Ein "ganz klarer Mehrwertsteuer-Schock"

Moderation: Birgit Kolkmann |
Nach Ansicht des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger hat sich die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu Jahresbeginn negativ aus den privaten Konsum in Deutschland ausgewirkt. So sei der Einzelhandelsumsatz im ersten Halbjahr 2007 im Vergleich zu 2006 um drei Prozent gesunken, sagte Bofinger.
Birgit Kolkmann: Schätzungsweise 450 Milliarden Dollar kostet die derzeitige Finanzkrise Banken, Versicherer, Fonds-Gesellschaften und Anleger - und das ist eine gewaltige Summe. Allein die Europäische Zentralbank hat seit der letzten Woche mit Finanzspritzen von mehr als 200 Milliarden Euro für Liquidität im Markt gesorgt, und die Öffentlichkeit wird beschwichtigt: seitens der Banken, seitens der Industrieverbände, auch seitens der Bundesregierung.

Die befürchtet nämlich keine Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Konjunktur, aber das könnte Wunschdenken sein. Der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds zum Beispiel glaubt, dass die Krise noch längst nicht ausgestanden ist und diese ein größerer Stresstest für das Weltfinanzsystem ist als etwa die Asien-Krise '98 oder die Technologie-Krise 2001. - Wir sind jetzt mit dem Wirtschaftsweisen Peter Bofinger verbunden. Einen schönen Guten Morgen, Herr Bofinger!

Peter Bofinger: Guten Morgen, Frau Kolkmann!

Kolkmann: Wie dramatisch ist denn die Situation aus Ihrer Sicht?

Bofinger: Wichtig ist zunächst mal, dass die Notenbanken in der letzten Woche in der Lage waren, die Situation zu stabilisieren. Das System hatte so was wie einen kleineren Kreislaufzusammenbruch, aber die Notenbanken haben sehr, sehr gut eingegriffen, sehr, sehr gut stabilisiert.

Ich glaube das ist zunächst mal ein beruhigendes Zeichen, dass hier diejenigen, die die Verantwortung tragen, in der Lage sind, direkt einzugreifen, massiv einzugreifen und damit auch wieder die Lage in den Griff zu bekommen.

Kolkmann: Auch das Bundeskabinett hatte ja gestern das Thema auf der Tagesordnung. Bislang gebe es keine Auswirkungen auf die Wirtschaft, auf die Konjunktur. Kann das aber noch kommen? Glauben Sie, dass es vielleicht ein bisschen zu früh ist, sich da schon festzulegen?

Bofinger: Es ist sicher so, dass wir ja schon jetzt sehen, dass die Konjunktur in den USA ziemlich schwach läuft, dass auch unsere Ausfuhren in die USA nicht so gut laufen. Man muss ja auch im Blick haben, dass dieses Kreditproblem nicht nur ein Problem der Vereinigten Staaten ist, sondern auch ein Problem vieler europäischer Länder. In Spanien, in Griechenland, in Großbritannien, in Irland haben wir ja ähnliche Entwicklungen, auch sehr starke Kreditnachfrage, sehr viel Immobilien-Boom.

Wenn jetzt insgesamt auf den Finanzmärkten die Risiken anders beurteilt werden, wenn man sich mehr der Tatsache bewusst wird, dass Kredite auch wieder ausfallen können, dann wird man auch in diesen Ländern eine Verlangsamung bekommen, und das wird sicher auch negative Effekte auf die Situation in Deutschland haben.

Kolkmann: Was glauben Sie, wie sich das auswirken könnte auf die Kreditvergabe vor allen Dingen für den Mittelstand? Könnte es da bald enger werden, wenn die Banken immer mehr auf dem Geld sitzen?

Bofinger: Ich glaube man muss da unterscheiden zwischen der Situation in Deutschland und der Situation in anderen Ländern. In Deutschland haben wir eigentlich kein richtiges Kreditproblem. Wir werden auch keines bekommen - einfach deswegen, weil bei uns in Deutschland die Kreditentwicklung extrem schwach ist.

Wir haben also keine privaten Haushalte, die in großem Umfang Immobilienkredite nachfragen. Unsere Unternehmen stehen von ihrer Ertragslage so gut da, dass sie als Sektor insgesamt sogar Überschüsse haben. Das heißt also, das Problem, dass eine Kreditdynamik, die die Wirtschaft sozusagen getrieben hat, abbrechen kann, das Problem haben wir nicht, weil wir wirklich in Deutschland mehr oder weniger seit Jahren konstante Kreditbestände haben.

