Ein "Großroman"

Der Bremer Germar Grimsen hofft mit seinem Buch "Hinter Büchern. Der Reigen" ein Opus magnum unter die Leute zu bringen. Im Nachwort des Verlegers ist von einem "Großroman" die Rede. Es handelt sich dabei um ein Textgeflecht, das in weiten Teilen aus eng gedruckten Fußnoten besteht und Kenntnisse in Hülle und Fülle serviert.
Alle Jahre wieder entsteigen dem Meer unbekannten Schrifttums Werke von einer Dimension, die nichts mit den herkömmlichen Hervorbringungen moderner Creative-Writing-Schmieden zu tun haben wollen. 2007 ist es der Bremer Germar Grimsen, der ein solches Opus magnum unter die Leute zu bringen hofft. Ein "Großroman" sei dies, behauptet Grimsens tapferer Verleger im Nachwort, und bezieht das umfängliche Werk kurzerhand auf so singuläre Erzeugnisse wie Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften", Marianne Fritz’ "Dessen Sprache du nicht verstehst" und – natürlich – Arno Schmidts "Zettels Traum". Das Etikett "Großroman" scheint sich dabei nicht nur auf beträchtliche Seitenzahlen zu beziehen, sondern nimmt gleichzeitig das Inkommensurable solcher Monumentalschriften ins Visier.

"Hinter Büchern. Der Reigen", das – wir erschaudern – nur der Auftakt eines zwölfteiligen Zyklus sei, ist ein weitschweifiges, dialogreiches, verspieltes und selbstgefälliges Geflecht, das in weiten Teilen aus eng gedruckten Fußnoten besteht und literarische, bibliothekskundliche und religionswissenschaftliche Kenntnisse in Hülle und Fülle serviert. Gewiss, eine Handlung gibt es in diesem Bremer Kraut-und-Rüben-Wildgarten auch: Das Mädchen Wiebke trägt dem Antiquar Christian Keller einen Flohmarktfund zu, der sich bei näherem Hinsehen als Handschriftensammlung aus dem Jahr 1846 entpuppt und einen unbekannten Autographen von Friedrich Hölderlin enthält.

Die Trouvaille wandert anschließend durch allerlei Bremer Hände, wird entwendet und später für teures Geld versteigert. Antiquare beiderlei Geschlechts, schwule Gelehrte, verschrobene Professoren und Kunden, die Hermann und Dorothea heißen und Ausgaben von Goethes "Hermann und Dorothea" sammeln, säumen den Schicksalsweg des Buches und bieten vielerlei Anlass für assoziativ-abwegige Fußnoten, die Hesse ("Karl May für Abiturienten") und Gellert schmähen, in Stifters "Nachsommer" eine "göttliche KZ-Ökonomie" ausmachen, die Vita des Villon-Nachdichters Paul Zech ausbreiten, Nas- und Einhörner aufmarschieren lassen oder Voltaires Schrift über den preußischen König – wenn schon, denn schon – zweisprachig zitieren, zahllose Hölderliniana kommentieren.

Ergänzt ist das Ganze durch ein meinungsstarkes Register und vorgetragen in einem altfränkischen Sprachduktus, der sich darin gefällt, markige Verben zu kreieren und "Schankkräfte" in "Garküchen" zu platzieren. Darin steckt manch Komisches, viel Kluges und noch mehr Verstiegenes, das stillschweigend davon ausgeht, dass jedes Wissen des Autors auch dessen Leser zu interessieren habe. Diese dürften, so steht zu befürchten, von den hier aufgetürmten Bücherbergen erschlagen werden.

Rezensent: Rainer Moritz

Germar Grimsen: Hinter Büchern. Der Reigen. Ein- und ausgeleitet von Hexametern aus der Feder Bernd Lüttgerdings mit einem notwendigem Register ausgestattet und einem Nachwort des Verlegers versehen.
Eichborn Verlag, Berlin 2007.
479 Seiten, 39,95 Euro