Ein gegensätzliches Paar
Die Feministin Iris von Roten wurde in den 50er Jahren durch ihr Buch "Frauen im Laufgitter" bekannt. Verheiratet war sie mit dem konservativen Juristen Peter von Roten. Das ungleiche Paar schrieb sich während ihrer Trennungen eifrig Briefe. Einen Teil davon hat Wilfried Meichtry in "Verliebte Feinde" nun veröffentlicht.
"Es reicht. Ich bringe mich um", schreibt die 73-jährige Iris von Roten in ihrem Abschiedsbrief. Nüchtern hatte sie zuvor alle Gebrechen aufgezählt, die ihr das Leben zur Hölle machten: drohende Erblindung, Schwerhörigkeit, Gehbehinderung, dreißig Jahre Schlaflosigkeit. Schon Jahrzehnte zuvor hatte sie angekündigt, sich in diesem Fall gegen das Siechtum zu entscheiden. Nun macht sie den Plan wahr - und erhängt sich.
Ganz anders ihr Mann. "Warum sich umbringen? Tot ist man dann noch lange genug", lautete die lakonische Ansicht Peter von Rotens.
Nicht nur am Ende waren die beiden das, was man ein gegensätzliches Paar nennen könnte. Ein Paar, das nur schwer mit - aber auch nicht ohne einander leben konnte und es dennoch oder deswegen ein Leben lang tat. "Verliebte Feinde", das waren Peter von Roten, ein katholischer Aristokrat aus konservativster Oberwalliser Familie, dem alle Wege an die Spitze der Gesellschaft offenstanden und Iris Meyer, 1917 als Rapperswiler Unternehmertochter in einem liberal-protestantischem Hause geboren, die das anstrebte, was er durch seine Herkunft hatte.
Während die Geschichte seiner Familie bis in die letzten Verästelungen nachgezeichnet wird, bis hin zu dem Verdacht, der Dichter Rainer Maria Rilke könnte der illegitime Sohn eines von Roten gewesen sein, bleibt ihr Umfeld sehr im Vagen. Dadurch erfährt man über die Ursachen für ihren geradezu selbstzerstörerischen Perfektionsdrang und ihren radikalen Feminismus zu wenig. Das ist aber das einzige Manko des Buches, das ansonsten eine Faszination ausstrahlt, der sich die Leserin nur schwer entziehen konnte.
Angefangen hatte die Geschichte des Paares an der Universität, mit einem zuerst hoffnungsvollen, dann unglücklich verlaufenden Flirt, der nach gegenseitigem Rückzug und langem Schweigen zu einem immer intensiveren Briefwechsel führt. "Wenn ich mir eine Frau wünschen könnte", schreibt er, "wünsche ich sie so wie Sie, nur Frühaufsteherin und katholisch."
Es ist eine Liebesbeziehung auf Distanz, rein platonisch – und lange per Sie. "Der Gedanke an Sie ist mir eine Art Trost, etwas in der Richtung: Wenn diese Beziehung besteht, so kann überhaupt nichts passieren", schreibt die 26-Jährige an ihn, den ein Jahr Älteren. In ihren Briefen verhandeln die beiden alles, Leben, Literatur, Liebe, Politik, Religion, Bildung, Frauenrechte. Manchmal klingen die gegenseitigen Forderungen darin ziemlich grotesk: Wenn sie ihn für die Frauenbefreiung agitiert und er versucht, sie für den Katholizismus zu gewinnen, weil er "in der Sache des Katholizismus ganz fanatisch" sei. Ihr jedenfalls gelingt es, ihn, den konservativen Redaktor des "Walliser Boten" und späteren jüngsten Nationalrat der Schweiz für ihre Ziele zu begeistern. Während ihr Übertritt zum Katholizismus, die er zur Bedingung für eine Ehe machte, letztlich scheitert, obwohl Iris Meyer tatsächlich aus Liebe zum Konversionsunterricht geht. "Ich kann zwar leben ohne dich, aber grässlich schlecht."
Die geistlichen Unterrichter jedoch lehnen Iris´ Übertritt ab. Und Peter von Roten streckt die Waffen, nach einem ganzen Jahr mit zermürbenden brieflichen Kämpfen. Obwohl sein Seelsorger ihn vor dieser Frau warnt: "Kehren Sie um! Handeln Sie katholisch und männlich!", heiratet er Iris Meyer - gegen den Willen seiner Familie.
Zuvor hatte sie, Juristin wie er, also in Kenntnis des hinterwäldlerischen Schweizer Zivilgesetzbuches, ihm eine Art privatrechtlichen Vertrag für die Ehe diktiert, in der sich beide Partner völlige Unabhängigkeit in beruflichen, politischen, wirtschaftlichen und sexuellen Fragen garantieren. Sie ließ sich darin zudem explizit von jeder Art Hausarbeit freistellen, die ihr Verschwendung von Lebenszeit war.