Kolkmann: Nun stellt sich ja die Frage vor dem Hintergrund der Finanzkrise, ob die sogenannten Hedgefonds besser überwacht werden müssen. Die Bundesregierung hat dort ja einen Vorstoß beim G8-Gipfel gemacht, ist aber damit gescheitert. Was kann sie eigentlich tun auf nationaler Ebene? Nichts?

Bofinger: Da haben Sie einen ganz wichtigen Punkt angesprochen. Wir haben das Problem, dass wir globale Finanzmärkte haben, und das ist etwas, was jetzt auch deutlich geworden ist. Die Immobilienkrise in den USA taucht plötzlich in den Bankbilanzen in Deutschland auf. Das heißt, hier ist eine sehr weit gehende Globalisierung. Auf der anderen Seite werden die Finanzmärkte nach wie vor national reguliert.

Ich glaube, was man lernen kann aus der Situation ist, dass man versuchen muss, möglichst diese Regulierung auf eine europäische, teilweise vielleicht sogar auf eine internationale Basis zu heben. Aus meiner Sicht wäre ein erster Schritt, dass man zumindest mal in Europa ein Kreditregister etabliert, in dem alle Banken ihre Großkredite melden, dass man dann auch insgesamt mal sehen kann, wer hat eigentlich wem was gegeben, wo sind die Schwachpunkte, dass man also Transparenz erreicht, und daran fehlt es im Augenblick ja.

Kolkmann: Sind denn zu viele Banken und auch Lebensversicherer in riskanten Anlageformen engagiert?

Bofinger: Es ist sicher so, dass die schlechten amerikanischen Kredite nicht in den Vereinigten Staaten sitzen, sondern sie sitzen in den Ländern, die Überschüsse haben, wo viel gespart wird. Das heißt also dieses ganze schlechte Kredit-Portfolio ist weltweit gestreut und sitzt überall. Es ist zu vermuten, dass es wahrscheinlich sehr gestreut sich verteilt hat.

Aber ich glaube auch da wäre es sicher sinnvoll, wenn man versucht, Transparenz herzustellen, zu sehen was steckt wo, denn das ist ja eines der Probleme in der aktuellen Situation, dass man weiß, dass Risiken da sind, dass man aber nicht so genau weiß, wo sie stecken.

Kolkmann: Zur wirtschaftlichen Situation hierzulande. Wie wirkt sich denn nun zum Beispiel die Mehrwertsteuererhöhung aus? Sie sprachen davon, dass die Konjunktur ja etwas lahmt. Sind diese Auswirkungen, die das mit sich gebracht hat, doch negativer als bislang zugestanden?

Bofinger: Es ist ganz klar, dass wir große Probleme beim privaten Verbrauch haben. Wenn Sie den Einzelhandelsumsatz einschließlich der Kraftfahrzeuge nehmen, dann haben wir im ersten halben Jahr 2007 drei Prozent preisbereinigt weniger als in der ersten Jahreshälfte 2006. Das heißt, da ist ein ganz klarer Mehrwertsteuer-Schock.

Wir haben bisher Glück gehabt. Unsere Industrie ist sehr gut aufgestellt. Die Exporte laufen sehr gut. Die Investitionsneigung ist sehr gut. Aber es hat sich durch diese Mehrwertsteuererhöhung ein Phänomen verstärkt, das wir in Deutschland schon seit längerer Zeit haben. Wir haben eine gespaltene Konjunktur. Wir haben eine sehr starke, sehr dynamische Industriekonjunktur und eine sehr schwache, sehr lahmende Binnenkonjunktur.

Kolkmann: Und was würden Sie daraus ableiten?

Bofinger: Wir können hoffen, dass sich das etwas auflöst. Wir bekommen ja jetzt auch höhere Lohnsteigerungen. Die Beschäftigungslage verbessert sich. Das heißt, es ist ein Potenzial da, dass im Laufe des Jahres auch der private Verbrauch wieder anzieht, und dass wir insgesamt eine etwas balanciertere konjunkturelle Entwicklung bekommen werden.

Kolkmann: Das sind ganz optimistische Bemerkungen von Peter Bofinger, dem Wirtschaftsweisen, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur zu den Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise.