Ein Himmelbett mit apokalyptischen Motiven
Der Maler Otto Dix ist für seine infernalischen Motive bekannt. Dass er privat ein friedlicher Familienmensch war, zeigt die Rekonstruktion seines Wohnhauses im baden-württembergischen Hemmenhofen.
Es ist warm am Bodensee, fast mediterran. Rentner radeln in lauer Luft, Müßiggang und unfassbarer Wohlstand allerorten. Hemmenhofen liegt schon an der Engstelle, wo der See langsam in den Rhein übergeht, die Schweiz ist in Sichtweite. In diesen hintersten Winkel Deutschlands hat sich Otto Dix zurückgezogen, als ihn die Nazis 1933 von der Dresdner Kunstakademie vertrieben. 1936 hat er dort ein Haus gebaut, dank einer Erbschaft seiner Frau.
Man steigt durch einen steilen Garten den Berg hinan, und am Klingelschild steht "Dix". Draußen blühen Rhododendren, Lupinen, Rittersporn. Drinnen wird gefeiert, denn das Dix-Haus wird als Museum wiedereröffnet. Mit viel öffentlichem Geld, etwa zwei Millionen Euro, hat die Dix-Stiftung das Haus gekauft und saniert, und das Stuttgarter Kunstmuseum, das weltweit die meisten Dix-Werke besitzt, hat eine Konzeption erarbeitet, die diesen Ort als Lebensmittelpunkt einer Künstlerfamilie sichtbar machen will, sagt Museums-Direktorin Ulrike Groos.
"Wir haben versucht, dieses Haus – deswegen heißt es auch Museum Haus Dix – einerseits museal auszurichten, also zu zeigen: Was sind Werke, die dort entstanden sind, was sind Gegenstände, die eine Rolle gespielt haben. Aber vor allem auch diesen Haus-, diesen Gemeinschafts-Charakter wieder zu rekonstruieren."
Wie macht man das eigentlich: den Charakter eines Hauses rekonstruieren? Die Stuttgarter Kuratoren haben die Originalwandfarben freigelegt – und siehe, das Haus war relativ bunt, gelb zum Beispiel das Wohnzimmer, rot der Salon der Ehefrau, blau die Kinderzimmer unterm Dach. Sie haben möglichst viel Originalmöbel, Lampen, Kleidung, Bücher, Schallplatten der Familie besorgt, und wo das nicht ging, haben sie mit vorsichtigen Anmutungen gearbeitet: Graue Ersatzmöbel sorgen als abstrahierende Nachbauten für einen Raumeindruck, der die Atmosphäre von damals nachbildet. Das Ziel:
"Man taucht in dieses Haus ein wie in ein Haus, in dem eine Familie miteinander kreativ gearbeitet hat, miteinander musiziert hat, Feste gefeiert hat."
Es bleibt allerdings immer klar, dass hier rekonstruiert wird – vor allem bei den Bildern. Dix hatte bei seinen Werken eine sehr eigene Hängung. Die drogensüchtige Erotiktänzerin Anita Berber – Dix hat das Bild in den 1960er-Jahren auf einer Münchner Auktion zurückgekauft – hing in der Diele, und das Esszimmer wurde vom "Triumph des Todes" verschönert. Dass Gäste meist etwas irritiert guckten, war Dix offenbar egal. Das grelle Großstadttriptychon hing hinter dem Flügel, auf dem Frau Martha Dix verdienstvollerweise Bach, Mozart und Beethoven spielte, und auf dem Grammofon daneben hörte Gatte Otto Jazz, vorzugsweise Swing.
Flügel und Grammofon sind wieder da, aber die Bilder sind verstreut in die besten Museen dieser Welt. Was tun? Die Kuratoren geben eine Anmutung der Bilder, indem dort, wo sie hingen, in Originalgröße schwarz-weiße Reproduktionen in die Wand gezeichnet sind. Die Bilder haben quasi ihren Schatten hinterlassen. Dies ist eine scheinbar einfache, aber museologisch intelligente Lösung: Sie wahrt Authentizität und demonstriert gleichzeitig die Rekonstruktion. Ähnlich ist es bei Möbeln oder Kunstgegenständen: Man hat zum Teil Originale, zum Teil Platzhalter, aber man zeigt immer vor, dass hier etwas musealisiert, nachempfunden wird.
Im Hause Dix wurde viel getanzt und gefeiert, und bei oder vor einem der Fasnetsfeste haben Dix und seine Gäste offenbar den Pinsel benutzt. Bei der Sanierung des Hauses entdeckte man im Keller Wandmalereien, die vom vielarmigen Monster, das eine eigene Blaskapelle bildet, bis zu Frosch, Clown und auf Männern reitenden Hexen reichen.
