Ein exzentrischer Text
Anlässlich des 250. Geburtstags des englischen Dichters William Blake erscheint sein Textfragment "Eine Insel im Mond" auf Deutsch und Englisch. Es reizt zu herzhaftem Lachen, denn es bietet ein Feuerwerk aus absurder Komik, irrwitzigen Dialogen, Szenen und Gedichten. Seine Figuren tragen Namen wie "Etruskische Säule".
Wo die handelnden Personen Namen tragen wie "Leicht entzündliches Gas", "Stumpfer Winkel" oder "Etruskische Säule", "Miss Gittipin" oder "Mrs. Nannicantipot", da darf man einen überaus exzentrischen Text vermuten. William Blakes frühes und nur als Fragment erhaltenes Werk "Eine Insel im Mond" (entstanden vermutlich um 1784/85) ist nichts anderes, und wenn man sich dem Feuerwerk aus absurder Komik, dieser wüsten Ansammlung von irrwitzigen Dialogen, Szenen und Gedichten (oder Liedern) überlässt, wird man kaum umhin können, in ein herzhaftes Lachen auszubrechen, das zunächst nur für sich steht. Denn wie auf einer proto-dadaistischen Bühne entsteht keinerlei Handlung, auch ergeben die überdrehten Dialoge keinen Sinn, jede Figur taucht scheinbar nach Gutdünken auf und plärrt ihre höchst seltsamen Sentenzen in die Welt, die vorgibt, der Mond zu sein.
Und doch ist die Szenerie nicht nur ein Nonsens-Theater, einem eigenwilligen und geradezu entrückten Geist entsprungen: Blakes "Insel" folgt einer antiken satirischen Strömung, die auf den griechischen Philosophen Menippos von Gadara (um 300 v. Chr.) zurückgeht – erfahren wir aus dem Nachwort von Gernot Krämer. "Bevorzugter Gegenstand der Menippeischen Satire ist die Verspottung jenes Dünkels, den die Kyniker den Akademie-Philosophen und ihren diversen Schulen unterstellten, bzw. die Parodie des philosophischen Diskurses überhaupt." Für Blake, einen sozusagen frühreifen Kritiker eines jeweils spezialisierten Jargons (der Philosophie, der Naturwissenschaften, z. B.), war dieser Traditionsbezug ein geeignetes Vehikel, den aufklärerischen Diskurs seiner Zeit zu verspotten. René Descartes, Isaac Newton, John Locke oder David Hume bilden Bezugspunkte dieses Spotts – neben vielen weniger bekannten Zeitgenossen und Freunden Blakes. Das ist nie wirklich zielgerichtet. Blakes Rundumschlag richtet sich weniger gegen die konkreten Inhalte der geistigen Avantgarde seiner Zeit, als vielmehr gegen den Verlust jener Ursprünglichkeit, die er selbst als das Ideal des Künstlers empfand: ein mit Gott (oder dem Göttlichen) kommunizierendes Wesen, das aus dieser Kommunikation (irrationale) Impulse für seine Arbeit bezieht.
Blakes Textfragment bricht am Ende einfach ab. Ob es zur Veröffentlichung vorgesehen war, ist nicht bekannt. Ohnehin war die Veröffentlichungspraxis dieses Mannes eine höchst individuelle Angelegenheit. Zum einen, weil er seine Arbeiten nach einem im 20. Jahrhundert wiederentdeckten Verfahren druckte – print on demand –, also nur, wenn es eine Bestellung für das entsprechende Werk gab. Zum anderen, weil Blake nicht nur Schriftsteller, sondern auch Grafiker war, der seine eigenen Werke selbst illustrierte. Er erfand dazu ein Verfahren, das er "illuminiertes Drucken" nannte und bei dem Text und Illustration auf eine Kupferplatte graviert, dann gedruckt und später per Hand koloriert wurden. Das Verfahren blieb sein Geheimnis, es konnte erst 1947 experimentell nachvollzogen werden. Eine Stelle im Text der "Insel im Mond" gibt einen Hinweis darauf, Blake habe hier vielleicht das Geheimnis dieses Druckverfahrens preisgeben wollen. Aber sicher ist das nicht: die entscheidenden Blätter fehlen.
