Ein Haltloser ringt mit Gott

Von Christoph Leibold |
Eine zutiefst menschliche Figur bringt Johan Simons mit seinem "Hiob" an den Münchner Kammerspielen auf die Bühne. Die Geschichte des frommen, in die USA auswandernden Juden nach dem Roman von Joseph Roth wirft die Frage nach den eigenen Wurzeln auf und danach, welchen Halt das Vertrauen in Gott geben kann.
Johan Simons ist dem Münchner Publikum kein Unbekannter. Seit Frank Baumbauer Intendant der Kammerspiele ist, hat der Niederländer wiederholt am Haus inszeniert. Klare, kluge Arbeiten waren darunter, aber auch ein kopflastige Abende.

Jetzt hat Simons Joseph Roths 1930 geschriebenen Roman "Hiob" auf die Bühne der Kammerspiele gebracht. Es ist seine erste Inszenierung in München, seit bekannt wurde, dass Simons 2010 Frank Baumbauer als Intendant der Kammerspiele beerbt. Die Aufführung wurde zum Triumph, stürmisch bejubelt vom Münchner Publikum.

Joseph Roths Roman erzählt die Geschichte des frommen Juden Mendel Singer, der in Armut in Galizien lebt. Singer fügt sich in sein Schicksal, nimmt es als gottgegeben, doch die Familie lehnt sich auf: Ein Sohn geht zum Militär, ein anderer wandert nach Amerika aus, die Tochter lässt sich mit Nicht-Juden ein.

Als Singer und seine Frau dem ausgewanderten Sohn nach Amerika folgen, lassen sie das vierte, jüngste Kind, den behinderten Sohn Menuchim zurück. In Amerika erwartet die Familie neues Unglück: Die Söhne fallen im ersten Weltkrieg, die Tochter wird verrückt, Mendel Singers Frau stirbt aus Kummer.

Endlich sagt sich Singer von Gott los, da geschieht das Wunder: Sein in der Heimat zurück gelassener Sohn Menuchim taucht in Amerika auf. Er ist geheilt und ein berühmter Komponist und Kapellmeister geworden.

Johan Simons erzählt Mendels Geschichte eng an der Handlung des Romans entlang, wenn auch mit leicht verschobenem Akzent. Im Mittelpunkt steht bei ihm nicht so sehr Singers Religiosität an sich. Gottesfurcht ist bei Simons vor allem Ausdruck von Singers Identität.

Und so geht es vor allem um die Frage nach den Wurzeln, die einem Mensch Halt geben, ihn aber auch festhalten. Für Mendel Singer gilt beides: die Enge der Heimat schränkt ihn und seine Familie ein. Doch in Amerika wird er haltlos. Wie lassen sich die Bande lockern, ohne sie ganz zu kappen?

Schauplatz der Handlung ist ein symbolischer Ort: ein Karussell (Bühne: Bert Neumann), das in seiner Drehbewegung den ewigen Zyklus von Werden und Vergehen symbolisiert. Doch anfangs, als das Stück noch in Russland spielt, dreht sich das Karussell noch nicht, stattdessen herrscht lähmender Stillstand. Erst in den USA-Szenen glühen dann die Birnen. Doch auch das ist falscher Glanz: der verlockende Glanz der Ersatzreligion Kapitalismus, dem Mendel Singers Familie erliegt. Nur Mendel Singer selbst nicht.

André Jung spielt diesen Mendel Singer in München. Mit einer großartigen schauspielerischen Leistung steht er an der Spitze eines bravourösen Ensembles. Wie ein müder Bär tapst Jung über die Bühne. Er spricht leicht stockend, und scheint doch in sich zu ruhen.

Nicht seine Armut erschüttert diesen stillen Dulder, nur die Ausbruchversuche seiner Kinder beunruhigen ihn. Als die Handlung nach Amerika wechselt, wird Jungs Sprache hektischer, das Stocken wird zum Stammeln, er wird fahrig und hochfahrend zornig. Erst als er sich von Gott lossagt, findet er seine Balance wieder, wenn auch in Bitterkeit.

André Jung und Johann Simons haben mit diesem Mendel Singer, der in seiner Leidensgeschichte an den biblischen Hiob erinnert, eine zutiefst menschliche Figur auf die Bühne gebracht. Und einen zeitlos gültigen Stoff. Wer Simons vor allem durch den ein oder anderen unterkühlten Konzepttheaterabend in Erinnerung hatte, sah seine Erwartung durch diese anrührende Arbeit aufs Schönste enttäuscht.

"Hiob"
Nach dem Roman von Joseph Roth
Inszenierung: Johan Simons
Münchner Kammerspiele