Ein göttliches Geschenk

Schönheit ist heute ein Allerweltsthema. Regelmäßig werden Schönheitsköniginnen gekürt zur "Miss Germany" oder "Miss World" und Hochglanzmagazine meinen, wir müssten "Schöner Grillen" oder "Schöner Wohnen".
Aber John O’Donohue sollte man auf keinen Fall verwechseln mit den Jüngern des modernen Schönheitswahns. Denn seiner Auffassung nach geht es in den Hochglanzmagazinen gar nicht um Schönheit, sondern um Glamour. Glamour ist Blendwerk, allenfalls ein Surrogat für Schönheit. Glamour wird von Werbeagenturen im Interesse der Industrie fabriziert, Glamour unterliegt der Mode und ist vergänglich. Schönheit dagegen, so der Autor, ist zeitlos, sie ist der Schmuck der Ewigkeit. Mit einem Satz: Glamour ist menschlich, Schönheit dagegen ist göttlich.

John O’Donohue, damit kokettiert er gern, pflegt "einen recht altmodischen Schönheitsbegriff". Der geht auf Platon zurück, findet sich bei Thomas von Aquin und zuletzt in der klassischen deutschen Philosophie bei Hegel. Diese "Philosophen der Spiritualität" sind sich einig: Schönheit ist nicht nur ein Begriff aus dem Repertoire der menschlichen Urteilskraft, die heute dieses und morgen jenes als "schön" oder "hässlich" befindet. Schönheit ist etwas viel Größeres, nämlich eine göttliche Idee. Auch John O’Donohue ist überzeugt: Gott hat die Welt nach dem Urbild des Schönen erschaffen. Jede seiner Kreaturen, ob nun eine Landschaft, eine Rose oder auch ein menschliches Gesicht, sie alle sind Abbilder einer ursprünglichen Idee des Schönen vor der Zeit.

Der Leser fragt sich: Wie kommt der Autor auf die Idee, dass irdische Schönheit "erweckt" werden müsse? In dieser Sache ist O’Donohue Hegelianer. Denn Hegel meinte, jedes ästhetisches Objekt braucht ein Subjekt, das der schönen Form Interesse entgegenbringt und sie auf diese Weise erst zur Erscheinung bringt. Das heißt, Schönheit ist eben nicht einfach in der Welt vorhanden, sondern sie bedarf eines Betrachters, sich zu entfalten. Um die Schönheit der Menschen und Dinge um uns zu wecken, müssen wir zunächst unsere Sinne schulen. Wir müssen sehen, hören, fühlen, schmecken lernen – und dies in einem viel intensiveren Maß als wir das gewöhnlich im Alltag tun, denn dort übersehen wir zu oft das Schöne. – "Das Schöne sehen lernen" ist denn auch ein Motto dieses Buches, und in dieser Sache ist John O’Donohue ein ausgezeichneter Lehrmeister.

O’Donohue ist nicht nur Theologe und Philosoph, sondern in erster Linie Dichter, das spürt man in diesem Buch. Da gibt es wunderbare poetische Bilder der Landschaften seiner irischen Heimat. O’Donohue stammt aus einem Bauerndorf in Connemara, einer kargen Gegend im Westen der Insel. Des Dichters Heimat wird von Touristen gern als langweiliges Stück Erde abgetan und links liegen gelassen, O’Donohue dagegen betrachtet die Landschaft mit einem gänzlich anderen Blick. Er schwärmt von den "Neujahrstagen mit ihrer blauen Kälte", von einem "Schwanenlicht" am Morgen und einer "pfirsichfarbenen Abenddämmerung", denn "im Westen Irlands herrscht ein wundervolles Licht".

Das Buch handelt nicht nur von Naturschönheiten. Der Autor meint, wir können das Schöne überall finden – in der Landschaft genauso wie in der Kunst. Und genauso im Alltag: in Kleidung, Möbeln, Gärten. Und in menschlichen Beziehungen: in der Freundschaft und der Liebe. Auf eine Feststellung allerdings legt O’Donohue großen Wert: Die Schönheiten dieser Welt zu entdecken heißt nicht, die Welt durch eine rosarote Brille sehn. In O’Donohues Philosophie gilt nämlich alles als schön, was der Schöpfung respektive der Natur gemäß ist, ihr zumindest nicht widerspricht. Deshalb betrachtet der Autor vieles mit Wohlgefallen, was in der Welt des Glamour als ausgesprochen hässlich gilt. In seinem Buch gibt es ein Kapitel über die Schönheit der Todes und der Vergänglichkeit. Und eins über die Schönheit des Makels. Dort wird zum Beispiel über das Thema "Schönheitsoperation" philosophiert. O’Donohue meint, dieser Begriff ist ein Widerspruch in sich. Schönheit kann man nicht herbeioperieren. Es zu versuchen, ist ein menschlicher Eingriff in göttliche Dinge, und was dabei entsteht, so der Autor, ist immer Hässlichkeit.

O’Donohues neuestes Werk ist mehr als ein Sachbuch über den Begriff der Schönheit. Es ist eine feine Komposition aus Dichtung, Glauben und philosophischer Argumentation. Es möchte seinem Leser Freude schenken und Kraft verleihen, Schönes zu sehen, zu genießen (nicht etwa zu verbrauchen) und aus diesem Genuss Kraft zu schöpfen. Und O’Donohue rät uns, dem modernen Verschönerungswahn abzuschwören. Wir sollten lieber Gott vertrauen, der im Akt der Schöpfung immer wieder liebevoll sein Werk betrachtet hat "und sah, dass es gut war." - Und schön.

Rezensiert von Susanne Mack

John O’Donohue: Vom Reichtum des Lebens. Die Schönheit erwecken
Übersetzt von Sabine Hübner
dtv 2007
320 Seiten, 9,50 Euro