"Ein Großteil der Störfälle wird überhaupt nicht bekannt"
Der Vizepräsident des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), Thomas Tennhardt, hat nach dem jüngsten Störfall in dem schwedischen Atomkraftwerk Forsmark gefordert, am Atomausstieg festzuhalten. Bei der Nutzung der Kernenergie könnten Störfälle nie vollkommen ausgeschlossen werden. Zugleich kritisierte er die Informationspolitik der Kernkraftbetreiber. So sei der Störfall in Schweden erst eine Woche später publik gemacht worden.
Sagenschneider: Schweden ist nicht Deutschland und was dort passiert ist, kann hier gar nicht geschehen. So war es gestern aus den Ländern zu hören. Gestern nämlich lief die Frist ab, die Bundesumweltminister Sigmar Gabriel gesetzt hatte. Nach dem Störfall im schwedischen Kernkraftwerk Forsmark wollte er sicher gehen, dass in Deutschland solche Pannen ausgeschlossen sind. Heute will er dazu im Kabinett einen Bericht vorlegen. In Forsmark hatte ein Kurzschluss außerhalb des Atomkraftwerks wesentliche sicherheitstechnische Systeme lahm gelegt und zum Ausfall wichtiger Überwachungseinrichtungen geführt. Zwei der vier Notstromaggregate waren ausgefallen, aus Sicherheitsgründen dann mehrere Atommeiler abgeschaltet worden. Sind wir hier in Deutschland also wirklich gefeit gegen solche Störfälle? Darüber wollen wir nun hier im Deutschlandradio Kultur mit Thomas Tennhardt sprechen. Er ist Vizepräsident des NABU, des Naturschutzbundes Deutschland. Guten Morgen Herr Tennhardt.
Tennhardt: Schönen guten Morgen.
Sagenschneider: Wie sehr trauen Sie den Entwarnungen, die da aus den Bundesländern, die Atomkraftwerke betreiben, kommen?
Tennhardt: Ja, also man kann den Dingen natürlich immer nur so weit trauen, wie man sie dann auch intensiv studiert hat und gelesen hat, was die Grundlage dafür ist. Ich traue sicherlich diesen Entwarnungen, oder der NABU traut diesen Entwarnungen aus den Bundesländern von den Behörden mehr als den Entwarnungen, die ja Stunden nach Bekanntwerden des Störfalls von den Betreiberfirmen, also von den großen Energiekonzernen in Deutschland, ausgegangen sind, die sofort einen solchen Vorfall ausgeschlossen haben. Und da muss man dann schon fragen, solange man den Fehler nicht genau kennt, sollte man, und das ist auch sicherlich im Interesse der eigenen Glaubwürdigkeit, vorsichtiger mit solchen vorschnellen Schlüssen sein. Insofern sind wir jetzt ganz zufrieden, dass das Bundesumweltministerium jetzt eine gründliche Prüfung angeordnet hat und einen lückenlosen Sicherheitsnachweis für alle deutschen Kernkraftwerke fordert.
Sagenschneider: Sind denn, Herr Tennhardt, die Erkenntnisse aus Schweden überhaupt schon ausreichend, um die Lage insgesamt beurteilen zu können?
Tennhardt: Das ist auch wieder mal so ein Punkt, was generell bei solchen Informationen, also Informationsdefizit bei dem Thema Atomkraft da ist. Zum einen ist es wieder mal so, dass die schwedischen Behörden haben ja die Öffentlichkeit auch erst eine Woche nach dem Störfall überhaupt informiert. Die deutschen Behörden wiederum erfahren dann nach eigenen Angaben aus den Medien davon. Also ich weiß gar nicht, wie das so in Europa noch funktionieren muss und kann. Dann die Atomaufsicht in den Bundesländern wiederum bekommt die Information aus dem Umweltministerium in Berlin eine Woche später. Das alles, obwohl der Betreiber von Forsmark-1, der Energiekonzern Vattenfall, ja auch selbst in Deutschland Kernkraftwerke betreibt. Und das erinnert alles schon sehr wieder an eingefahrene Muster, wie wir sie auch von Tschernobyl '86 schon kannten.
