Ein Holocaust-Kabarettist

Von Christian Gampert · 14.04.2010
Der kanadische Autor Jonathan Garfinkel hat ein Theaterstück über den NS-Kriegsverbrecher John Demjanjuk geschrieben. Es nennt sich "Die Demjanjuk-Prozesse" und ist ein groteskes Kabarett um Erinnerung, Schuld und Gerechtigkeit.
Garfinkel: "Das Stück ,das sind ja nicht nur die Songs, da sind jede Menge clownesker, lächerlicher, absurdester Szenen. Und tatsächlich versuche ich, den menschlichen Teil von John zu suchen, dass ist schwer, denke ich, schließlich ist er eine historische Figur und wir wissen wirklich nicht, was in seinem Kopf vor sich geht. Der Kern des Stücks ist für mich, bei allem Lärm, aller Verrücktheit, die Frage, die sich jeder stellt: Wer ist John Demjanjuk?"

John was a regular fellow - John war ein ganz normaler Typ, ein guter Nachbar. Einer der Baseball, Erdbeerkuchen und Gartenarbeit mag. Jonathan Garfinkels Stück "Die Demjanjuk-Prozesse" gibt sich lustig. Die Songs im Stil von Brecht oder Tabori könnten zum Schunkeln einladen, wenn dieser John Demjanjuk nicht wäre, was er ist: ein mutmaßlicher NS-Kriegsverbrecher. Ein Massenmörder im Vernichtungslager Sobibor.

Für die Recherche an dem Stück war der Autor Jonathan Garfinkel als Beobachter auch beim aktuellen Prozess gegen John Demjanjuk in München, ein bleibender Eindruck:

"Es war absolut surreal. Denn, da liegt er nun: Ein 89 Jahre alter Mann auf einem Bett in einem Gerichtssaal, sein Mund öffnet und schließt sich, man weiß nicht, ob er wach ist oder schläft oder tot ist.

Und dann sind da die Überlebenden aus den Konzentrationslagern, die ihn nicht wirklich gesehen haben. Und man bekommt das Gefühl, dass alles findet nur statt, weil er der letzte Nazi ist. Und es fühlt sich an, als sei das alles zu wenig, als käme es ... zu spät."

Jonathan Garfinkel ist kein schriller Typ, im Gegenteil: Der 36-Jährige mit den längeren schwarzen Haaren wirkt nachdenklich.

Der groteske Humor ist für ihn kein Mittel zum Zweck, sondern ein Versuch, den Holocaust heutzutage darstellen zu können. Wie in einem Experiment spielt Garfinkel dabei mehrere Varianten durch, Humor ist nur ein Aspekt unter vielen.

"Wenn ich das Stück als ein Kabarett schreibe, dann ist das meine Art zu sagen: Ich bin 36 Jahre alt, ich war nicht da zu der Zeit, ich bin kein Überlebender, meine Eltern sind keine Überlebenden, sie wurden in Kanada geboren.

Es ist auch Teil unseres kulturellen Wissens, es gibt so viele Bücher und Filme und den Holocaust mit Humor zu betrachten, ist Teil eines natürlichen Prozesses. Es zeigt, dass es eine Distanz zu der unmittelbaren Erfahrung der Überlebenden gibt. Aber der Humor muss immer auf den historischen Fakten beruhen, sonst wird er einfach nur ordinär."

Aufgewachsen in einem zionistischen Elternhaus in Toronto, waren für Jonathan Garfinkel die Solidarität mit dem israelischen Staat und der jüdische Glaube feste Größen seiner Kindheit und Jugend.

In der Schule lernte er unter anderem Hebräisch, Jiddisch und die Thora. Und doch beschreibt er im autobiografischen Buch "Ambivalence", wie er sich von diesen Wurzeln gelöst hat. Besonders durch eine Reise nach Israel.

Garfinkel: "Ich hatte Angst davor, was eine Reise nach Israel in ideologischer Hinsicht mit mir machen würde. Säkulare Freunde von mir gingen dahin und kamen vollkommen religiös zurück, ich war kaum religiös und kam zurück als, vielleicht nicht als kompletter Atheist, aber als Agnostiker.

Ich brauchte einfach eine Pause von Gott. Ich hatte genug von den Leuten, die andere unterdrücken nur weil sie selbst an Gott glauben, an den Gott, mit dem ich groß geworden bin. Aber ich betrachte mich selbst immer noch als jüdisch."

In "Ambivalence" macht sich Garfinkel auf die Suche nach einem Haus in Jerusalem, in dem Israelis und Palästinenser unter einem Dach wohnen sollen. Sein Versuch den Nahost-Konflikt von beiden Seiten zu betrachten, machte Jonathan Garfinkel schlagartig bekannt in Kanada. Und in der jüdischen Gemeinde Torontos auch umstritten:

"Meine Familie hatte eine schwere Zeit damit, weil das Buch so persönlich ist und es immer wieder um die Vermischung von Politischem und Persönlichem geht. Den nordamerikanischen Juden fällt es schwer, Kritik an Israel zu äußern. Ich wollte in dem Buch nichts ausklammern, ich wollte auch nicht sagen, dass alles, was Israel tut, schrecklich ist.

Ich wollte als ein Außenseiter auf das Ganze schauen. Das hat viele Leute wütend gemacht, ein jüdischer Buchladen in Toronto wollte mein Buch zunächst nicht ausstellen. Letztendlich aber wurde ich in Synagogen eingeladen, um über mein Buch zu sprechen."

Zurzeit lebt Jonathan Garfinkel in Budapest, die Stadt gefällt ihm, aber er spielt auch mit dem Gedanken, nach Berlin zu ziehen. Eine gewisse Distanz zur Heimat, sagt Garfinkel, schade einem Schriftsteller nicht, schließlich arbeitet er gegenwärtig an einem neuen Buch, einem Thriller.

Nachdem er lange Jahre als Kellner, Tischler und Lehrer für englische Literatur gearbeitet hatte, kann er nun vom Schreiben leben. Aber egal, sagt Garfinkel, auch wenn er wieder als Lehrer arbeiten sollte – schreiben werde er immer.

Garfinkel: "Wenn es eine Sache gibt, der ich treu geblieben bin, dann ist es Schreiben. Was mich weitermachen lässt, ist die Tatsache, dass ich schreibe. Wenn es gut läuft, dann gibt es nichts besseres."