Zum 250. Geburtstag von William Blake (am 28. November) publiziert, ist "Eine Insel im Mond" gewiss nicht als Hauptwerk zu verstehen. Aber auch dieser kleine Text ist ein Beleg für sein visionäres Talent, das später zahlreiche Autoren und Künstler inspirieren sollte.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
William Blake
Eine Insel im Mond.
Englisch und Deutsch.
Aus dem Englischen von Gernot Krämer und Jan Weinert.
Mit einem Nachwort von Gernot Krämer.
Mit Illustrationen von Horst Hussel. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2007.
130 Seiten, 16,80 Euro
Und doch ist die Szenerie nicht nur ein Nonsens-Theater, einem eigenwilligen und geradezu entrückten Geist entsprungen: Blakes "Insel" folgt einer antiken satirischen Strömung, die auf den griechischen Philosophen Menippos von Gadara (um 300 v. Chr.) zurückgeht – erfahren wir aus dem Nachwort von Gernot Krämer. "Bevorzugter Gegenstand der Menippeischen Satire ist die Verspottung jenes Dünkels, den die Kyniker den Akademie-Philosophen und ihren diversen Schulen unterstellten, bzw. die Parodie des philosophischen Diskurses überhaupt." Für Blake, einen sozusagen frühreifen Kritiker eines jeweils spezialisierten Jargons (der Philosophie, der Naturwissenschaften, z. B.), war dieser Traditionsbezug ein geeignetes Vehikel, den aufklärerischen Diskurs seiner Zeit zu verspotten. René Descartes, Isaac Newton, John Locke oder David Hume bilden Bezugspunkte dieses Spotts – neben vielen weniger bekannten Zeitgenossen und Freunden Blakes. Das ist nie wirklich zielgerichtet. Blakes Rundumschlag richtet sich weniger gegen die konkreten Inhalte der geistigen Avantgarde seiner Zeit, als vielmehr gegen den Verlust jener Ursprünglichkeit, die er selbst als das Ideal des Künstlers empfand: ein mit Gott (oder dem Göttlichen) kommunizierendes Wesen, das aus dieser Kommunikation (irrationale) Impulse für seine Arbeit bezieht.
Blakes Textfragment bricht am Ende einfach ab. Ob es zur Veröffentlichung vorgesehen war, ist nicht bekannt. Ohnehin war die Veröffentlichungspraxis dieses Mannes eine höchst individuelle Angelegenheit. Zum einen, weil er seine Arbeiten nach einem im 20. Jahrhundert wiederentdeckten Verfahren druckte – print on demand –, also nur, wenn es eine Bestellung für das entsprechende Werk gab. Zum anderen, weil Blake nicht nur Schriftsteller, sondern auch Grafiker war, der seine eigenen Werke selbst illustrierte. Er erfand dazu ein Verfahren, das er "illuminiertes Drucken" nannte und bei dem Text und Illustration auf eine Kupferplatte graviert, dann gedruckt und später per Hand koloriert wurden. Das Verfahren blieb sein Geheimnis, es konnte erst 1947 experimentell nachvollzogen werden. Eine Stelle im Text der "Insel im Mond" gibt einen Hinweis darauf, Blake habe hier vielleicht das Geheimnis dieses Druckverfahrens preisgeben wollen. Aber sicher ist das nicht: die entscheidenden Blätter fehlen.
Zum 250. Geburtstag von William Blake (am 28. November) publiziert, ist "Eine Insel im Mond" gewiss nicht als Hauptwerk zu verstehen. Aber auch dieser kleine Text ist ein Beleg für sein visionäres Talent, das später zahlreiche Autoren und Künstler inspirieren sollte.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
William Blake
Eine Insel im Mond.
Englisch und Deutsch.
Aus dem Englischen von Gernot Krämer und Jan Weinert.
Mit einem Nachwort von Gernot Krämer.
Mit Illustrationen von Horst Hussel. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2007.
130 Seiten, 16,80 Euro