Sagenschneider: Kann man sagen, wie viel die Öffentlichkeit überhaupt über Pannen und Störfälle in Atomkraftwerken erfährt?
Tennhardt: Ja, das kann man sagen, weil es gibt da einen klaren Katalog, sozusagen international vorgeschrieben, welche Störfälle überhaupt gemeldet werden müssen, und dann auch wahrscheinlich mit dieser zeitlichen Verzögerung. Also man kann es jetzt nicht prozentual einschätzen, aber es gibt da Vorschriften. Und sicherlich ein Großteil der Störfälle, die jetzt keine gravierenden Auswirkungen haben, werden überhaupt nicht bekannt. Es ist jetzt auch hier wieder so, dass der Betreiber ja gestern, oder vorgestern auch bekannt gegeben hat, dass jetzt die Ursachen genau untersucht sind, aber die Ursachen natürlich nicht der Öffentlichkeit mitteilt. Also das ist nach wie vor ein Problem an dieser Stelle.
Sagenschneider: Wie hoch ist denn die Störfallquote in Deutschland und welche Qualität hat sie?
Tennhardt: Es gab immer wieder, ich sag mal so alle paar Jahre entsprechende Störfälle, wo auch eben entsprechende Probleme mit den Aggregaten waren. Das hatten wir auch in Deutschland schon an einigen Kernkraftwerken. Nicht in dieser Dimension, wie wir es jetzt hatten. Aber es zeigt eben, dass trotz dieser vielfachen Sicherung, ich meine Schweden ist ja auch nicht Tschernobyl, eigentlich, denkt man, so ein Störfall mit keiner totalen Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Und auch dieser AKW-Sicherheitscheck, der jetzt von Gabriel vorgesehen ist, bietet auch nur ein kalkuliertes Maß an Sicherheit. Ich denke mal, man kann bei der Kernenergienutzung das nie ausschließen. Und daher ist eben auch der Ausstieg und das Szenario, was da jetzt entwickelt wurde, auch richtig und das unterstützen wir auch.
Sagenschneider: Glauben Sie, Herr Tennhardt, dass solche Störfälle, wie jetzt in Schweden, dass die ein Umdenken bewirken können? Denn wir erleben ja, dass die Atomkraft geradezu einen Renaissance erfährt weltweit. Auch Schweden hatte ja angefangen darüber zu diskutieren, ob man den schon begonnenen Ausstieg aus der Atomkraft revidieren sollte.
Tennhardt: Ja, genau. Also das war gerade so eine Zeit. Auch der G8-Gipfel hat es ja gezeigt, dass sozusagen viele Länder jetzt wieder über den Neubau von Kernkraftwerken nachdenken, bzw. auch so wie Finnland mit dem Bau schon begonnen hat. Also ich hoffe mal, dass es da wieder ein Umdenken gibt, weil eigentlich in der Bevölkerung auch, es gab ja grad wieder jüngste Umfragen, über 60, 70 Prozent eigentlich für erneuerbare Energien sich stärker einsetzen und das für die, sagen wir, Energien der Zukunft halten. Und ich hoffe mal, dass die Politik diese Signale auch jetzt zunehmend ernst nimmt. Und in Schweden wird es sicherlich noch mal eine Debatte darüber geben, inwieweit überhaupt Kernkraft noch zum Energiemix dazu gehören muss.
Sagenschneider: Über erneuerbare Energien reden wir schon lange, über Energiesparen, auch durch klimafreundliche Technologie, natürlich auch. Und da ist auch einiges geschehen. Aber wird die Entwicklung wirklich so forciert, dass dies auch zügig ein wichtiges Standbein darstellen und die Atomkraft ersetzen kann?
