"Ein großer Europäer"

Alena Wagnerova im Gespräch mit Frank Meyer · 01.04.2009
Das Verdienst des Schriftstellers Milan Kundera ist in den Augen seiner Kollegin Alena Wagnerova, tschechische Themen zu europäischen gemacht zu haben. Kundera, der vor allem mit dem Buch "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" international bekannt wurde, feiert heute in Paris seinen 80. Geburtstag.
Frank Meyer: Der Autor Milan Kundera feiert heute seinen 80. Geburtstag. Milan Kundera ist ein Mann, der schon lange die Öffentlichkeit scheut, der sich Journalisten gegenüber – wenn überhaupt – nur schriftlich äußert, der seine alte Heimat Tschechien nach 1989 nur inkognito, angeblich sogar mit einer Perücke verkleidet, besucht hat. Aber wir haben immerhin von Kunderas deutschem Verleger, Michael Krüger, erfahren, wie Kundera seinen 80. Geburtstag heute feiern wird.

Michael Krüger: Er wird mit seiner Frau Vera in Paris in ein kleines Lokal gehen – ich sage Ihnen nicht welches, weil sonst möglicherweise einer auf die Idee kommen könnte, ihm das Geburtstagsessen zu versalzen – und wird dort essen. Er hat sich strikt verbeten, dass man ihm zum Geburtstag gratuliert, also selbst wir dürfen ihm nicht gratulieren. Ich habe es drei Tage vorher getan, aber auch nicht gratuliert, sondern ihm etwas Allgemeines geschrieben –, weil er ein abergläubischer Mensch ist, der immer denkt, Glückwünsche haben immer auch eine andere Seite, sind janusköpfig. Und deshalb möchte er seinen Geburtstag nicht gefeiert wissen.

Meyer: Michael Krüger, der Chef des Hanser Verlages über den 80. Geburtstag von Milan Kundera. Der Schriftsteller kommt aus der tschechischen Stadt Brno, in dieser Stadt wurde auch die Autorin Alena Wagnerova geboren, eine Kennerin der tschechischen Literatur und des Werks von Milan Kundera. Alena Wagnerova ist jetzt für uns am Telefon. Frau Wagnerova, die tschechische Literatur ist ja gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht gerade arm an großen Autoren, wenn man an Bohumil Hrabal denkt oder an Václav Havel oder an Pavel Kohout. Sogar in Milan Kunderas Familie gibt es noch einen anderen bekannten Autor, seinen Cousin Ludvik Kundera. Warum ist nun gerade Milan Kundera zum berühmtesten tschechischen Autor seiner Zeit geworden, was meinen Sie?

Alena Wagnerova: Ich denke, dass das auch damit zusammenhängt, dass Milan Kundera immer auch als Literat auch eine politische Persönlichkeit war. Er hatte seine kurze, begeisterte, jugendbewegte, kommunistische Phase, von der er sich sehr schnell verabschiedet hat. Man muss denken, dass er schon 1953 debütierte, was damals für diese Generation recht ungewöhnlich war, weil das nicht so einfach war. Und dann ist er sehr schnell zu einem linken, reformistischen Intellektuellen geworden. Und seine Rolle gerade in den 60er-Jahren, die beginnt eigentlich 1959 mit seiner Rede auf dem Schriftstellerkongress, wird zu dem führenden, kritischen Intellektuellen in der Tschechoslowakei gehören, der wesentlich die 60er-Jahre prägt. Auch diese Rückkehr zu den Quellen, aus denen einmal das kommunistische Gedankengut gekommen ist als die Idee einer besseren Welt.

Meyer: Er war ja auch einer der Wortführer des Prager Frühlings. Für welche Fraktion hat er da gestanden?

Wagnerova: Na ja, natürlich, für den demokratischen Sozialismus, zu den reformierenden Intellektuellen. Er gehörte dazu als eine wichtige Individualität. Und er gehörte zu den führenden Intellektuellen des Landes, ein ganz klein bisschen auch in der Konkurrenz zu Václav Havel, der einen anderen Hintergrund hat, der sich auch vor allem in der Zeit des Prager Frühlings und kurz vorher auch schon profilierte als ein Intellektueller.

