"Ein hoch beeindruckendes Mahnmal"

Moderation: Maike Albath · 10.05.2006
Der Dramatiker und Schriftsteller Rolf Hochhuth ist von der Wichtigkeit des Holocaust-Mahnmals überzeugt. Es stelle sicher, so Hochhuth, "dass man das nicht mehr vergisst, was wir Deutschen da den Juden angetan haben". Der Schriftsteller zeigte sich im Deutschlandradio Kultur erfreut darüber, "wie sehr dieses Denkmal angenommen wurde".
Maike Albath: Am 10. Mai 2005 wurde in Berlin das Mahnmal für die ermordeten Juden in Europa eröffnet. Seit einem Jahr kann man das Stelenfeld von Peter Eisenman besuchen. Die Stadt habe das Mahnmal angenommen, heißt es von Seiten der Stiftung, bisher kamen dreieinhalb Millionen Besucher, etwa 10.000 pro Tag.

Vor der Sendung war ich bei einem Mann zu Gast, von dessen Arbeitszimmer aus man auf die Gedenkstätte schaut und dessen Werk eng mit der deutschen Vergangenheit verwoben ist - bei dem Dramatiker und Schriftsteller Rolf Hochhuth. Hochhuth hat mit seinen Theaterstücken als Aufklärer gewirkt, er hat sich immer wieder mit dem Erbe des Nationalsozialismus auseinander gesetzt und ist in Stücken wie Der Stellvertreter oder Die Juristen den Verwicklungen von Justiz und Kirche auf den Grund gegangen.

Ausgerechnet Rolf Hochhuth, der sich um die Vergangenheitsbewältigung so verdient gemacht hat, kam im vergangenen Jahr ins Gerede. In einem Interview mit der nicht gerade gut beleumundeten, rechten Wochenzeitung Junge Freiheit hatte er den Holocaustleugner David Irving als "seriösen Historiker" bezeichnet, wofür er sich später öffentlich entschuldigte - Hochhuth wusste nichts von Irvings Gesinnungswandel. Ich sprach mit Rolf Hochhuth über die Notwendigkeit des Erinnerns und fragte ihn zuerst nach der Wirkung des Mahnmals.

Rolf Hochhuth: Ja, ich wohne hier seit der Wende und bin tatsächlich vom ersten Moment der Planung an sozusagen Augenzeuge gewesen. Was ich an dem Mahnmal nicht gut finde, und das habe ich auch Herrn Eisenmann gesagt, dass die Namen fehlen. Wir haben ungefähr 3,8, vielleicht 4 Millionen Namen. Zwischen den Pyrenäen und der Weichsel ist jeder Jude, der ermordet wurde, dokumentiert. Wahrscheinlich würden sich auch im Baltikum, auf dem Balkan und in Westrussland und Polen noch viele, viele Namen finden. Das erste, was die Nazis, den zur Ermordung bestimmten abgenommen haben, weggeschmissen haben, ihre Pässe, waren die Namen. Und ich finde, wenn man auf den Stelen so viel Platz hat, dann sollte man die Namen nicht abermals weglassen.

Albath: Nun ist es ja ein sehr sinnlicher Eindruck, den man hat. Vielleicht geht es ja gerade darum, die Namen nicht zu nennen.

Hochhuth: Der sinnliche Eindruck würde in keiner Weise dadurch geschmälert, dass man die Namen lesen könnte. Nun sagt man ja, hier unter der Erde, im Archiv, wo jetzt ja wieder eine große Menschenschlange steht, da seien die Namen schon erfasst. Aber wir reden ja vom Denkmal und ich finde man hätte die Namen draufsetzen können. Ich war nicht der Einzige, der das fand.

Das Ganze ist jedenfalls ein hoch beeindruckendes Mahnmal geworden. Und es wurde höchste Zeit, dass wir Deutschen, immerhin erst 60 Jahre nach dem Tod des Auschwitzers dieses Denkmal errichtet haben. Und was mich natürlich geradezu versöhnt hat mit den Deutschen, ich bin selber Deutscher, die ich oft so kritisch sehe, ist eben diese Tatsache, wie sehr dieses Denkmal angenommen wurde. 10.000 Menschen pro Tag. Auch bei Schnee und Regen stehen sie dann Schlange vor dem Archiv, was unter der Erde ist, weil es in die Einzelheiten geht, eben weil es die Namen nennt und die Fotos zeigt.

Zum Beispiel hat mich unglaublich beeindruckt, Fotos von Menschen, die fast fröhlich aus Bielefeld die Waggons besteigen, noch völlig ahnungslos, was ihnen bevorsteht. Damals wurde nicht vergast, sondern erschossen. Weil aber zu viele Angehörige der Deutschen Wehrmacht da zugucken konnten, die Nazis es aber geheim halten wollten, wurde dann in sechs Ortschaften in Polen vergast.

Albath: Bleiben wir noch mal bei dem optischen Eindruck, den dieses Stelenfeld macht. Schwappt da etwas von dieser ganz besonderen Atmosphäre auch herüber? Wie ist der Unterschied zwischen der Wahrnehmung dort unten, wenn man hindurch geht und von hier oben, von Ihrem Arbeitszimmer?

Hochhuth: Also jetzt ist ein sehr schöner Sonnentag und da gehen Leute herum und Kinder und da hat man diesen Eindruck nicht. Wenn es aber Abend wird oder wenn wie neulich leichter Schneefall war und die Stelen waren beschneit, dann war der Eindruck überwältigend bedrückend. Das ist nicht immer zu erreichen. Aber überwältigend ist natürlich das ganz große Interesse, nicht nur der Deutschen. Ich glaube, dass dieses Mahnmal endlich sicherstellt, dass man das nicht mehr vergisst, was wir Deutschen da den Juden angetan haben.

Albath: Nun hat dieses Mahnmal mit den 2700 Stelen von Peter Eisenmann ja eine lange Geschichte. Es war ein mühsamer Prozess, sich dazu zu entscheiden, es zu errichten und auch die Geschichte der Erbauung hat ja eine Weile in Anspruch genommen. Wie hat sich Ihre Haltung dazu verändert, Rolf Hochhuth?

Hochhuth: Ich habe mehrmals öffentlich daran erinnert, dass Willy Brandt gesagt hat, ein solches Mahnmal in Mitten Berlins ist nichts weiter als unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Ich fand es indiskutabel zu diskutieren, ob ein Mahnmal für den Holocaust errichtet werden soll. Das ist vollkommen selbstverständlich. Hier, jetzt inmitten Berlins, 300 Meter vom Brandenburger Tor entfernt, dort gehört es hin und hier ist es nun, dieses Denkmal und man kann es nicht übersehen.

Albath: Rolf Hochhuth, der Dramatiker und Schriftsteller im Gespräch mit Deutschland Radio Kultur. Nun ist Ihr Werk, Rolf Hochhuth, eng mit der deutschen Vergangenheit, mit dem Nationalsozialismus verwoben. Ich erinnere nur an Ihre frühen Theaterstücke Der Stellvertreter oder Die Juristen, aber auch bis in Ihre späten Gedichte hinein spielt diese Vergangenheit ja immer wieder eine große Rolle. Haben Sie denn da den Eindruck, dass sich etwas gewandelt hat, dass die jüngeren Schriftsteller auch anders damit umgehen? Eine größere Verantwortungsbereitschaft vielleicht, die sich da abzeichnet?

Hochhuth: Ja ich möchte im Gegenteil sagen, ich bin ein bisschen erstaunt und auch enttäuscht, dass gerade die jüngeren Schriftsteller den Zweiten Weltkrieg und auch speziell den Holocaust für abgehakt ansehen. Und es allein in meiner Generation, ich gehöre zur Generation von Peter Weiss zum Beispiel, überlassen haben, von Max Frisch, der mit Andorra auch ein bedrückendes Stück über die Judenausrottung geschrieben hat, dass die Jüngeren es uns ganz überlassen haben und sich dieses Themas gar nicht mehr annehmen, sondern wie ich sie nenne, Nachrichten aus der Provinz liefern. Die deutsche Literatur ist im Begriff und das hat die junge Generation, die jetzt 40-, 50-Jährigen verschuldet, vollkommen provinziell zu werden.