Tennhardt: Nicht kurzfristig, das ist klar. Das dauert eine Weile. Da sind auch einfach die Strukturen festgefahren und die Lobbyisten zu aktiv in dem Bereich. Aber langfristig auf jeden Fall, denke ich, ist das machbar. Aber dazu müssen halt auch die Förderprogramme, da müssen die Unterstützungen entsprechend umgestaltet werden, auch von der Europäischen Union. Es sind ja Unmengen in die Kernkraftforschung in den letzten Jahrzehnten gesteckt worden. Wenn diese Förderung entsprechend auch für die Erneuerbaren in Zukunft gilt, dann bin ich da guter Dinge, dass wir das mittelfristig auch hinbekommen.
Sagenschneider: Herr Tennhardt, ich danke Ihnen. Thomas Tennhardt war das, der Vizepräsident des Naturschutzbundes Deutschland.
Tennhardt: Schönen guten Morgen.
Sagenschneider: Wie sehr trauen Sie den Entwarnungen, die da aus den Bundesländern, die Atomkraftwerke betreiben, kommen?
Tennhardt: Ja, also man kann den Dingen natürlich immer nur so weit trauen, wie man sie dann auch intensiv studiert hat und gelesen hat, was die Grundlage dafür ist. Ich traue sicherlich diesen Entwarnungen, oder der NABU traut diesen Entwarnungen aus den Bundesländern von den Behörden mehr als den Entwarnungen, die ja Stunden nach Bekanntwerden des Störfalls von den Betreiberfirmen, also von den großen Energiekonzernen in Deutschland, ausgegangen sind, die sofort einen solchen Vorfall ausgeschlossen haben. Und da muss man dann schon fragen, solange man den Fehler nicht genau kennt, sollte man, und das ist auch sicherlich im Interesse der eigenen Glaubwürdigkeit, vorsichtiger mit solchen vorschnellen Schlüssen sein. Insofern sind wir jetzt ganz zufrieden, dass das Bundesumweltministerium jetzt eine gründliche Prüfung angeordnet hat und einen lückenlosen Sicherheitsnachweis für alle deutschen Kernkraftwerke fordert.
Sagenschneider: Sind denn, Herr Tennhardt, die Erkenntnisse aus Schweden überhaupt schon ausreichend, um die Lage insgesamt beurteilen zu können?
Tennhardt: Das ist auch wieder mal so ein Punkt, was generell bei solchen Informationen, also Informationsdefizit bei dem Thema Atomkraft da ist. Zum einen ist es wieder mal so, dass die schwedischen Behörden haben ja die Öffentlichkeit auch erst eine Woche nach dem Störfall überhaupt informiert. Die deutschen Behörden wiederum erfahren dann nach eigenen Angaben aus den Medien davon. Also ich weiß gar nicht, wie das so in Europa noch funktionieren muss und kann. Dann die Atomaufsicht in den Bundesländern wiederum bekommt die Information aus dem Umweltministerium in Berlin eine Woche später. Das alles, obwohl der Betreiber von Forsmark-1, der Energiekonzern Vattenfall, ja auch selbst in Deutschland Kernkraftwerke betreibt. Und das erinnert alles schon sehr wieder an eingefahrene Muster, wie wir sie auch von Tschernobyl '86 schon kannten.
Sagenschneider: Kann man sagen, wie viel die Öffentlichkeit überhaupt über Pannen und Störfälle in Atomkraftwerken erfährt?
Tennhardt: Ja, das kann man sagen, weil es gibt da einen klaren Katalog, sozusagen international vorgeschrieben, welche Störfälle überhaupt gemeldet werden müssen, und dann auch wahrscheinlich mit dieser zeitlichen Verzögerung. Also man kann es jetzt nicht prozentual einschätzen, aber es gibt da Vorschriften. Und sicherlich ein Großteil der Störfälle, die jetzt keine gravierenden Auswirkungen haben, werden überhaupt nicht bekannt. Es ist jetzt auch hier wieder so, dass der Betreiber ja gestern, oder vorgestern auch bekannt gegeben hat, dass jetzt die Ursachen genau untersucht sind, aber die Ursachen natürlich nicht der Öffentlichkeit mitteilt. Also das ist nach wie vor ein Problem an dieser Stelle.