"Es sind unterschiedliche Motive, die man nicht vergleichen kann mit der Feinmalerei von Otto Dix. Man sieht, es ist Wandmalerei, die schnell dorthin gemalt wurde, auch in so einer Freude an den Themen. Es sind typische alemannische Fastnachtsmotive zu sehen wie ein Hänsele beispielsweise."
Die Stuttgarter Museumsleiterin Ulrike Groos hält das also nicht für einen Meilenstein für die Dix-Forschung, sie interessiert sich eher für das unentdeckte oder unterschätzte Spätwerk, die manchmal allzu lieblichen, manchmal aber nahezu breughelschen Bodenseelandschaften, die christliche Ikonographie, die späte Expressivität. Aber wenn man dann in diesem Atelier steht, neben dem verklecksten Stuhl und der Staffelei – die Farbtuben sind noch da, Siena-Rot, Rot-Orange – und durchs Fenster auf den See schaut, dann fragt man sich schon: Was wollte der Metropolenmensch Dix denn in der Provinz? In die Landschaft emigrieren? Ach wo.
"Martha hat das da unten sehr gut gefallen, sie hat sich in den Garten gestürzt, sie fand die Landschaft schön. Und von Otto Dix weiß man, da gibt’s ja auch drastische Aussprüche, dass er das doch sehr befremdlich fand. Vom Großstadtleben, erst Berlin, dann Dresden so in die Landschaft zu gehen. Er hat ja mal gesagt: Die Landschaft ist zum Kotzen schön und man steht vor ihr wie eine Kuh. Aber er war ja noch regelmäßig in Dresden."
In Dresden, wo er zu DDR-Zeiten wieder lehrte, unterhielt Otto Dix eine Zweitfamilie, Frau und Tochter. Das kam freilich erst nach seinem Tod heraus. Seiner Familie am Bodensee scheint er aber ein liebevoller Vater und Ehemann gewesen zu sein: Seine malerische Passion für Neugeborene und spielende Kinder setzte er wohl auch im Alltag um. Der vielgemalte Ursus wurde später Restaurator, Jan, jetzt 85, war Jazztrompeter und Silberschmied, und die frühverstorbene Nelly schrieb schon als Kind Bücher für die Brüder. Sie bemalte allerdings auch ihr – jetzt wieder aufgestelltes – Himmelbett mit apokalyptischen Motiven, einem Totentanz etwa und dem Kindermord von Bethlehem.
Von 1936 bis zu seinem Tod 1969 hat Otto Dix in diesem Haus gewohnt – eine lange Zeit. Bis heute sind die Bäume, die er bei seinem Einzug pflanzte, ziemlich groß geworden. Aber auch der Nutzgarten, den Martha Dix in der Armut der Kriegsjahre anlegte, um die Familie zu ernähren, ist wieder da. Er ist Teil dieser sehr diskreten und somit sehr gelungenen Haus- und Familienrekonstruktion, die den für infernalische Großstadtorgien bekannten Maler Otto Dix als friedlichen Familienmenschen zeigt.
Man steigt durch einen steilen Garten den Berg hinan, und am Klingelschild steht "Dix". Draußen blühen Rhododendren, Lupinen, Rittersporn. Drinnen wird gefeiert, denn das Dix-Haus wird als Museum wiedereröffnet. Mit viel öffentlichem Geld, etwa zwei Millionen Euro, hat die Dix-Stiftung das Haus gekauft und saniert, und das Stuttgarter Kunstmuseum, das weltweit die meisten Dix-Werke besitzt, hat eine Konzeption erarbeitet, die diesen Ort als Lebensmittelpunkt einer Künstlerfamilie sichtbar machen will, sagt Museums-Direktorin Ulrike Groos.
"Wir haben versucht, dieses Haus – deswegen heißt es auch Museum Haus Dix – einerseits museal auszurichten, also zu zeigen: Was sind Werke, die dort entstanden sind, was sind Gegenstände, die eine Rolle gespielt haben. Aber vor allem auch diesen Haus-, diesen Gemeinschafts-Charakter wieder zu rekonstruieren."
Wie macht man das eigentlich: den Charakter eines Hauses rekonstruieren? Die Stuttgarter Kuratoren haben die Originalwandfarben freigelegt – und siehe, das Haus war relativ bunt, gelb zum Beispiel das Wohnzimmer, rot der Salon der Ehefrau, blau die Kinderzimmer unterm Dach. Sie haben möglichst viel Originalmöbel, Lampen, Kleidung, Bücher, Schallplatten der Familie besorgt, und wo das nicht ging, haben sie mit vorsichtigen Anmutungen gearbeitet: Graue Ersatzmöbel sorgen als abstrahierende Nachbauten für einen Raumeindruck, der die Atmosphäre von damals nachbildet. Das Ziel:
"Man taucht in dieses Haus ein wie in ein Haus, in dem eine Familie miteinander kreativ gearbeitet hat, miteinander musiziert hat, Feste gefeiert hat."
