Ein Erbe, das man gerne ausschlagen möchte
Firmen wie Topf & Söhne oder die Junkers Werke waren ganz normale deutsche Industrieunternehmen - bis sie sich als Geschäftspartner der SS etablierten. Topf & Söhne entwickelte seit 1939 spezielle Verbrennungsöfen, die auf die Wünsche der SS zugeschnitten waren.
Für die Krematorien in Auschwitz entwarfen die Ingenieure das Lüftungssystem der Gaskammern und standen auch ansonsten der SS bei der Konstruktion der Todesfabriken mit Rat und Tat zur Seite. Zum ersten Mal wollen Wissenschaftler in zwei Ausstellungen deutlich machen, wie sich deutsche Zivilisten wissentlich der Beihilfe zum Massenmord schuldig gemacht haben.
Der Schacht führt 100 Meter tief in den Berg hinein. An seinem Ende öffnet sich wie ein riesiger Schlund eine 20 Meter hohe Steinhalle. Rechts und links davon laufen in gleichmäßigen Abständen halb so große Stollen ins Leere. Kilometerlang - ein schwarzes Labyrinth. Rostige Raketenteile liegen auf dem Boden, erinnern an das, was vor über 60 Jahren hier geschah. In den 30er Jahren baute man im Kohnstein Anhydritgestein für die Gipsproduktion ab. Als SS-Soldaten das Bergwerk 1943 übernahmen, durchbohrten sieben Kilometer lange Stollen und 54 Hohlräume den Fels. Im August kamen die ersten KZ-Häftlinge aus Buchenwald.
In nur sechs Monaten trieben sie weitere Schlünder in den Fels hinein, verlängerten das quadratische Stollensystem auf 14 Kilometer. Eine unmenschliche Arbeit. Viele Zwangsarbeiter starben unter Tage. Mittelbau-Dora war das erste und am Ende das weitaus größte Konzentrationslager, dass die Nationalsozialisten aus nur einem einzigen Grund gründeten: die Arbeitskraft seiner Insassen auszubeuten. Jens-Christian Wagner, Leiter der KZ-Gedenkstätte.
Jens-Christian Wagner: " Mittelbau-Dora steht exemplarisch für die Lager, in denen KZ-Zwangsarbeit im ökonomischen Sinne betrieben wurde. Und genau dieser Punkt, Mittelbau-Dora ist Modell der Zwangsarbeit, ist das Spezifikum, das wir auch versuchen in der neuen Ausstellung, die 2006 eröffnet werden soll, herauszustellen. "
Das Konzentrationslager in der Nähe von Nordhausen errichteten die Nationalsozialisten speziell für den Bau von Hitlers Wunderwaffen V1 und V2. Der Buchstabe V stand für Vergeltung. In unterirdischen Stollen, wo das Wasser von den Wänden troff, das Tageslicht nie hineinkam und das Krachen und der Staub ständiger Sprengungen das Leben zur Hölle machten, schufteten Zehntausende. Wer bei den schweren Arbeiten ums Leben kam, wurde zurück nach Buchenwald transportiert und dort verbrannt. Der tschechische Widerstandskämpfer Vilem Svacha erinnert sich noch gut an die erste Nacht, die er in Mittelbau-Dora verbrachte. Den SS-Soldaten glaubte er kein Wort als sie ihm auf dem Weg nach Nordhausen sagten:
Vilem Svacha: " Legt die Decken weg, ihr bringt euch Läuse hin. Da kommt ihr in ein aufgebautes Lager, da sind Steingebäude, und zweimal am Tag warmes Essen werdet ihr bekommen. Und da habe ich gesagt, Kollegen, macht ihr das nicht, wir könne die Decken immer hinschmeißen, wenn wir es sehen wie es aussieht. Wir sind hierher gekommen, das war schon ungefähr Nacht, und sind wir in Tunnel gekommen, da mussten wir auf der Erde schlafen, da waren nur Steine da, und von oben hat noch Wasser getropft. War schrecklich die erste Nacht. "
Heute lebt der 87-Jährige im tschechischen Marienbad, erinnert sich nur noch selten an die Grausamkeiten der Nazis. Von 60.000 KZ-Insassen haben damals 20.000 das KZ Mittelbau-Dora nicht überlebt, sagt Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner. Den Tod dieser Menschen haben aber nicht allein SS-Schergen auf dem Gewissen. Ähnlich vernetzt wie das Stollensystem im Kohnstein-Berg, war wohl auch die deutsche Gesellschaft in das perfide System der Zwangsarbeit verstrickt. Nicht nur deutsche Unternehmer, auch Bauern und Zivilisten haben sich die Häftlinge ausgeliehen, erklärt Wagner. Wissenschaftliche Studien zum Verhalten von Unternehmen im Nationalsozialismus hätten vor allem eins gezeigt:
Jens-Christian Wagner: " Dass die Initiative zum Einsatz von KZ-Häftlingen fast immer von Unternehmen selbst ausgegangen ist. Und da steht im krassen Widerspruch zu dem, was der Nachkriegsdiskurs weismachen wollte. Das was in der Nachkriegszeit erzählt war, war der Mythos, die Häftlinge seien den Unternehmen von der SS quasi aufgedrückt worden. Weil die SS auf diese Weise versucht habe, den Fuß in die Industrie hineinzubekommen. Und sich damit der Produkte, vornehmlich natürlich in der Rüstungsindustrie der Waffen zu bedienen. Das hat die Forschung als Mythos entlarvt und es ist tatsächlich so, die meisten Unternehmen sind eigenverantwortlich und selbstinitiativ, selbstmobilisierend vorangegangen bei der Rekrutierung von KZ-Häftlingen als Zwangsarbeiter. "
Überall in Deutschland wurden KZ-Zwangsarbeiter eingesetzt. Wagner schätzt, dass weit über 10.000 deutsche Firmen Zwangsarbeiter für sich arbeiten ließen. In der thüringischen Stadt Nordhausen waren es überdurchschnittlich viele. Schaut man sich an, wie viele Unternehmen allein in das A4 Programm, das Raketenprogramm der Nationalsozialisten, involviert waren, liest sich das wie ein Who is Who der deutschen Industrie. Nicht nur der Physiker Wernher von Braun befürwortete und betrieb den Arbeitseinsatz von KZ-Häftlingen. Große Elektronikkonzerne wie Siemens & Halske hatten eigene Arbeitskommandos im Stollen, oder Baukonzerne wie Braun Boveri und Koch, Hoch & Tief, Grün & Bilfinger. Neben Rüstungsgütern wurden Schnaps und Tabak produziert. Alle Unternehmen erzielten satte Profite.
Jens-Christian Wagner: "Das ist in der Tat erschreckend, wie tief das in den letzten Winkel Deutschlands hineinging. Und das nicht nur topgraphisch, sondern auch gesellschaftlich gesehen. Diese vielen, vielen Wechselwirkungen zwischen den Lagern und ihrem gesellschaftlichen Umfeld. Der Sichtbeziehung zwischen Lager und Bevölkerung, bis hin zu der Vielzahl von KZ-Kommandos in vielen, vielen Firmen und Außenlagern überall in Deutschland. Das ist dann doch überraschend, weil bis zum heutigen Tage die Öffentlichkeit ja ein ganz anderes Bild von den Konzentrationslagern hat. Nämlich das der großen, vermeintlich abgeschlossenen Lager irgendwo hinter Bergen und Wäldern versteckt. "
Die deutschen Unternehmer hatten allerdings nicht von Anfang an Interesse an KZ-Häftlingen. Die waren nämlich zu teuer. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmte nicht. Die KZ Insassen waren zum einen körperlich sehr schwach. Außerdem hatten sie kein Interesse daran, Waffen herzustellen, mit denen die eigenen Landsleute umgebracht werden sollten. Jens-Christian Wagner schätzt, dass ein KZ-Häftling die Arbeitskapazität eines deutschen Zivilarbeiters nur zu etwa 40 Prozent erbrachte. Nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad mussten jedoch immer mehr Zivilisten an die Front. Vielen Firmen fehlten darum die Mitarbeiter. Lukrative Rüstungsaufträge der Nazis konnten nicht mehr erfüllt werden. Unternehmer stellten darum kurzerhand beim Rüstungsministerium von Albert Speer einen Antrag. So auch das Nordhäuser Unternehmen Schmidt Kranz und Co. Das Maschinenbauunternehmen stellte Teile für die A4 Rakete her. Der Firmeninhaber Karl Glinz ließ Anfang 1944 ein größeres Kommando von KZ-Zwangsarbeitern aus dem Lager Dora in seiner Firma in der Nordhäuser Ullrichstraße für sich arbeiten, sagt Wagner.
Jens-Christian Wagner: "Das ist ein sehr dreister Fall. Die meisten Firmen haben sich da geschickter aus der Affäre gezogen. Entweder indem sie deutlich gesagt haben, dass diese Firmen oder ihre Vorgängerfirmen, zum Teil sind es ja nicht mehr diese Firmen selbst, das ist eine ganz andere Rechtsform mittlerweile, dass diese bis 1945 Firmen KZ-Zwangsarbeiter beschäftigt haben und haben entsprechend eingezahlt. Aber ich habe allgemein die Erfahrung gemacht, dass gerade bei diesen kleinen mittelständischen Unternehmen wie Schmidt Kranz und Co wo es auch noch ein starke persönliche Bindung an den Unternehmensleiter gibt man sich da sehr viel schwerer tut als bei großen Konzernen. "
In einem Antwortschreiben an das DeutschlandRadio Kultur betont der Enkel Caspar Glinz: Sein Großvater Karl Glinz sei 1945 enteignet worden, die Firma in der DDR in die Baukema übergegangen. Somit sei seine Familie nicht mehr Eigentümerin der Schmidt, Kranz AG. Zitat: "Wir wissen heute nicht, was die Firma Schmidt, Kranz AG geliefert hat." Elf Jahre später habe sein Vater eine neue Firma im niedersächsischen Zorge gegründet und sie Schmidt, Kranz & Co GmbH genannt. Hauptsitz der Firma ist heute im nordrhein-westfälischen Velbert. Geschäftsbeziehungen gibt es in alle Welt. Nach der Wende kaufte die Schmidt, Kranz & Co GmbH von der Nordhäuser Baukema einen Betriebsteil auf. Der besteht zum Teil noch aus den alten Gebäuden. Die Firma Perforator, eine eigenständige GmbH unter dem Dach der Schmidt, Kranz Holding weist in seiner Chronik im Internet darauf hin: 1991 habe man im Rahmen der Wiedervereinigung das ehemalige Werk Nordhausen in der Ulrichstrasse zurückerworben Zu einem Interview ist Caspar Glinz nicht bereit, er schreibt weiter: "Ich persönlich bin zutiefst betroffen von der Unmenschlichkeit des 3. Reiches. Wenn die Schmidt, Kranz AG damit in Zusammenhang zu bringen ist, dann leite ich daraus eine indirekte Schuld ab. Genauso wie ich dies im Zusammenhang mit anderen Unternehmen tue." Die Stadt Nordhausen, lobt Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner, habe sehr früh in den Zwangsarbeiterfond der Bundesrepublik und der deutschen Wirtschaft eingezahlt. Nicht eingezahlt haben dagegen Schreiber und Sohn - ein Landwirtschaftsunternehmen vor den Toren Nordhausens. Auch dort mussten KZ-Zwangsarbeiter aus Mittelbau-Dora schuften. Am selben Ort werden heute dieselben Produkte vermarktet. Nicht der Enkel, sondern der 1945 geborene Sohn, Karl-Hermann Schreiber, führt den Hof. Ein vereinbartes Interview lehnt die Familie Schreiber kurz danach wieder ab. Bei diesem sensiblen Thema müssten erst noch ein paar Jahre vergehen, erklärt die Ehefrau am Telefon.
Ortswechsel. Erfurt, Landeshauptstadt von Thüringen. Am Rande der Stadt, in einem Industrieviertel, hatte die Firma Topf und Söhne ihren Sitz. Damals ein Global Player mit mehreren tausend Mitarbeitern. Die beiden Firmenchefs Ludwig und Ernst-Wolfgang Topf verdienten gutes Geld mit dem Bau von Mälzereianlagen für Brauereien, Siloanlagen und Schornsteinaufsätzen. Zudem war die Firma auf industrielle Feuerungen spezialisiert. Topf & Söhne verkauften Öfen für städtische Krematorien nach Bangkok, Santiago de Chile und Moskau. Pietät - darin lag ihr Geschäftserfolg. Die riesige verfallene Montagehalle in der Nähe vom Erfurter Hauptbahnhof ist halb so groß wie ein Fußballfeld. Tauben nisten heute zwischen den Eisenstangen, alle Fenster sind zerbrochen.
