Ein Fest aus schierer Dankbarkeit

Von Shelly Kupferberg |
Heute Abend feiern Juden auf der ganzen Welt den Sederabend – den Vorabend zum Passahfest – auf Hebräisch: Pessach. Pessach ist einer der wichtigsten Feiertage im Judentum. Die Familie kommt zusammen und feiert bei einem großen Essen und vielen Symbolen den Auszug der Juden aus Ägypten, und gleichzeitig deren Befreiung. Für viele nachfolgende Jahrhunderte wurde der Auszug aus Ägypten als der historische Bezugspunkt zur Berechnung des Kalenders und zur Jahreszählung benutzt.
Ägypten vor rund 3300 Jahren. Ein Mann kam zum mächtigen Pharao und bat um die Befreiung der vielen Sklaven. Sie alle waren Juden, einschließlich des Mannes, der um die Befreiung bat. Er hieß Moses, und wurde im Auftrag Gottes geschickt, um sein Volk aus der Knechtschaft zu befreien.

Pessach ist der Festtag, der speziell den Auszug der Juden aus Ägypten zum Thema hat. Über das Ereignis von Pessach zu berichten bedeutet, fast die gesamte Geschichte der Vorfahren nachzuerzählen. Dies wird auch getan – innerhalb eines Rituals, genannt „Seder“: Am Sederabend wird die Geschichte Pessachs, die sogenannte „Haggadah“ erzählt und nachempfunden. Rabbiner Walter Rothschild:

„Das ist ein fröhliches Freiheitsfest. Wir feiern in verschiedenen Manieren, eine Manier ist ein „Seder“, den sogenannten „Seder-Abend“, das ist eine Mahlzeit mit einer ganz bestimmten Reihenfolge. „Seder“ bedeutet einfach: „Ordnung“. Wir lesen aus einem besonderen Buch, der „Hagaddah“, das ist eine narrative Erzählung, und wir lesen diese Geschichte nicht direkt aus der Bibel – das ist etwas Außergewöhnliches, man würde so etwas nicht erwarten – aber eine andere Version von der Geschichte mit Anekdoten und Geschichten von Erzählungen verschiedener Rabbiner, aus verschiedenen Jahrhunderten, mit Liedern, Psalmen, mit Liedern für die Kinder und ähnlichen Sachen.“

Die Haggadah, also die Erzählung der Pessachgeschichte, beginnt zur Zeit Jakobs und seiner zwölf Söhne – vor etwa 3700 Jahren.

„Sie wohnten im Lande Kanaan, dem späteren Israel. Während einer Hungersnot wanderte Jakob mit seiner Familie nach Ägypten aus, denn dort gab es Nahrung in Hülle und Fülle. In Ägypten lebte bereits Josef, einer der Söhne Jakobs, der einen hohen Posten beim Pharao inne hatte. Dies war der Anfang einer 400-jährigen gemeinsamen Geschichte zwischen Juden und Ägyptern.“

Anfangs erfreuten sich die Juden vieler Privilegien und lebten im Wohlstand. Doch nach einiger Zeit herrschten andere Pharaonen, die die wachsende Zahl der Kinder Israels in ihrer Mitte fürchteten. Gesetze wurden nach und nach erlassen, um deren weitere Ausbreitung einzudämmen und sie zu tyrannisieren. So wurden die Juden allmählich in die totale Sklaverei geführt. Die Knechtschaft sollte insgesamt 200 Jahre andauern – unter ihr entstanden prächtige Bauwerke in Ägypten, die Pyramiden.

An diese Knechtschaft und die bittere Zeit für die Juden in Ägypten erinnert am Sederabend viel: In einer ganz bestimmten Reihenfolge werden bestimmte Speisen eingenommen, die von symbolischer Bedeutung sind:

„Die Mazzah“

Das ungesäuerte Brot. Es erinnert an die Hast, mit der die Vorfahren Ägypten verlassen mussten, sodass keine Zeit blieb, gesäuertes Brot zu backen. Außerdem stellt die Mazzah das ‚Armenbrot‘ dar, dass die Juden in Ägypten aßen.

„Charosset“

Ein Fruchtmus, eine Mischung aus Datteln, Äpfeln, Honig, Feigen, Nüssen und Gewürzen. Es versinnbildlicht den Mörtel, den die Juden zum Bau der ägyptischen Städte verwendeten.

„Karpas“

Gemüse, das den Frühling und den Geist der Hoffnung symbolisiert. Frischer Sellerie, Petersilie oder gekochte Kartoffeln werden hierzu benutzt.

„Ein hartgekochtes Ei“

Es erinnert an die Zerstörung des Tempels in Jerusalem. Das Ei ist das traditionelle jüdische Symbol der Trauer.