Bis zur Hochzeit lebt das Paar keusch-platonisch, er seit seiner Jugend in dem Glauben, dass alles Erotische sündhaft sei, das nicht unmittelbar zur Zeugung führt, sie eher aus Neugier auf ihn und in dem sicheren Gefühl, dass eheliche Erotik eine neue Welt eröffnen würde. Und so ist es dann auch, für beide. Aus dem eher schüchternen Peter wird ein überschwänglicher Kosenamenerfinder und wunderbarer Liebhaber. "Ich bin dein Liebhaber", schreibt er ihr. "das ist mein bester und genauester Titel. Ich könnte damit Visitenkarten drucken lassen, denn es ist meine Hauptbeschäftigung: Dich gern zu haben." Iris hingegen will wie in ihrer geistigen, auch in ihrer emotionalen Welt ein freies Leben führen. "Sie suchte Liebe und Leidenschaft, wollte dabei aber so unabhängig wie möglich bleiben. Als ob das möglich wäre!" Als Sie beschließt ein Buch zu schreiben, das zu ihrem feministischen Manifest werden soll, und dafür zu seinem Studienaufenthalt in die USA reist, entdeckt er in ihrer Abwesenheit den Sex - mit anderen Frauen. In seinen Briefen schildert er, ganz wie vereinbart, all seine Abenteuer detailliert und ausführlich. "Keine alltägliche Konstellation: Ein Mann erklärt seine sexuellen Seitensprünge vor seiner Frau als Feldarbeit für ihr feministisches Buch!"
Bis Iris von Rotens` "Frauen im Laufgitter" 1958 erscheint, kennt die Welt schon die Bücher einer Simone de Beauvoir, die disziplinierter geschrieben hatte als die Schweizer Feministin. Dennoch wird deren Buch ein Skandal und macht Iris von Roten zur bestgehassten Frau der Schweiz. Auch vielen Frauen ist es zu radikal. Von Rotens Buch ist dennoch viel unbekannter geblieben als das Werk ihrer französischen Kollegin und erscheint erst in den neunziger Jahren wieder.
Aus den 1500 überhaus intimen Briefen, die sich die "Verliebten Feinde" bei ihren häufigen und länger andauernden Trennungen geschrieben haben, wird die Geschichte eines Paares erzählt, das nach einem von der Frau diktierten Lebensentwurf miteinander gelebt hat. Glücklich, wenn auch nicht auf konventionelle Weise.
Der Briefwechsel erzeugt einen solchen Sog, dass man fast vergisst, dass all das, was da in der tiefsten Schweiz höchst emotional und schriftlich verhandelt wird, mitten im Zweiten Weltkrieg verfasst wurde. In den Briefen zwischen 1943 und 1945 gibt es nur eine einzige Stelle, die sich mit der Realität des Krieges befasst. "Deine Existenz ist mir die Gewähr, dass der Krieg uns nicht zerstört", schreibt er an sie. Man könnte das auch als Beweis für die große Liebe eines ungleichen Paares lesen.
Rezensiert von Liane von Billerbeck
Wilfried Meichtry: Verliebte Feinde. Iris und Peter von Roten
Amman Verlag Zürich
655 Seiten, 34,90 Euro
Ganz anders ihr Mann. "Warum sich umbringen? Tot ist man dann noch lange genug", lautete die lakonische Ansicht Peter von Rotens.
Nicht nur am Ende waren die beiden das, was man ein gegensätzliches Paar nennen könnte. Ein Paar, das nur schwer mit - aber auch nicht ohne einander leben konnte und es dennoch oder deswegen ein Leben lang tat. "Verliebte Feinde", das waren Peter von Roten, ein katholischer Aristokrat aus konservativster Oberwalliser Familie, dem alle Wege an die Spitze der Gesellschaft offenstanden und Iris Meyer, 1917 als Rapperswiler Unternehmertochter in einem liberal-protestantischem Hause geboren, die das anstrebte, was er durch seine Herkunft hatte.
Während die Geschichte seiner Familie bis in die letzten Verästelungen nachgezeichnet wird, bis hin zu dem Verdacht, der Dichter Rainer Maria Rilke könnte der illegitime Sohn eines von Roten gewesen sein, bleibt ihr Umfeld sehr im Vagen. Dadurch erfährt man über die Ursachen für ihren geradezu selbstzerstörerischen Perfektionsdrang und ihren radikalen Feminismus zu wenig. Das ist aber das einzige Manko des Buches, das ansonsten eine Faszination ausstrahlt, der sich die Leserin nur schwer entziehen konnte.
Angefangen hatte die Geschichte des Paares an der Universität, mit einem zuerst hoffnungsvollen, dann unglücklich verlaufenden Flirt, der nach gegenseitigem Rückzug und langem Schweigen zu einem immer intensiveren Briefwechsel führt. "Wenn ich mir eine Frau wünschen könnte", schreibt er, "wünsche ich sie so wie Sie, nur Frühaufsteherin und katholisch."
Es ist eine Liebesbeziehung auf Distanz, rein platonisch – und lange per Sie. "Der Gedanke an Sie ist mir eine Art Trost, etwas in der Richtung: Wenn diese Beziehung besteht, so kann überhaupt nichts passieren", schreibt die 26-Jährige an ihn, den ein Jahr Älteren. In ihren Briefen verhandeln die beiden alles, Leben, Literatur, Liebe, Politik, Religion, Bildung, Frauenrechte. Manchmal klingen die gegenseitigen Forderungen darin ziemlich grotesk: Wenn sie ihn für die Frauenbefreiung agitiert und er versucht, sie für den Katholizismus zu gewinnen, weil er "in der Sache des Katholizismus ganz fanatisch" sei. Ihr jedenfalls gelingt es, ihn, den konservativen Redaktor des "Walliser Boten" und späteren jüngsten Nationalrat der Schweiz für ihre Ziele zu begeistern. Während ihr Übertritt zum Katholizismus, die er zur Bedingung für eine Ehe machte, letztlich scheitert, obwohl Iris Meyer tatsächlich aus Liebe zum Konversionsunterricht geht. "Ich kann zwar leben ohne dich, aber grässlich schlecht."
Die geistlichen Unterrichter jedoch lehnen Iris´ Übertritt ab. Und Peter von Roten streckt die Waffen, nach einem ganzen Jahr mit zermürbenden brieflichen Kämpfen. Obwohl sein Seelsorger ihn vor dieser Frau warnt: "Kehren Sie um! Handeln Sie katholisch und männlich!", heiratet er Iris Meyer - gegen den Willen seiner Familie.
Zuvor hatte sie, Juristin wie er, also in Kenntnis des hinterwäldlerischen Schweizer Zivilgesetzbuches, ihm eine Art privatrechtlichen Vertrag für die Ehe diktiert, in der sich beide Partner völlige Unabhängigkeit in beruflichen, politischen, wirtschaftlichen und sexuellen Fragen garantieren. Sie ließ sich darin zudem explizit von jeder Art Hausarbeit freistellen, die ihr Verschwendung von Lebenszeit war.
Bis zur Hochzeit lebt das Paar keusch-platonisch, er seit seiner Jugend in dem Glauben, dass alles Erotische sündhaft sei, das nicht unmittelbar zur Zeugung führt, sie eher aus Neugier auf ihn und in dem sicheren Gefühl, dass eheliche Erotik eine neue Welt eröffnen würde. Und so ist es dann auch, für beide. Aus dem eher schüchternen Peter wird ein überschwänglicher Kosenamenerfinder und wunderbarer Liebhaber. "Ich bin dein Liebhaber", schreibt er ihr. "das ist mein bester und genauester Titel. Ich könnte damit Visitenkarten drucken lassen, denn es ist meine Hauptbeschäftigung: Dich gern zu haben." Iris hingegen will wie in ihrer geistigen, auch in ihrer emotionalen Welt ein freies Leben führen. "Sie suchte Liebe und Leidenschaft, wollte dabei aber so unabhängig wie möglich bleiben. Als ob das möglich wäre!" Als Sie beschließt ein Buch zu schreiben, das zu ihrem feministischen Manifest werden soll, und dafür zu seinem Studienaufenthalt in die USA reist, entdeckt er in ihrer Abwesenheit den Sex - mit anderen Frauen. In seinen Briefen schildert er, ganz wie vereinbart, all seine Abenteuer detailliert und ausführlich. "Keine alltägliche Konstellation: Ein Mann erklärt seine sexuellen Seitensprünge vor seiner Frau als Feldarbeit für ihr feministisches Buch!"
Bis Iris von Rotens` "Frauen im Laufgitter" 1958 erscheint, kennt die Welt schon die Bücher einer Simone de Beauvoir, die disziplinierter geschrieben hatte als die Schweizer Feministin. Dennoch wird deren Buch ein Skandal und macht Iris von Roten zur bestgehassten Frau der Schweiz. Auch vielen Frauen ist es zu radikal. Von Rotens Buch ist dennoch viel unbekannter geblieben als das Werk ihrer französischen Kollegin und erscheint erst in den neunziger Jahren wieder.
Aus den 1500 überhaus intimen Briefen, die sich die "Verliebten Feinde" bei ihren häufigen und länger andauernden Trennungen geschrieben haben, wird die Geschichte eines Paares erzählt, das nach einem von der Frau diktierten Lebensentwurf miteinander gelebt hat. Glücklich, wenn auch nicht auf konventionelle Weise.
Der Briefwechsel erzeugt einen solchen Sog, dass man fast vergisst, dass all das, was da in der tiefsten Schweiz höchst emotional und schriftlich verhandelt wird, mitten im Zweiten Weltkrieg verfasst wurde. In den Briefen zwischen 1943 und 1945 gibt es nur eine einzige Stelle, die sich mit der Realität des Krieges befasst. "Deine Existenz ist mir die Gewähr, dass der Krieg uns nicht zerstört", schreibt er an sie. Man könnte das auch als Beweis für die große Liebe eines ungleichen Paares lesen.
Rezensiert von Liane von Billerbeck
Wilfried Meichtry: Verliebte Feinde. Iris und Peter von Roten
Amman Verlag Zürich
655 Seiten, 34,90 Euro