Nirgendwo hat es in Deutschland solch eine Verdichtung der völligen Normalität, des gewöhnlichen industriellen Alltags und der Verknüpfung mit der Monstrosität von Auschwitz geben wie bei Topf und Söhne, meint Rikola-Gunnnar Lüttgenau, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald.
Rikola-Gunnnar Lüttgenau: " Wir wissen definitiv, dass für Auschwitz-Birkenau, Kurt Prüfer, das war der entscheidenden Mann innerhalb von Topf und Söhne, der alle Öfen konzipierte, und auch der hauptsächliche Ansprechpartner der SS in Auschwitz war, dass er bereits 1942 von den ersten Vergasungen im Auschwitz-Stammlager informiert war. Aber nicht nur der Ingenieur wusste davon. Sondern wir wissen auch von den Monteuren, die Topf und Söhne nach Aschwitz schickte, die Anlagen zu installieren, z.B. diese Be- und Entlüftungsanlage. Jetzt könnte man ja einem Monteur sagen, da ist ein Leichenkeller, montier irgendwelche Rohre und er realisiert nicht was geschieht. Aber auf seinen Abrechnungszetteln, die wir eben jetzt auch im Firmenarchiv gefunden haben, dort steht: Auskleidekeller, Gaskeller. Auch der Monteur ist darüber informiert, wie die Technik, die er einbaut, später genutzt wird von der SS. "
Für Auschwitz-Birkenau lieferte Topf und Söhne aber nicht nur die Öfen. Ihre Ingenieure waren für den gesamten technischen Ablauf zuständig. Sie konstruierten die Be- und Entlüftungssysteme für die Gaskammern und bauten die Aufzüge von den Gaskammern hoch zu den Öfen. Lüttgenau sagt: Topf und Söhne gab der SS das technische Mordwerkzeug in die Hand. Im ersten Stock des Erfurter Verwaltungsgebäudes saß die Firmenleitung, im zweiten waren die Zeichensäle. Von dort aus hat man einen Blick direkt auf den Ettersberg, auf das Konzentrationslager Buchenwald. Erst seit einem Jahr liegt das Firmenarchiv in seinen wesentlichen Bestandteilen im Thüringischen Hauptstaatsarchiv in Weimar. "Stets gern für Sie beschäftigt" lautete der Schlusssatz, den Topf und Söhne in die Geschäftsbriefe mit der SS-Bauleitung schrieb. Immer dann, wenn sie sich für einen neuen Auftrag für die Krematoriumsöfen in Auschwitz bedankten. Sie haben sie nicht nur gebaut. Sie haben sie ja auch entwickelt, bringen für die Endlösung eigene Vorschläge ein. Im Winter war es für die SS problematisch, Zyklon B in einen gasförmigen Zustand zu bringen. Topf und Söhne hatte dafür eine Idee: Ihre Ingenieure leiten die Abwärme der Öfen mit einer Luftheizungsanlage in die Gaskammer, so kann man die Gaskammer auf 27 Grad vorwärmen. Der reibungslose Ablauf in der Todesfabrik war somit gewährleistet. Der ehemalige KZ-Häftling Vilem Svacha war nach seiner Festnahme in Prag zuerst zehn Monate in Auschwitz.
Vilem Svacha: "Das war im Frühjahr in Auschwitz, da sind 40.000 Juden von Griechenland gekommen. Zweieinhalbtausend sind am Lager gegangen als Arbeiter. Auch Frauen und Männer. Und die 37 und halb hat man in drei Tagen vergast und verbrannt. Aber das konnten sie nicht in in in, da haben sie Pyramide gemacht, tausend Leute also schon Tote. Mit Benzin begossen und angezündet. "
Das war 1942. Das große Krematorium II befand sich im Lager Birkenau noch im Bau. Der Plan war: am Tag dort 1440 Leichen zu verbrennen. Topf und Söhne hatte mit der SS darum eine Art Generalvereinbarung getroffen. Sie entwickelten für Auschwitz den so genannten Dreimuffelofen, ein Ofen mit erhöhter Brennkapazität. Bis 1943 lieferten sie die Öfen für alle fünf Krematorien in Auschwitz-Birkenau. Das Erschreckende, sagt Gedenkstättenleiter Rikola-Gunnnar Lüttgenau, sei für ihn das Engagement der Firma. Profitdenken allein könne es nicht gewesen sein. Topf und Söhne verdienten nicht viel an der Beteiligung von Millionen ermordeter Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und Widerstandskämpfern. Die SS-Aufträge für die Öfen machten nur zwei Prozent des gesamten Firmenvolumens aus. Was der Grund für ihre Handlungsweise war, auf diese Frage hat der Gedenkstättenleiter bis heute keine Antwort.
