Ein Herz für politische Tiere

Von Jochen Stöckmann |
"Ritter Johnny", "Go Homeese", "Ahrensburgnaeus" – Jonathan Meese ist nicht nur auf seinen Porträts sehr wandlungsfähig. Der junge Künstler eröffnete nun im norddeutschen Ahrensburg ein Kulturzentrum. Dort wird neben seiner Ausstellung auch das Kommunalparlament tagen. Meese selbst hält Tiere für die politischeren Wesen.
"Mama Johnny", mit diesem Schriftzug wird in großen Lettern die Jonathan-Meese-Schau der Hamburger Deichtorhalle annonciert. Mama Meese aber, das wissen die Kunstfreunde, lebt nicht in Hamburg, sondern im etwa 40 Kilometer entfernten Ahrensburg. Dorthin kehrt Jonathan Meese, 1970 als Sohn eines Walisers in Tokio geboren, immer wieder zurück. Ahrensburg, so schrieb ein Rezensent, sei "das Zuhause, die Energiequelle, das ewige Kinderzimmer, Meeses Gralsburg.

Von hier aus reitet Meese in die Schlacht gegen die furchtbaren Drachen und Dämonen da draußen, watet durch den Kultur- und Popschlamm des 20. Jahrhunderts." Mit der Schau "Ritter Johnny" eröffnete Jonathan Meese nun das neue Kulturzentrum Marstall in seiner Heimatstadt Ahrensburg. Großformatige Bilder und Plastiken des ebenso gefragten wie umstrittenen Künstlers werden bis zum 17. September in dem für 2,7 Millionen Euro umgebauten historischen Gebäude zu sehen sein, das künftig der Bildenden Kunst, Musik und Literatur dienen soll.

Ob Jonathan Meese heute wirklich echt ist? Diesen jungen Mann, der da mit langen Haaren und in der allbekannten Trainingsjacke zwischen lauter seriösen Herren in dunklen Anzügen steht, den haben wir kürzlich erst die Hamburger Deichtorhalle formatfüllend bespielen sehen, dann absolvierte er einen Nietzsche-Ringelreihen mit Martin, oder war’s im weißen Brautkleid gar Martina Wuttke auf Schloß Neuhardenberg, da wird zur Eröffnung des Kulturzentrums in Ahrensburg sicherlich ein Double angereist sein.

Egal, der wahre Meese offenbart sich ohnehin nur im wild wuchernden Werk, etwa in den vier wandhohen Porträts vom "Ritter Johnny", einem Kentauren mit dicker Zigarre im Maul, dem "Go Homeese" mit Henkerskluft und Eisernem Kreuz auf nackter Brust, "Fräulein Meese" ganz zierlich im Tutu und schließlich dem "Ahrensburgnaeus", einer wahrhaft monströsen Promenadenmischung mit sehr viel wutschnaubendem Steinbock drin.

Dazu auf riesigen Schwarzweißfotos Filmprominenz, junge Burschen mit nacktem Oberkörper, dann dieser Bösewicht, dessen Name uns nicht einfallen will, der aber im Prater Riesenrad fuhr, dann zu Zitterklängen durch die Wiener Kanalisation entwischte und auch einen Medientycoon gab. Ein ziemliches Durcheinander, aber der Künstler, sei es nun der echte oder der wahre Meese, sorgt für Orientierung:

Jonathan Meese: "Uwe Bohm ist Joe Dallesandro, Joe Dallesandro ist Orson Welles, Orson Welles ist der Dritte Mann, Fassbinder ist Picasso. So was ist wichtig. Diese Verwandlungsfähigkeit ist elementar, weil es um Masken geht. Wir können nur Menschen werden, wenn wir Masken tragen."

Was in Neuhardenberg so anfiel, bis hin zu Strohballen und Pappschildern, macht sich auch im Ahrensburger Marstall gut, vor allem eine meterhohe Zielscheibe. Die ist, bei Meeses bekannter Aversion gegen Kunst- und Stilgeschichte, gewiss kein Verweis auf einen Avantgardemaler wie Jasper Johns, sondern signalisiert ganz schlicht und einfach: Jonathan ist angekommen, zurückgekehrt nach Ahrensburg. Vor dem zentralen Gemälde, einem kolossalen Monumentalschinken mit dem Künstler unter einer goldenen Krone, stellt sich allerdings doch eine klassische Frage: Ist dieser Aufzug hier ein Passionsweg oder ein Triumphmarsch?