Albath: Aber es gibt doch viele Autoren, zum Beispiel Marcel Beyer, Katharina Hacker, Judith Kuckart, Romanciers ganz unterschiedlicher Art, die sich sehr intensiv mit der nationalsozialistischen Vergangenheit beschäftigen und diese Geschichte ihrer Großväter aufarbeiten.

Hochhuth: Das war mir neu. Ich freue mich, das von Ihnen gehört zu haben. Das soll mich sehr freuen, wenn das so ist.

Albath: Nun sind Sie ja jemand, der immer wieder gerne Unruhe gestiftet hat. Früher mit ihren Theaterstücken bis heute passiert es Ihnen immer wieder, dass Sie auch für Diskussionen sorgen.

Hochhuth: Das Drama ist der Ausdruck der Unruhe. Das liegt nicht an mir. Wenn man als sein Medium das Drama entdeckt hat, natürlich beschäftigt man sich dann mit Dingen, die Unruhe stiften. Das hat mit meiner Person gar nichts zu tun. Worüber man beruhigt sein kann, was sozusagen nur unterhaltsam ist, aber gar nicht aufregend, das ist in jedem Fall einmal nicht Stoff zu einem Drama.

Albath: Im vergangenen Jahr hatten Sie Ärger, Rolf Hochhuth. Im Februar war das 2005, da hatten Sie der Zeitschrift "Junge Freiheit" ein Interview gegeben, das haben Sie später auch als Fehler angesehen…

Hochhuth: Nein, das habe ich nicht als Fehler angesehen. Die "Junge Freiheit" hat sich absolut vorbildlich verhalten. Sie hat mir eine Abschrift des Tonbandgesprächs gegeben und es war meine Fahrlässigkeit, nicht genau hinzugucken. Ich hatte ausdrücklich gesagt, dass ich den jungen Irving gekannt habe. Ich habe nicht von dem Irving gesprochen, der eindeutig geisteskrank ist, der heute leugnet, eine jüdische Mutter zu haben und den Holocaust leugnet, sondern ich sprach von dem Irving, der über die Ermordung von 6 Millionen Juden durch die Deutschen geschrieben hat. Das Buch war bis vor kurzem auch im Heine Verlag zu kaufen. Das Buch heißt Luftkrieg gegen Zivilisten von Guernica bis Vietnam. Und da im Vorwort spricht Irving davon, dass die Welt sich beruhigt schlimmerweise über die Tötung der Spanier durch die Deutsche Luftwaffe in Guernica, über die Ermordung von 6 Millionen Juden schreitet die Welt hin zu dem Moment, wo im Falle eines dritten Krieges schon über eine Million Menschen in der ersten Stunde zu beklagen sein werden.

Das ist Originaltext Irving und diesen Irving habe ich gekannt und von dem späten habe ich gar nicht gesprochen, weil ich ihn nicht kenne.

Albath: Noch einmal zum Nachtrag. Es geht um den Holocaustleugner David Irving, der ja auch...

Hochhuth: Der als alter Mann geisteskrank geworden ist und den Holocaust leugnet, aber als junger Mann geschrieben hat, von der Ermordung von 6 Millionen Juden durch uns Deutsche, das muss hinzugesetzt werden.

Albath: Rolf Hochhuth, wenn Sie sich noch einmal erinnern, an den 10. Mai 2005. Wie war damals Ihr aller erster Eindruck, als Sie durch dieses Stelenfeld gegangen sind.

Hochhuth: Es gab keinen allerersten Eindruck, denn ich habe ja täglich gesehen, wie dieses Denkmal entstanden ist. Die Bundesregierung wollte mir dann keine Einladung zu Einweihung schicken. Keine Einladung, für den Autor des "Stellvertreters", weil ich ein Unname bin in der politischen Prominenz dieses Landes. Aber ich hab dann doch noch in letzter Minute von jemandem eine Einladung bekommen.

Albath: Das war Rolf Hochhuth im Gespräch mit Deutschland Radio Kultur. Ich bedanke mich sehr bei Ihnen.

Hochhuth: Vielen Dank, Frau Dr. Albath.
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