Meyer: Nach dem gewaltsamen Ende des Prager Frühlings wurde Kundera aus dem Schriftstellerverband und der Partei ausgeschlossen. Er hat seine Arbeit verloren, er wurde mit einem Publikationsverbot belegt. Sieben Jahre lang hat er es ausgehalten unter diesen Bedingungen in der Tschechoslowakei, dann ist er nach Frankreich gegangen, wo er bis heute lebt. Ist dieser Autor denn trotzdem in der Tschechoslowakei präsent geblieben, auch wenn er dann im Exil gelebt hat?

Wagnerova: Ja, er ist präsent geblieben als eine Persönlichkeit. Weniger bekannt wurden natürlich seine Werke, die noch, wie zum Beispiel "Abschiedswalzer", wurde noch in Tschechisch geschrieben und in der Tschechoslowakei geschrieben, aber ist erschienen erst im Ausland. Also das war dann schwierig, dass Kundera natürlich im Bewusstsein geblieben ist, aber als Autor ist er praktisch verschwunden, weil seine Werke nicht vorhanden waren, nur über den Škvorecký-Verlag in ganz kleiner Anzahl von Exemplaren.

Meyer: Das war ein anderer Autor in Tschechien damals, Škvorecký?

Wagnerova: Ja, Škvorecký, ja, der ist dann nach Kanada ausgewandert und hat einen Exil-Verlag gegründet, in dem auch Kundera erschienen ist tschechisch.

Meyer: Das heißt, der Roman, mit dem er dann in der ganzen Welt bekannt wurde, "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins", er ist ja 1984 herausgekommen, den hat man in Tschechien kaum gekannt?

Wagnerova: Den hat man kaum gekannt. Und nach 89 kamen noch hinzu Schwierigkeiten mit dem Übersetzen. Kundera war dann sehr strikt dagegen, dass Sachen tschechisch erscheinen ohne seine, sagen wir so, Kontrolle. Sagen wir so, er ist bekannt gewesen, aber mit diesen Hindernissen.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit der tschechischen Autorin Alena Wagnerova über Milan Kundera, der heute seinen 80. Geburtstag feiert. Sie haben es gerade angesprochen, die französischen Bücher, die Milan Kundera dann seit den 80er-Jahren geschrieben hat, also die Bücher, die er auf Französisch geschrieben hat. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat dazu einmal berichtet, dass in den Pariser Buchhandlungen es seltsam ist mit seinen Büchern, man findet die mal in der französischen Abteilung und mal in der tschechischen oder ost- und mitteleuropäischen Abteilung, je nachdem, wie die Buchhandlung sich entscheidet. Wie ist das für die Tschechen? Ist Milan Kundera für sie nach wie vor ihr Autor, ein tschechischer Autor, oder haben sie ihn gewissermaßen auch an die Franzosen abgegeben?

Wagnerova: Ja, das ist sehr kompliziert. Ich würde sagen, die traditionelle tschechische Literaturwissenschaft hält immer noch die Flagge der nationalen Literatur, die in der Muttersprache geschrieben ist, und hat natürlich in zunehmendem Maße Schwierigkeiten, genauso wie auch die deutsche Literaturwissenschaft, die inzwischen türkischstämmige Autoren natürlich akzeptierte. Und diese Entwicklung ist, tschechischstämmige Autoren, die in fremden Sprachen sprechen. Daran muss sich noch die tschechische Literaturwissenschaft und die Kulturöffentlichkeit noch gewöhnen, weil da wirken noch so die Verteidigungsmechanismen der kleinen tschechischen Sprache aus dem 19. Jahrhundert, und die wirken noch etwas nach. Aber die Veränderung ist natürlich schon im Gange. Und jetzt gerade lese ich in "Lidové noviny" einen Artikel über Kundera zu seinem 80. Geburtstag, sogar von Václav Klaus geschrieben, von dem Präsidenten.