"Es ist genau umgekehrt: Jetzt bin ich nichts. Ich bin wieder ein unbeschriebenes Blatt und kann von neuem, von vorne anfangen. Also, die Rakete ist gelandet und jetzt kann ich in die nächste einsteigen und losfliegen."

Wo er das her hat, diese Allmachts-, ach was, diese Erzweltallphantasien? Natürlich aus der norddeutschen Kleinstmetropole, in der Jonathan Meese, Künstlerstar mit Ateliersitz in Berlin aufgewachsen ist, Ahrensburg:

"Es ist mit Sicherheit die Mutterstadt, weil mein Vater nie hier gelebt hat. Mein Vater ist für mich das Außerirdische. Meine Mutter ist total real und muss halt mit einem irrealen Sohn umgehen. Da kommt ein Feuerstein an einen Diamanten, und diese Sachen reiben sich."

Es reiben sich in der Ahrensburger "Ritter Johnny"-Schau aber auch mal wieder die Schlagworte, Reizvokabeln, die aus dem fast zum Überdruß bekannten, hastig hingemalten Bilderfundus hervorspringen. Da plärrt das "Staatsbaby" neben dem Heidegger-Trog, Nero und Caligula treffen sich unter dem Eisernen Kreuz, zur Parole "Diktatur der Kunst" liefert Meese dreizehn neue Thesen, gegeben und mit rollenden Augen verlesen zu Sankt Ahrensburg. Vom "Mitläuferstaat" ist die Rede und von Gesetzen, die den Menschen ja nur demütigen sollen. Das alles in einer Mehrzweckhalle, in der demnächst das Kommunalparlament tagen wird, kündigt Bürgermeisterin Ursula Pepper an:

"Ich finde das eine gute Kombination, einen Raum zu haben, den wir geschaffen haben für Kultur und wo wir gleichzeitig sagen, wir nutzen ihn auch als Stadtverordnetenversammlung. Manchmal geht man ja aus Begegnungen mit Kunst wieder als ein anderer Mensch heraus. Und vielleicht ist es ja in der Tat so, dass Anregungen von Jonathan Meese dazu führen, daß wir auch eine andere Art der Debatte führen."

Das dürfte ein "Parlament der Tiere" werden, denn Jonathan Meese hat neuerdings sein Herz für Kamele, Löwen und auch ganz liebliche Spinnen entdeckt:

"Diese Damen und Herren versammeln sich ja in einem Saal der politischen Tiere. Tiere schämen sich noch, wir tun das schon lange nicht mehr. Die leben nach Instinkten, wir nicht mehr. Da kann man sehr viel Politik lernen, Tiere sind politischer als Menschen. Tiere tanzen und spielen – und das ist auch Kunst."

Aufgetischt hat der Tierfreund diese Thesen auf einem langen Abendmahlstisch mit Kindertellern und eben jenem "Heidegger-Trog", einer weißen Gips-Raufe voll mit Antiquitäten-Nippes und Dachboden-Souvenirs. Da will jemand zurück zum Ursprung. Und das wird dem bescheiden freundlichen Künstlerstar in seiner Heimatstadt auch zugebilligt, von der Frau Bürgermeisterin persönlich:

"In dieser Gegenwelt leben zu dürfen, das kann man ihm als Künstler ja nicht absprechen. Dennoch ist es natürlich so, dass die Realität eine ist, in der wir anderen uns alle bewegen müssen und agieren müssen. Diese Gegenwelt der Kunst kann eigentlich nur existieren, wenn die anderen die reale Welt auch aufrecht erhalten. Das muss man immer sagen: Die Kunstwelt ist auch eine Nische."

Diese Nische hat Jonathan Meese in Berlin, Paris oder New York bestens besetzt, die Finanzierung seiner Gegenwelt sollte kein Problem sein. Zumal Luxuslimousinen oder gar ein Privatjet für ihn nicht in Frage kommen, er fährt Bahn, kommt und geht mit dem Regionalexpress:

"Wenn ich diese Strecke fahre, nach Ahrensburg, weiß ich, ich lande sanft, im Traum, ich kann schlafen. Wenn ich hier einsteigen muss in den Zug, um irgendwo hinzufahren, dann bin ich meistens sehr schlecht gelaunt. Aber das hier ist für mich ein Stützpunkt des Friedens, hier kann ich supergut arbeiten."

Deshalb also die Galerie der Jugendbildnisse gleich vorne in der Glastür zum Marstall: Fotoporträts mit Ortszeilen wie Goldahrensburg, Erzahrensburg, Liebesahrensburg oder auch Wahnahrensburg. Denn alles ist Ahrensburg und jeder macht den Meese.