachdem das Werk am Dorfrand geschlossen hat. Der Mann trifft auf ehemalige Klassenkameraden und deren Kinder und wird mit Neid und Missgunst übergossen.

Sein ehemaliger Freund ist verrückt geworden, die Frau, die ihn pflegt, hat der Fremde einst geliebt. Hin und her taumelnd zwischen Selbstanklage und aufkeimender Hoffnung auf ein Leben mit dieser Nora tritt er auf der Stelle. Er denkt darüber nach, dem Dorf zu Geld zu verhelfen - unabweisbar aber bleibt der Satz des verrückten Mirko im Raum: "Es riecht nach nichts."

Stockmann knüpft an seine bisherigen Stücke in thematischer und formaler Hinsicht an. Wieder stehen scheiternde Sinnsucher im Zentrum, wieder geht es um die Frage, ob eine Gesellschaft, der die Werte abhanden gekommen sind, noch Platz für die Unangepassten hat. Wieder stehen weit schweifende, sich im Kreise drehende Gedankenspiele und Zukunftsgedanken neben knappen, auf Worte und Silben reduzierten Dialogen. Neu sind die vielen Alptraum- und Wunschtraumgestalten sowie ihre Verschränkung mit Gestalten der Realität. Das Problem des 160 Seiten umfassenden Stücktextes: es ertrinkt in ambitionierten Redseligkeiten und ertüftelt komplizierten Formulierungen.

Regisseur Martin Schulze hat die ordnende und zuspitzende Hand bewiesen, die die Stockmanntexte unbedingt brauchen. Ihm ist es gelungen, die 160 Seiten Text auf eine Spieldauer von ein und einer halben Stunde zu bringen, ohne wesentliche Handlungsstränge zu streichen - sieht man von den Gesprächen des Fremden mit dem verrückten Mirko ab. Wohltuend, dass die Regie Stockmanns Kommentare und Reflektionen eingedämmt hat und eine Reihe von Nebenfiguren gestrichen oder nur angedeutet hat. Die Figuren der brutalisierten einstigen Klassenkameraden und von deren herumlungernden Söhnen werden von der auf drei Schauspieler aufgesplitteten Ich-Erzähler-Figur übernommen.

Die Lösung mit den drei Ich-Erzählern geht nur zum Teil auf. Interessant wird es, wenn dadurch widersprüchliche Seiten des heimgekehrten Fremden ins Spiel kommen; spannungslos, wenn die drei Schauspieler mit verteilten Rollen das Gleiche erzählen. Die stärksten Momente hat die Inszenierung, wenn Komisches und Tragisches, Clowneskes und Nachdenkliches nahtlos ineinander übergehen. Der Fremde kauft einen Haufen von Kartons mit allerlei modischen Geschenken, um sich bei der Frau des Verrückten beliebt zu machen; die drei Ichs stapeln in halsbrecherischen Aktionen die Kartons aufeinander, um sie dann in einem Anfall von Selbsthass zu zerreißen.

Schauspielerisch ist dieser Abend überdurchschnittlich gelungen. Von den drei Ichs überzeugt vor allem Nico Holonics, der die sentimentalen Rückerinnerungen an das Dorf ebenso glaubhaft machen kann wie die schwelgerischen Zukunftshoffnungen auf ein Familienleben mit der Frau des verrückten Freundes. Die Leistung des Abends aber gelingt Henrike Johanna Jörissen als Nora. Das ist eine Julia im Rinnsteinformat: brutal und rücksichtslos gegenüber ihrem verrückten Ehemann, illusionslos im Nachdenken über ihre eigenen Zukunftschancen und von unerwartetem Aufflammen von Glücksverlangen. Insgesamt eine Inszenierung, die dem schwer spielbaren Stück gut getan hat.