Es bleibt allerdings immer klar, dass hier rekonstruiert wird – vor allem bei den Bildern. Dix hatte bei seinen Werken eine sehr eigene Hängung. Die drogensüchtige Erotiktänzerin Anita Berber – Dix hat das Bild in den 1960er-Jahren auf einer Münchner Auktion zurückgekauft – hing in der Diele, und das Esszimmer wurde vom "Triumph des Todes" verschönert. Dass Gäste meist etwas irritiert guckten, war Dix offenbar egal. Das grelle Großstadttriptychon hing hinter dem Flügel, auf dem Frau Martha Dix verdienstvollerweise Bach, Mozart und Beethoven spielte, und auf dem Grammofon daneben hörte Gatte Otto Jazz, vorzugsweise Swing.
Flügel und Grammofon sind wieder da, aber die Bilder sind verstreut in die besten Museen dieser Welt. Was tun? Die Kuratoren geben eine Anmutung der Bilder, indem dort, wo sie hingen, in Originalgröße schwarz-weiße Reproduktionen in die Wand gezeichnet sind. Die Bilder haben quasi ihren Schatten hinterlassen. Dies ist eine scheinbar einfache, aber museologisch intelligente Lösung: Sie wahrt Authentizität und demonstriert gleichzeitig die Rekonstruktion. Ähnlich ist es bei Möbeln oder Kunstgegenständen: Man hat zum Teil Originale, zum Teil Platzhalter, aber man zeigt immer vor, dass hier etwas musealisiert, nachempfunden wird.
Im Hause Dix wurde viel getanzt und gefeiert, und bei oder vor einem der Fasnetsfeste haben Dix und seine Gäste offenbar den Pinsel benutzt. Bei der Sanierung des Hauses entdeckte man im Keller Wandmalereien, die vom vielarmigen Monster, das eine eigene Blaskapelle bildet, bis zu Frosch, Clown und auf Männern reitenden Hexen reichen.
"Es sind unterschiedliche Motive, die man nicht vergleichen kann mit der Feinmalerei von Otto Dix. Man sieht, es ist Wandmalerei, die schnell dorthin gemalt wurde, auch in so einer Freude an den Themen. Es sind typische alemannische Fastnachtsmotive zu sehen wie ein Hänsele beispielsweise."
Die Stuttgarter Museumsleiterin Ulrike Groos hält das also nicht für einen Meilenstein für die Dix-Forschung, sie interessiert sich eher für das unentdeckte oder unterschätzte Spätwerk, die manchmal allzu lieblichen, manchmal aber nahezu breughelschen Bodenseelandschaften, die christliche Ikonographie, die späte Expressivität. Aber wenn man dann in diesem Atelier steht, neben dem verklecksten Stuhl und der Staffelei – die Farbtuben sind noch da, Siena-Rot, Rot-Orange – und durchs Fenster auf den See schaut, dann fragt man sich schon: Was wollte der Metropolenmensch Dix denn in der Provinz? In die Landschaft emigrieren? Ach wo.
"Martha hat das da unten sehr gut gefallen, sie hat sich in den Garten gestürzt, sie fand die Landschaft schön. Und von Otto Dix weiß man, da gibt’s ja auch drastische Aussprüche, dass er das doch sehr befremdlich fand. Vom Großstadtleben, erst Berlin, dann Dresden so in die Landschaft zu gehen. Er hat ja mal gesagt: Die Landschaft ist zum Kotzen schön und man steht vor ihr wie eine Kuh. Aber er war ja noch regelmäßig in Dresden."
In Dresden, wo er zu DDR-Zeiten wieder lehrte, unterhielt Otto Dix eine Zweitfamilie, Frau und Tochter. Das kam freilich erst nach seinem Tod heraus. Seiner Familie am Bodensee scheint er aber ein liebevoller Vater und Ehemann gewesen zu sein: Seine malerische Passion für Neugeborene und spielende Kinder setzte er wohl auch im Alltag um. Der vielgemalte Ursus wurde später Restaurator, Jan, jetzt 85, war Jazztrompeter und Silberschmied, und die frühverstorbene Nelly schrieb schon als Kind Bücher für die Brüder. Sie bemalte allerdings auch ihr – jetzt wieder aufgestelltes – Himmelbett mit apokalyptischen Motiven, einem Totentanz etwa und dem Kindermord von Bethlehem.
Von 1936 bis zu seinem Tod 1969 hat Otto Dix in diesem Haus gewohnt – eine lange Zeit. Bis heute sind die Bäume, die er bei seinem Einzug pflanzte, ziemlich groß geworden. Aber auch der Nutzgarten, den Martha Dix in der Armut der Kriegsjahre anlegte, um die Familie zu ernähren, ist wieder da. Er ist Teil dieser sehr diskreten und somit sehr gelungenen Haus- und Familienrekonstruktion, die den für infernalische Großstadtorgien bekannten Maler Otto Dix als friedlichen Familienmenschen zeigt.