Der Schacht führt 100 Meter tief in den Berg hinein. An seinem Ende öffnet sich wie ein riesiger Schlund eine 20 Meter hohe Steinhalle. Rechts und links davon laufen in gleichmäßigen Abständen halb so große Stollen ins Leere. Kilometerlang - ein schwarzes Labyrinth. Rostige Raketenteile liegen auf dem Boden, erinnern an das, was vor über 60 Jahren hier geschah. In den 30er Jahren baute man im Kohnstein Anhydritgestein für die Gipsproduktion ab. Als SS-Soldaten das Bergwerk 1943 übernahmen, durchbohrten sieben Kilometer lange Stollen und 54 Hohlräume den Fels. Im August kamen die ersten KZ-Häftlinge aus Buchenwald.
In nur sechs Monaten trieben sie weitere Schlünder in den Fels hinein, verlängerten das quadratische Stollensystem auf 14 Kilometer. Eine unmenschliche Arbeit. Viele Zwangsarbeiter starben unter Tage. Mittelbau-Dora war das erste und am Ende das weitaus größte Konzentrationslager, dass die Nationalsozialisten aus nur einem einzigen Grund gründeten: die Arbeitskraft seiner Insassen auszubeuten. Jens-Christian Wagner, Leiter der KZ-Gedenkstätte.
Jens-Christian Wagner: " Mittelbau-Dora steht exemplarisch für die Lager, in denen KZ-Zwangsarbeit im ökonomischen Sinne betrieben wurde. Und genau dieser Punkt, Mittelbau-Dora ist Modell der Zwangsarbeit, ist das Spezifikum, das wir auch versuchen in der neuen Ausstellung, die 2006 eröffnet werden soll, herauszustellen. "
Das Konzentrationslager in der Nähe von Nordhausen errichteten die Nationalsozialisten speziell für den Bau von Hitlers Wunderwaffen V1 und V2. Der Buchstabe V stand für Vergeltung. In unterirdischen Stollen, wo das Wasser von den Wänden troff, das Tageslicht nie hineinkam und das Krachen und der Staub ständiger Sprengungen das Leben zur Hölle machten, schufteten Zehntausende. Wer bei den schweren Arbeiten ums Leben kam, wurde zurück nach Buchenwald transportiert und dort verbrannt. Der tschechische Widerstandskämpfer Vilem Svacha erinnert sich noch gut an die erste Nacht, die er in Mittelbau-Dora verbrachte. Den SS-Soldaten glaubte er kein Wort als sie ihm auf dem Weg nach Nordhausen sagten:
Vilem Svacha: " Legt die Decken weg, ihr bringt euch Läuse hin. Da kommt ihr in ein aufgebautes Lager, da sind Steingebäude, und zweimal am Tag warmes Essen werdet ihr bekommen. Und da habe ich gesagt, Kollegen, macht ihr das nicht, wir könne die Decken immer hinschmeißen, wenn wir es sehen wie es aussieht. Wir sind hierher gekommen, das war schon ungefähr Nacht, und sind wir in Tunnel gekommen, da mussten wir auf der Erde schlafen, da waren nur Steine da, und von oben hat noch Wasser getropft. War schrecklich die erste Nacht. "
Heute lebt der 87-Jährige im tschechischen Marienbad, erinnert sich nur noch selten an die Grausamkeiten der Nazis. Von 60.000 KZ-Insassen haben damals 20.000 das KZ Mittelbau-Dora nicht überlebt, sagt Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner. Den Tod dieser Menschen haben aber nicht allein SS-Schergen auf dem Gewissen. Ähnlich vernetzt wie das Stollensystem im Kohnstein-Berg, war wohl auch die deutsche Gesellschaft in das perfide System der Zwangsarbeit verstrickt. Nicht nur deutsche Unternehmer, auch Bauern und Zivilisten haben sich die Häftlinge ausgeliehen, erklärt Wagner. Wissenschaftliche Studien zum Verhalten von Unternehmen im Nationalsozialismus hätten vor allem eins gezeigt:
Jens-Christian Wagner: " Dass die Initiative zum Einsatz von KZ-Häftlingen fast immer von Unternehmen selbst ausgegangen ist. Und da steht im krassen Widerspruch zu dem, was der Nachkriegsdiskurs weismachen wollte. Das was in der Nachkriegszeit erzählt war, war der Mythos, die Häftlinge seien den Unternehmen von der SS quasi aufgedrückt worden. Weil die SS auf diese Weise versucht habe, den Fuß in die Industrie hineinzubekommen. Und sich damit der Produkte, vornehmlich natürlich in der Rüstungsindustrie der Waffen zu bedienen. Das hat die Forschung als Mythos entlarvt und es ist tatsächlich so, die meisten Unternehmen sind eigenverantwortlich und selbstinitiativ, selbstmobilisierend vorangegangen bei der Rekrutierung von KZ-Häftlingen als Zwangsarbeiter. "
Überall in Deutschland wurden KZ-Zwangsarbeiter eingesetzt. Wagner schätzt, dass weit über 10.000 deutsche Firmen Zwangsarbeiter für sich arbeiten ließen. In der thüringischen Stadt Nordhausen waren es überdurchschnittlich viele. Schaut man sich an, wie viele Unternehmen allein in das A4 Programm, das Raketenprogramm der Nationalsozialisten, involviert waren, liest sich das wie ein Who is Who der deutschen Industrie. Nicht nur der Physiker Wernher von Braun befürwortete und betrieb den Arbeitseinsatz von KZ-Häftlingen. Große Elektronikkonzerne wie Siemens & Halske hatten eigene Arbeitskommandos im Stollen, oder Baukonzerne wie Braun Boveri und Koch, Hoch & Tief, Grün & Bilfinger. Neben Rüstungsgütern wurden Schnaps und Tabak produziert. Alle Unternehmen erzielten satte Profite.
Jens-Christian Wagner: "Das ist in der Tat erschreckend, wie tief das in den letzten Winkel Deutschlands hineinging. Und das nicht nur topgraphisch, sondern auch gesellschaftlich gesehen. Diese vielen, vielen Wechselwirkungen zwischen den Lagern und ihrem gesellschaftlichen Umfeld. Der Sichtbeziehung zwischen Lager und Bevölkerung, bis hin zu der Vielzahl von KZ-Kommandos in vielen, vielen Firmen und Außenlagern überall in Deutschland. Das ist dann doch überraschend, weil bis zum heutigen Tage die Öffentlichkeit ja ein ganz anderes Bild von den Konzentrationslagern hat. Nämlich das der großen, vermeintlich abgeschlossenen Lager irgendwo hinter Bergen und Wäldern versteckt. "
Die deutschen Unternehmer hatten allerdings nicht von Anfang an Interesse an KZ-Häftlingen. Die waren nämlich zu teuer. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmte nicht. Die KZ Insassen waren zum einen körperlich sehr schwach. Außerdem hatten sie kein Interesse daran, Waffen herzustellen, mit denen die eigenen Landsleute umgebracht werden sollten. Jens-Christian Wagner schätzt, dass ein KZ-Häftling die Arbeitskapazität eines deutschen Zivilarbeiters nur zu etwa 40 Prozent erbrachte. Nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad mussten jedoch immer mehr Zivilisten an die Front. Vielen Firmen fehlten darum die Mitarbeiter. Lukrative Rüstungsaufträge der Nazis konnten nicht mehr erfüllt werden. Unternehmer stellten darum kurzerhand beim Rüstungsministerium von Albert Speer einen Antrag. So auch das Nordhäuser Unternehmen Schmidt Kranz und Co. Das Maschinenbauunternehmen stellte Teile für die A4 Rakete her. Der Firmeninhaber Karl Glinz ließ Anfang 1944 ein größeres Kommando von KZ-Zwangsarbeitern aus dem Lager Dora in seiner Firma in der Nordhäuser Ullrichstraße für sich arbeiten, sagt Wagner.
Jens-Christian Wagner: "Das ist ein sehr dreister Fall. Die meisten Firmen haben sich da geschickter aus der Affäre gezogen. Entweder indem sie deutlich gesagt haben, dass diese Firmen oder ihre Vorgängerfirmen, zum Teil sind es ja nicht mehr diese Firmen selbst, das ist eine ganz andere Rechtsform mittlerweile, dass diese bis 1945 Firmen KZ-Zwangsarbeiter beschäftigt haben und haben entsprechend eingezahlt. Aber ich habe allgemein die Erfahrung gemacht, dass gerade bei diesen kleinen mittelständischen Unternehmen wie Schmidt Kranz und Co wo es auch noch ein starke persönliche Bindung an den Unternehmensleiter gibt man sich da sehr viel schwerer tut als bei großen Konzernen. "
In einem Antwortschreiben an das DeutschlandRadio Kultur betont der Enkel Caspar Glinz: Sein Großvater Karl Glinz sei 1945 enteignet worden, die Firma in der DDR in die Baukema übergegangen. Somit sei seine Familie nicht mehr Eigentümerin der Schmidt, Kranz AG. Zitat: "Wir wissen heute nicht, was die Firma Schmidt, Kranz AG geliefert hat." Elf Jahre später habe sein Vater eine neue Firma im niedersächsischen Zorge gegründet und sie Schmidt, Kranz & Co GmbH genannt. Hauptsitz der Firma ist heute im nordrhein-westfälischen Velbert. Geschäftsbeziehungen gibt es in alle Welt. Nach der Wende kaufte die Schmidt, Kranz & Co GmbH von der Nordhäuser Baukema einen Betriebsteil auf. Der besteht zum Teil noch aus den alten Gebäuden. Die Firma Perforator, eine eigenständige GmbH unter dem Dach der Schmidt, Kranz Holding weist in seiner Chronik im Internet darauf hin: 1991 habe man im Rahmen der Wiedervereinigung das ehemalige Werk Nordhausen in der Ulrichstrasse zurückerworben Zu einem Interview ist Caspar Glinz nicht bereit, er schreibt weiter: "Ich persönlich bin zutiefst betroffen von der Unmenschlichkeit des 3. Reiches. Wenn die Schmidt, Kranz AG damit in Zusammenhang zu bringen ist, dann leite ich daraus eine indirekte Schuld ab. Genauso wie ich dies im Zusammenhang mit anderen Unternehmen tue." Die Stadt Nordhausen, lobt Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner, habe sehr früh in den Zwangsarbeiterfond der Bundesrepublik und der deutschen Wirtschaft eingezahlt. Nicht eingezahlt haben dagegen Schreiber und Sohn - ein Landwirtschaftsunternehmen vor den Toren Nordhausens. Auch dort mussten KZ-Zwangsarbeiter aus Mittelbau-Dora schuften. Am selben Ort werden heute dieselben Produkte vermarktet. Nicht der Enkel, sondern der 1945 geborene Sohn, Karl-Hermann Schreiber, führt den Hof. Ein vereinbartes Interview lehnt die Familie Schreiber kurz danach wieder ab. Bei diesem sensiblen Thema müssten erst noch ein paar Jahre vergehen, erklärt die Ehefrau am Telefon.
Ortswechsel. Erfurt, Landeshauptstadt von Thüringen. Am Rande der Stadt, in einem Industrieviertel, hatte die Firma Topf und Söhne ihren Sitz. Damals ein Global Player mit mehreren tausend Mitarbeitern. Die beiden Firmenchefs Ludwig und Ernst-Wolfgang Topf verdienten gutes Geld mit dem Bau von Mälzereianlagen für Brauereien, Siloanlagen und Schornsteinaufsätzen. Zudem war die Firma auf industrielle Feuerungen spezialisiert. Topf & Söhne verkauften Öfen für städtische Krematorien nach Bangkok, Santiago de Chile und Moskau. Pietät - darin lag ihr Geschäftserfolg. Die riesige verfallene Montagehalle in der Nähe vom Erfurter Hauptbahnhof ist halb so groß wie ein Fußballfeld. Tauben nisten heute zwischen den Eisenstangen, alle Fenster sind zerbrochen.
Nirgendwo hat es in Deutschland solch eine Verdichtung der völligen Normalität, des gewöhnlichen industriellen Alltags und der Verknüpfung mit der Monstrosität von Auschwitz geben wie bei Topf und Söhne, meint Rikola-Gunnnar Lüttgenau, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald.