„Ein angebratener Knochen“

Er symbolisiert die Pessachopfergabe, die zur Zeit des Tempels zum Heiligtum heraufgebracht wurde.

„Salzwasser“

Dies sind die Tränen, welche die Kinder Israels zur Zeit der Sklaverei vergossen.

„Wir sehen, dass es an diesem Abend viel zu Essen gibt, etwas zu Trinken – man soll mindestens vier Gläser Wein trinken in einer bestimmten Reihenfolge, und mit einem besonderen Segensspruch für Jedes – und viele Lieder, und die Kinder sollen wach bis zum Ende bleiben, und sie haben ein paar Spiele, sie müssen ein verstecktes Stück Mazze suchen, und sie bekommen einen Preis dafür, eine Belohnung: Es ist Spaß!“

Nach dem spektakulären Auszug aus Ägypten, es waren, so schätzt man, um die zwei Millionen Männer, Frauen und Kinder, die flüchteten, wurden die Unterdrücker bestraft:
„Und dann kam Moses mit den zehn Plagen von Gott und hat die ägyptische Armee und den ägyptischen Pharao, der Gesellschaft, der Wirtschaft geschadet und gestört – und wir wurden ‚rausgelassen. Dann kam noch ein Wunder, das ‚durch-das-Schlifmeer-laufen‘, auf trockenem Fuß. Man kann die ganze Geschichte lesen im Exodus, im 2. Buch Mose, Kapitel 1-16.“

Auch der Tanz um das goldenen Kalb fand in den 40 Jahren statt, in denen das Volk Israel durch die Wüste wanderte – und der Erhalt der zehn Gebote am Berg Sinai. Dieses Ereignis wird sieben Wochen nach dem Beginn von Pessach nochmals extra gefeiert, an Shawuot.
Doch Pessach ist mehr, als der Sederabend, an dem symbolische Speisen und anschließend ein festliches Mahl mit der ganzen Familie eingenommen wird. Es ist auch das Fest des ungesäuerten Brotes.

„Sieben Tage lang sollst Du ungesäuertes Brot essen.“

Das steht im zweiten Buch Mose geschrieben. Außerhalb Israels gilt dieser Vorsatz acht Tage lang. Er ist einer der vielen Vorschriften, die Moses den Kindern Israels im Verlauf ihrer Vorbereitungen für den Auszug aus Ägypten anordnete. So darf während der Pessachzeit keinerlei gesäuertes Brot, auf hebräisch: ‚Chamez‘ zu sich genommen werden, und auch nicht Lebensmittel, in denen Stärke vorhanden ist. Vor Pessach wird die Wohnung komplett gereinigt, damit kein Körnchen Mehl das Fest unkosher macht. In Israel wird man während dieser Feiertage weder Brot noch andere Chamezprodukte in den Schaufenstern und Läden finden, außer in der moslemischen oder christlichen Nachbarschaft.

Während des Sederabends und der ganzen Erzählung des Auszugs aus Ägypten fragt das jüngste Kind an der Tafel, was diese Nacht von anderen Nächten unterscheidet .Vier Antworten kommen von den Erwachsenen. Auch dieses Frage-Antwort-Spiel ist fester Bestandteil der Zeremonie.

Am Pessachfest wird der ‚neuerworbenen‘ Freiheit der Juden gedacht – jeder Jude soll sich an diesem Abend so fühlen, als wäre er aus Ägypten gezogen und als wäre er selbst erlöst worden.

„Jede Familie, jeder Jude hat andere Erinnerungen. Es hängt davon ab, was man gelernt hat, auch aus der eigenen Familiengeschichte. Ich denke zurück an einige Gemeindemitglieder, die mir erzählt haben über ihre Befreiung aus den Konzentrationslagern. Für diese Leute hat Pessach eine ganz besondere Bedeutung. Ich bin selber nach dieser Zeit geboren, also – ich habe keine persönliche Erfahrung, aber trotzdem: wenn man wirklich die Abwesenheit von Freiheit erlebt hat, dann genießt man Freiheit viel mehr. Und natürlich in unserer jüdischen Gemeinde heutzutage gibt es viele, die aus den GUS-Staaten gekommen sind, die Verhältnisse dort waren nicht ganz ähnlich, aber trotzdem haben mir Viele erzählt, wie schwierig es war: Es gab Berufsverbot, es gab Reiseverbot, es gab dieses und jenes Verbot, und für diese Leute bedeutet die Freiheit auch, einfach jüdisch zu sein, sehr Vieles. Also: Jeder hat seine eigene Antwort auf diese Frage!“