Ein Forschungsreisender im Reich der Worte und der Laute

Von Volkhard App |
In der DDR war Carlfriedrich Claus ein argwöhnisch beäugter Nonkonformist. Mit seinen akustischen und visuellen Werken wollte er neue Denk- und Assoziationsräume öffnen. In der Akademie der Künste ist nun eine erneute Annäherung an seinen Kunst-Kosmos möglich.
1995 richtete Carlfriedrich Claus in den Kunstsammlungen Chemnitz einen Raum für das gleichzeitige Abspielen experimenteller Hör-Stücke ein, die sich überlagern sollten. In der Akademie der Künste am Pariser Platz bildet eine Rekonstruktion dieses "Lautprozess-Raums" den Höhepunkt und Abschluss der neuen Werkschau. Die Besucher selber setzen per Bewegungsmelder die Darbietungen aus den umlaufenden Lautsprechern in Gang.

Ein Forschungsreisender im Reich der Worte und der Laute, ein Magier im Umgang mit Bedeutungen, der 1959 seinem Kollegen Franz Mon brieflich etwas Wichtiges mitzuteilen hatte: denn Claus verfügte nun über ein Tonbandgerät. Hatten seine "Sprechexerzitien" bislang flüchtigen Charakter, so konnten sie jetzt festgehalten und reproduziert werden.

Carlfriedrich Claus wollte in seinen akustischen Erkundungen die Rezipienten ebenso wenig vor den Kopf stoßen wie mit seinen Zeichnungen und Fotos. Brigitta Milde leitet das Claus-Archiv in Chemnitz, das medienübergreifend den Nachlass beinhaltet. Sie hat die Berliner Ausstellung mit konzipiert:

"Carlfriedrich Claus war in gewissem Sinne mit seinen Experimenten auf sich selber bezogen, hat aber zugleich immer an den Anderen gedacht und war so idealistisch, dass er meinte, dass all seine Kunstexperimente - sowohl die visuellen wie die akustischen - von einem Rezipienten, der am Prozess teilnimmt, nachvollziehbar sein könnten."

Ein Alchemist der Sprache – auch auf seinen Zeichnungen und druckgrafischen Blätter. Zwar bilden auch übereinandergeschichtete Strichlagen wahre Dickichte, aus denen gelegentlich Figürliches hervorsticht - aber es ist vor allem die Schrift, die hier zur visuellen Dichte beiträgt. So einfach entziffern und deuten lassen sich die Sätze und Worte auf den "Sprachblättern" allerdings nicht. Co-Kurator Matthias Flügge:

"Die Schrift ist der Ausgangspunkt, und dann verliert sie sich im Fortgang der Arbeit in dieser gestrüpphaften Gewirrform, in der am Ende des Zeichnungsprozesses bestimmte assoziative Momente erkennbar sind und inhaltliche Aspekte eine Rolle spielen. Und in diesem Assoziationsraum soll man sich durchaus frei bewegen, das war die Intention des Künstlers."

Gerade das bildnerische Werk veranschaulicht die vielfältigen Einflüsse, die Claus verarbeitet und zu einem eigenwilligen Kosmos verdichtet hat. Zwischen jüdischer Mystik und marxistischer Geschichtsphilosophie im Geiste Ernst Blochs bewegte er sich, zwischen Kybernetik und fernöstlicher Esoterik. Dabei sind seine Bildtitel zuweilen überraschend plakativ – nach einem nicht auf Ausbeutung beruhenden Verhältnis zur Natur fragen sie oder beziehen sich auf Ereignisse wie den Vietnamkrieg und die Diktatur in Chile. Sogar von einer "kommunistischen Kosmologie" wird geraunt, und "Aurora", der Name einer herausragenden druckgrafischen Mappe aus den Siebzigern, bezieht sich auf das Fanal der Oktoberrevolution und artikuliert dabei die Hoffnung auf einen wirklichen geschichtlichen Emanzipationsprozess. Ein utopischer Künstler, der mit seiner Kunst Denk- und Assoziationsräume öffnen wollte.

Ab und zu sind die Blätter von beiden Seiten bearbeitet und lassen bei genügender Transparenz zeichnerische Überlagerungen zu und sorgen dadurch für räumliche Effekte. Wer davor steht, bewegt sich in komplexen Denklandschaften, in die das Politische eingebettet ist - trotz plakativer Titel aber wirkt es chiffriert. Die Wertung des Akademie-Präsidenten Klaus Staeck:

"Carlfriedrich Claus war auch nach eigener Einschätzung ein höchst politischer Künstler. Wobei die Kommunisten selber mit ihm Probleme bekamen, weil das, was er unter Kommunismus verstand, absolut nicht kompatibel war mit der offiziellen Parteilinie. Er war jemand, der die Ästhetik, die zur Veränderung der Gesellschaft dazugehört, ausgereizt und dem Betrachter ganz neue Wege eröffnet hat. Es war mühsam, sich in seine Gedankenwelt hineinzubegeben, wenn man wirklich den Ehrgeiz hatte, das zu tun - aber es war immer lohnend."

Carlfriedrich Claus, ein von den DDR-Offiziellen einst beargwöhnter Nonkonformist. Man bot ihm sogar die Ausreise in den Westen an. Der starke Rückhalt durch befreundete Künstler, Kuratoren und Verleger half bei der Verbesserung seiner Situation.

Er gehört zur Tradition der Moderne, ob er akustisch an dadaistische Lautdichtung erinnerte oder bildnerisch an das "automatische Schreiben" der Surrealisten – denn in den Fünfzigern brachte er mit spontanen abstrakten Linien seine jeweilige Befindlichkeit zu Papier.

In der Akademie der Künste ist nun eine erneute Annäherung an seinen heterogenen Kosmos möglich. Wobei man hier auch das noch nie gezeigte fotografische Oeuvre aus sehr frühen Jahren einbezogen hat – Porträts, Spiegelungen, Licht- und Schattenstudien, die als Annäherung ans Surreale gelten dürfen, und raffinierte Naturausschnitte, die eine eigene grafische Qualität haben. Ein Künstler, der die Entgrenzung liebte, sich in keine ideologische Schublade stecken ließ: einer, der politisch war und doch weitläufig blieb. Matthias Flügge zum Erbe von Carlfriedrich Claus:

"Mich bewegt, dass ein Künstler in einer gesellschaftlich und individuell schweren Zeit die Kraft gefunden hat, so etwas wie eine Hoffnung und Utopie zu konstruieren. Wenn ich den heutigen Kunstbetrieb betrachte, fehlt das manchmal. Das ist ein Werk von großer Gültigkeit im politischen, anthropologischen und im Hoffnungssinne."

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