Rikola-Gunnnar Lüttgenau: " Wir wissen definitiv, dass für Auschwitz-Birkenau, Kurt Prüfer, das war der entscheidenden Mann innerhalb von Topf und Söhne, der alle Öfen konzipierte, und auch der hauptsächliche Ansprechpartner der SS in Auschwitz war, dass er bereits 1942 von den ersten Vergasungen im Auschwitz-Stammlager informiert war. Aber nicht nur der Ingenieur wusste davon. Sondern wir wissen auch von den Monteuren, die Topf und Söhne nach Aschwitz schickte, die Anlagen zu installieren, z.B. diese Be- und Entlüftungsanlage. Jetzt könnte man ja einem Monteur sagen, da ist ein Leichenkeller, montier irgendwelche Rohre und er realisiert nicht was geschieht. Aber auf seinen Abrechnungszetteln, die wir eben jetzt auch im Firmenarchiv gefunden haben, dort steht: Auskleidekeller, Gaskeller. Auch der Monteur ist darüber informiert, wie die Technik, die er einbaut, später genutzt wird von der SS. "
Für Auschwitz-Birkenau lieferte Topf und Söhne aber nicht nur die Öfen. Ihre Ingenieure waren für den gesamten technischen Ablauf zuständig. Sie konstruierten die Be- und Entlüftungssysteme für die Gaskammern und bauten die Aufzüge von den Gaskammern hoch zu den Öfen. Lüttgenau sagt: Topf und Söhne gab der SS das technische Mordwerkzeug in die Hand. Im ersten Stock des Erfurter Verwaltungsgebäudes saß die Firmenleitung, im zweiten waren die Zeichensäle. Von dort aus hat man einen Blick direkt auf den Ettersberg, auf das Konzentrationslager Buchenwald. Erst seit einem Jahr liegt das Firmenarchiv in seinen wesentlichen Bestandteilen im Thüringischen Hauptstaatsarchiv in Weimar. "Stets gern für Sie beschäftigt" lautete der Schlusssatz, den Topf und Söhne in die Geschäftsbriefe mit der SS-Bauleitung schrieb. Immer dann, wenn sie sich für einen neuen Auftrag für die Krematoriumsöfen in Auschwitz bedankten. Sie haben sie nicht nur gebaut. Sie haben sie ja auch entwickelt, bringen für die Endlösung eigene Vorschläge ein. Im Winter war es für die SS problematisch, Zyklon B in einen gasförmigen Zustand zu bringen. Topf und Söhne hatte dafür eine Idee: Ihre Ingenieure leiten die Abwärme der Öfen mit einer Luftheizungsanlage in die Gaskammer, so kann man die Gaskammer auf 27 Grad vorwärmen. Der reibungslose Ablauf in der Todesfabrik war somit gewährleistet. Der ehemalige KZ-Häftling Vilem Svacha war nach seiner Festnahme in Prag zuerst zehn Monate in Auschwitz.
Vilem Svacha: "Das war im Frühjahr in Auschwitz, da sind 40.000 Juden von Griechenland gekommen. Zweieinhalbtausend sind am Lager gegangen als Arbeiter. Auch Frauen und Männer. Und die 37 und halb hat man in drei Tagen vergast und verbrannt. Aber das konnten sie nicht in in in, da haben sie Pyramide gemacht, tausend Leute also schon Tote. Mit Benzin begossen und angezündet. "
Das war 1942. Das große Krematorium II befand sich im Lager Birkenau noch im Bau. Der Plan war: am Tag dort 1440 Leichen zu verbrennen. Topf und Söhne hatte mit der SS darum eine Art Generalvereinbarung getroffen. Sie entwickelten für Auschwitz den so genannten Dreimuffelofen, ein Ofen mit erhöhter Brennkapazität. Bis 1943 lieferten sie die Öfen für alle fünf Krematorien in Auschwitz-Birkenau. Das Erschreckende, sagt Gedenkstättenleiter Rikola-Gunnnar Lüttgenau, sei für ihn das Engagement der Firma. Profitdenken allein könne es nicht gewesen sein. Topf und Söhne verdienten nicht viel an der Beteiligung von Millionen ermordeter Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und Widerstandskämpfern. Die SS-Aufträge für die Öfen machten nur zwei Prozent des gesamten Firmenvolumens aus. Was der Grund für ihre Handlungsweise war, auf diese Frage hat der Gedenkstättenleiter bis heute keine Antwort.