Ein hoffnungsvoller Start

Von Dieter Jepsen-Föge |
Und sie kann es doch. Angela Merkel hat es schon in den ersten Wochen ihrer Amtszeit allen gezeigt. Sie konnte nicht nur Bundeskanzlerin werden. Sie ist dieser Aufgabe auch gewachsen. Und die, die ihr im Wahlkampf jede Kompetenz bestritten hatten, fügen sich nun ihrer Richtlinienkompetenz, ohne dass sie darauf pochen müsste.
Die große Koalition ist gewiss kein großer Harmonieverein, wohl aber ein effektiv arbeitendes Team. Der Konflikt zwischen den Ministerinnen und Ministern, die für ihre Aufgaben mehr Geld haben wollen, und dem Finanzminister, der die Taschen zuhält, ist da eher Ausdruck von Normalität.

Dass die entführte deutsche Geisel im Irak, Susanne Osthoff, wieder frei ist, darf auch der Bundesregierung als Verdienst zugerechnet werden, vor allem Außenminister Frank-Walter Steinmeier: Stille Diplomatie und keine laute Erfolgsrhetorik danach. Die Kanzlerin selber widerstand völlig der Versuchung, das glückliche Ende der Geiselnahme auf ihr Konto zu verbuchen. Der Außenminister, der sich kritischen Fragen wegen seiner Rolle als Kanzleramtschef in der vorherigen rot-grünen Regierung ausgesetzt sieht, wird von der Kanzlerin gestützt.

Der auffälligste Unterschied zwischen der alten und der neuen Regierung ist der Stil. Die große Koalition ist keine Selbsterfahrungsgruppe. Sie wird nicht mehr von Politikern geführt, die sich auf einem Egotrip befinden. Als Kanzlerkandidatin hatte Angela Merkel versprochen, sie wolle dem Land dienen. Heute nimmt man ihr und ihrer Regierung dies ab. Der Verzicht auf Imponiergehabe und Selbstdarstellung wird von den Menschen, so zeigen es die Umfragen, als wohltuend empfunden.

Die Sache wichtiger zu nehmen als sich selbst, ist wohl auch das Geheimnis ihrer bisherigen Erfolge. Erfahrene Beobachter der langen Brüsseler Verhandlungsnächte erinnern sich nicht, dass eine Regierungschefin oder ein Regierungschef von allen so sehr gelobt wurde wie Bundeskanzlerin Angela Merkel am Ende des schwierigen EU-Gipfels in Brüssel. Sie erwarb sich den Ruf einer ehrlichen Maklerin.

Nachdem eine Einigung über den komplizierten Finanzausgleich erzielt worden ist, bereitet sich die schwarz-rote Koalition gleich nach Neujahr auf die Übernahme der EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 vor. Unter deutscher Führung, so die Hoffnung der anderen Europäer, könne eine Lösung für die Verfassungskrise gefunden werden.

Die Bundesrepublik Deutschland könnte nach vielen Jahren wieder als Lokomotive den Zug der Europäischen Union anziehen. Dazu müssen die Reformbremsen zu Hause gelockert werden. Wer sich erinnert, dass noch vor kurzem der Föderalismus in Deutschland als Hauptursache für den politischen Stillstand galt, kann die Einigung über eine Neujustierung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern nur als hoffnungsvolles Zeichen werten.

So viel Harmonie wie in dieser Woche herrschte lange nicht mehr im Bundesrat. Die bestehenden Interessenunterschiede zwischen dem Bund und den Ländern und zwischen den Ländern sind nicht eingeebnet, werden aber dem gemeinsamen Ziel untergeordnet.

Da in der Wirtschaft wie in der Politik die Hälfte Psychologie ist, darf der Stimmungswandel nicht unterschätzt werden. Alle Politiker haben gleichsam kollektiv unter dem Verlust an Vertrauen gelitten. Der politische Streit, so kam es bei den Bürgern an, wurde nicht um der Sache, sondern um seiner selbst willen geführt. Dem politischen Gegner nicht das Schwarze unter den Fingernägeln zu gönnen, schien das Leitmotiv der Parteien zu sein.

Sie vermittelten das Bild von den Generalisten mit der Spezialkompetenz zur Bekämpfung des politischen Gegners, wie es Richard von Weizsäcker einmal formuliert hatte. Wenn Regierung und Opposition, die Parteien, Bundestag und Bundesrat jetzt deutlich machen, dass sie alle das Wohl des Landes antreibt, ist viel gewonnen. Denn die schlechte Stimmung im Lande und der Reformstau hatten ein die Demokratie gefährdendes Ausmaß angenommen.

Einer großen Koalition steht im Parlament immer eine kleine Opposition gegenüber. Bei der ersten großen Koalition von 1966 bis 1969 hatte die mangelnde parlamentarische Kontrolle die Herausbildung einer außerparlamentarischen Opposition befördert. Doch die Gefahr, den Straßenprotest oder die extremen Parteien zu nähren, besteht diesmal nicht. Die drei Oppositionsparteien im Bundestag sind durchaus in der Lage, Alternativen zu artikulieren und Protest zu kanalisieren. Denn alle wissen, Regierungs- und Oppositionsparteien, dass die große Koalition eine Aufgabe für eine Legislaturperiode hat, aber nicht darüber hinaus.

Das Kabinett Merkel hat einen guten Start hingelegt. Ob die Regierung nicht nur die Stimmung, sondern auch die Lage verbessern kann, muss sie allerdings noch zeigen. Die wichtigen Maßnahmen zur Sanierung des Haushalts und zur Ausbesserung des morschen Netzes der sozialen Sicherungssysteme sind verschoben worden. Bisher ist nicht zu erkennen, wie die unterschiedlichen Konzepte zur Gesundheitsreform in Übereinstimmung gebracht werden können. Auch nicht, wie es der großen Koalition gelingen soll, den Haushalt zu sanieren und gleichzeitig der Wirtschaft Wachstumsimpulse zu geben.

Aber nach den ersten Wochen der Regierung Merkel-Müntefering darf man für möglich halten, dass die Arbeiten an den unterschiedlichen Baustellen in Deutschland, in der Europäischen Union und den transatlantischen Beziehungen gut vorangehen. Optimismus ist erlaubt. Nicht nur, weil Weihnachten so friedlich und versöhnlich stimmt. Aber auch. Denn die Hälfte ist Psychologie.