Sagenschneider: Wie hoch ist denn die Störfallquote in Deutschland und welche Qualität hat sie?
Tennhardt: Es gab immer wieder, ich sag mal so alle paar Jahre entsprechende Störfälle, wo auch eben entsprechende Probleme mit den Aggregaten waren. Das hatten wir auch in Deutschland schon an einigen Kernkraftwerken. Nicht in dieser Dimension, wie wir es jetzt hatten. Aber es zeigt eben, dass trotz dieser vielfachen Sicherung, ich meine Schweden ist ja auch nicht Tschernobyl, eigentlich, denkt man, so ein Störfall mit keiner totalen Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Und auch dieser AKW-Sicherheitscheck, der jetzt von Gabriel vorgesehen ist, bietet auch nur ein kalkuliertes Maß an Sicherheit. Ich denke mal, man kann bei der Kernenergienutzung das nie ausschließen. Und daher ist eben auch der Ausstieg und das Szenario, was da jetzt entwickelt wurde, auch richtig und das unterstützen wir auch.
Sagenschneider: Glauben Sie, Herr Tennhardt, dass solche Störfälle, wie jetzt in Schweden, dass die ein Umdenken bewirken können? Denn wir erleben ja, dass die Atomkraft geradezu einen Renaissance erfährt weltweit. Auch Schweden hatte ja angefangen darüber zu diskutieren, ob man den schon begonnenen Ausstieg aus der Atomkraft revidieren sollte.
Tennhardt: Ja, genau. Also das war gerade so eine Zeit. Auch der G8-Gipfel hat es ja gezeigt, dass sozusagen viele Länder jetzt wieder über den Neubau von Kernkraftwerken nachdenken, bzw. auch so wie Finnland mit dem Bau schon begonnen hat. Also ich hoffe mal, dass es da wieder ein Umdenken gibt, weil eigentlich in der Bevölkerung auch, es gab ja grad wieder jüngste Umfragen, über 60, 70 Prozent eigentlich für erneuerbare Energien sich stärker einsetzen und das für die, sagen wir, Energien der Zukunft halten. Und ich hoffe mal, dass die Politik diese Signale auch jetzt zunehmend ernst nimmt. Und in Schweden wird es sicherlich noch mal eine Debatte darüber geben, inwieweit überhaupt Kernkraft noch zum Energiemix dazu gehören muss.
Sagenschneider: Über erneuerbare Energien reden wir schon lange, über Energiesparen, auch durch klimafreundliche Technologie, natürlich auch. Und da ist auch einiges geschehen. Aber wird die Entwicklung wirklich so forciert, dass dies auch zügig ein wichtiges Standbein darstellen und die Atomkraft ersetzen kann?
Tennhardt: Nicht kurzfristig, das ist klar. Das dauert eine Weile. Da sind auch einfach die Strukturen festgefahren und die Lobbyisten zu aktiv in dem Bereich. Aber langfristig auf jeden Fall, denke ich, ist das machbar. Aber dazu müssen halt auch die Förderprogramme, da müssen die Unterstützungen entsprechend umgestaltet werden, auch von der Europäischen Union. Es sind ja Unmengen in die Kernkraftforschung in den letzten Jahrzehnten gesteckt worden. Wenn diese Förderung entsprechend auch für die Erneuerbaren in Zukunft gilt, dann bin ich da guter Dinge, dass wir das mittelfristig auch hinbekommen.
Sagenschneider: Herr Tennhardt, ich danke Ihnen. Thomas Tennhardt war das, der Vizepräsident des Naturschutzbundes Deutschland.