Ein Genie der Freundschaft

In Kalifornien suchte Saska Viertel ihr Glück.
In Kalifornien suchte Saska Viertel ihr Glück. © Jan-Martin Altgeld
26.05.2011
Die Schauspielerin Salka Viertel war in der Weimarer Republik einem größeren Bühnenpublikum bekannt und suchte ihr Glück in den 1930er Jahren in Kalifornien. Dort war sie mit zahlreichen Emigranten aus Deutschland befreundet, die sie in ihrem Erinnerungsbuch porträtiert.
Eine wahre Trouvaille, ein Zeitdokument, ein lebenskluges Erinnerungsbuch: Nachdem über 40 Jahre lang die Memoiren der Schauspielerin und Autorin Salka Viertel vergriffen waren, sind sie nun wieder zugänglich geworden. Und zwar mit Aplomb, denn die Ausstattung in der einst von Hans Magnus Enzensberger gegründeten "Anderen Bibliothek" im Eichborn Verlag könnte berückender und liebevoller gar nicht sein: Ein roter Samteinband, ein leserfreundliches Satzbild und dazu Schwarz-Weiß-Fotos der Autorin – als "Maria Stewart" 1926 in Düsseldorf, mit Sergej Eisenstein am Strand von Santa Monica 1930 und schließlich als bereits bejahrte Frau in den sechziger Jahren in der Schweiz, Seite an Seite mit Greta Garbo.

Versehen ist diese Wiederentdeckung mit einem kenntnisreichen Nachwort des Bachmann-Preisträgers Michael Lentz, der seit der Veröffentlichung seines Romans "Pazifik Exil" selbst schon ein Experte in Sachen Emigrationsliteratur geworden ist.

Wer aber war Salka Viertel? Zur ihrer Zeit ein Star – zuerst in Deutschland für ein größeres Bühnenpublikum, dann für ihre ebenfalls emigrierten Freunde, einen kleinen, aber feinen Künstler- und Intellektuellenzirkel bei Hollywood. Geboren in einer kulturbürgerlichen jüdischen Familie im Jahre 1889 am Fluss Dnjestr, der damals – nicht zuletzt zu ihrem Glück – noch dem toleranten K.u.k.-Reich angehörte, wurde sie an der Spree bald zur gefeierten Schauspielerin, heiratete den (notorisch promiskuitiven) Autor Berthold Viertel und ging mit ihm bereits 1928 nach Kalifornien; kein Geringer als der Stummfilmregisseur Friedrich Wilhelm Murnau hatte sie dazu überredet.

Salka Viertel hatte dann - immerhin als Drehbuch-Mitautorin von Greta Garbos "Königin Christine" und "Anna Karenina" - in Hollywood einigermaßen Fuß gefasst, übliche Rückschläge, Kündigungen und künstlerische Enttäuschungen inklusive. Vielleicht sind ja deshalb ihre Memoiren mit dem Titel "Das unbelehrbare Herz" so wohltuend frei von jener undankbaren Verschmocktheit á la Brecht und Adorno, die im immerhin lebensrettenden Kalifornien lediglich die vermeintlich Kulturbanauserie wahrnahmen – während gleichzeitig im angeblich so verfeinerten Europa die Gaskammern und Verbrennungsöfen mit Millionen Menschen gefüllt wurden.

"Vor langer, langer Zeit, als ich ein ganz junges Mädchen war", so beginnt stattdessen Salka Viertels 1969 zuerst auf englisch erschienenes Erinnerungsbuch, "sagte mir einmal eine Zigeunerin, dass ich von Leid und Kummer verschont bleiben würde, solange ich nahe am Wasser lebte." Doch das dies einmal der Pazifik sein sollte ...

Im Unterschied zu den verfälscht geglätteten oder hysterisch anklagenden Memoiren einer Alma Werfel-Mahler oder Claire Goll zeichnet dieses Buch deshalb der Kammerton einer Zurückhaltung in eigener Sache aus, vor dessen Hintergrund jedoch all die Viertelschen Hausgäste doppelt scharf konturiert sind: Heinrich und Thomas Mann, Lion Feuchtwanger, der "jungenhaft anmutige" Christopher Isherwood, Sergej Eisenstein (vom Terror des Stalinismus versteht das "Unbelehrbare Herz" jedoch leider recht wenig) bis hin zum damals blutjungen Norman Mailer, "einen liebenswerten Faun mit abstehenden Ohren".

Von ihrem Mann und Vater dreier Söhne, der 1953 starb, bereits seit Langem getrennt, war Salka Viertel ein ebenso liebevoller wie lebenspraktisch hilfreicher Magnet, dessen Gastfreundschaft die geistige Elite jener Zeit und jener Gegend gern in Anspruch nahm.

Im Zuge der unguten McCarthy-Hysterie Anfang der Fünfziger Jahre aus den USA ausgereist, kehrte sie nach Europa zurück und starb 1978 hochbetagt in der Schweiz. Ein Leben, das – ohne sich je selbst zu verleugnen – der Freundschaft und dem geistigen Austausch gewidmet war. Und ein Buch, das davon ebenso uneitel wie berührend Zeugnis ablegt.

Besprochen von Marko Martin

Salka Viertel: Das unbelehrbare Herz. Erinnerungen
Aus dem Amerikanischen von Helmut Degner
Die Andere Bibliothek im Eichborn Verlag, Frankfurt a.M. 2011
512 Seiten, gebunden im Schuber, 34,- Euro