Meyer: Vom Staatspräsidenten persönlich, das will was heißen!

Wagnerova: Ja, vom Staatspräsidenten persönlich. Für ihn ist Kundera nach wie vor ein tschechischer Autor auch.

Meyer: Jetzt bin ich neugierig, weil Sie diesen Artikel ansprechen des tschechischen Staatspräsidenten Václav Klaus. Hat er auch die Affäre Kundera angesprochen, die vor einem halben Jahr begonnen hat? Damals hat ja die tschechische Wochenzeitung "Respekt" im Oktober 2008 Milan Kundera eine Denunziation vorgeworfen. Er soll im März 1950 einen tschechischen Widerstandskämpfer an die Polizei verraten haben, ein Mann, der dann erst zum Tode verurteilt wurde, später begnadigt und 14 Jahre im Gefängnis sein musste. Hat Václav Klaus das angesprochen?

Wagnerova: Nein, er hat das abgelehnt, er schreibt, darüber schreibe ich nicht, das interessiert mich nicht, weil ich auch keine genauen Informationen habe. Und ich denke, das ist sehr richtig. Ich weiß nicht, wer Václav Klaus beim Schreiben dieses Artikels geholfen hat, aber es ist kein schlechter Artikel, muss ich sagen. Sehr angemessen, auch zu der Rolle von Milan Kundera als Reformkommunist im Jahre 1968. Und er betont also drei Entwicklungsphasen: die erste, die jugendhafte, dann in den 60er-Jahren und dann die französische, die dritte Phase in seinem Leben als Exilant.

Meyer: Und Sie selbst, Frau Wagnerova, wie beurteilen Sie diesen Denunziationsvorwurf? Milan Kundera hat ja selbst gesagt, da sei nichts dran, er hat diese Vorwürfe abgestritten.

Wagnerova: So wie ich den Fall verfolgt habe, dass da eine Grundlage höchstens zu einem Anfangsverdacht war und dass man von einer Denunziation überhaupt nicht sprechen kann, sondern dass einfach ein Student, der Vertrauensmann in dem Studentenheim war, namens Milan Kundera, nachdem ihm Kollegen gesagt hatten, da gibt es jemand, der sich da vielleicht versteckt, aus seiner Pflicht also zu der Polizeistation ging und sagte – und das ist ganz deutlich, auch in diesem Vermerk der Polizei: Der Kollege (…) (Anm. d. Red.: Name schwer verständlich im Hörprotokoll) sagte mir, dass bei der Kollegin Militka sich ein gewisser Herr Miroslav Dvořáček aufhält, der vermutlich aus dem Ausland kommt. Das ist das Ganze, was in dem Vermerk steht. Das heißt, das ist nicht so, dass ein begeisterter junger Kommunist kommt und sagt: Da ist ein Agent, den müssen wir schnappen. Und diese Art der Affäre wirklich nach einer stalinistischen Manier hat die sonst immer recht interessante und gute und solide Zeitung "Respekt" daraus gemacht.

Meyer: Wenn wir wieder zurückkommen zum 80. Geburtstag heute von Milan Kundera, wie beobachten Sie das, Sie haben schon den einen Artikel des Staatspräsidenten erwähnt, wie wird dieser Geburtstag gewürdigt? Wird Milan Kundera jetzt als Nationalautor gefeiert?

Wagnerova: Das würde ich nicht sagen. Ich würde sagen, er wird als ein europäischer Autor gefeiert eher, als ein großer Europäer, der viele Sachen vorausgesehen hat, der in seinen Romanen immer also geprägt ist von der tschechischen Erfahrung, aber der auf die sagen wir Bühne der europäischen Kultur diese Themen bringt. Und das ist natürlich schon ein großer Verdienst von Kundera, ebenso wie Libuše Moníková, dass sie tschechische Themen zu europäischen Themen der Literatur gemacht hatten.

Meyer: Der europäische Autor Milan Kundera wird heute 80 Jahre alt. Ich habe mit seiner Kollegin Alena Wagnerova über Milan Kundera gesprochen. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Wagnerova: Gern geschehen!