"Ein detailbesessener Beobachter"
Edle, in dickes Leder gebundene Bücher und Folianten ringsum in gediegenen Holzregalen entlang der Wände; 200 handverlesene Gäste dicht an dicht auf Stuhlreihen platziert. Lübeck hat in die Stadtbibliothek geladen – und zwar in einen Saal, der ursprünglich Franziskanermönchen als Schlafsaal diente, bevor 1616 hier die erste öffentliche Bibliothek eingerichtet wurde.
Von den verblassten Porträts einstiger Bibliothekare hoch oben an den Wänden begleiten strenge Blicke Oberbürgermeister Bernd Saxe an das Rednerpult. Er zitiert geflissentlich die Entscheidung der Jury, lobt den detailbesessenen Beobachter Kempowski und den gewissenhaften Zeit-Schriftsteller in der Tradition Thomas Manns.
Nach Übergabe der Urkunde an den Ausgezeichneten hat das Publikum noch einen Augenblick Zeit, sich zu Musik von Robert Schumann zu sammeln. Sich die früheren Preisträger in Erinnerung zu rufen – Günter Grass zum Beispiel oder Ruth Klüger, Uwe Johnson und Günter de Bruyn. Sich zu überlegen, was wohl Walter Kempowski mit seinem Scheck über zehn Tausend Euro anstellen wird. Dann spannt der Bielefelder Literaturwissenschaftler Jörg Drews einen großen Bogen.
Jörg Drews: "Einer bewirtschaftet hier seine eigenen Deformationen. Aber von Anfang an stellt er sich eben untrennbar davon den deutschen nationalen Deformationen, der Selbstentstellung Deutschlands und vor allem des deutschen Bürgertums durch das Dritte Reich, welches wahrscheinlich unserem Selbstrespekt noch viel tiefer verstört hat, als wir sogar bis heute ahnen, ihn vielleicht sogar irreparabel zerstört hat."
Um den Begriff der Verantwortung, der Verantwortlichkeit kreist seine Laudatio. Unter diesem Blickwinkel lässt er das Werk Kempowskis Revue passieren – angefangen von dem Bericht "Im Block" von 1969 bis hin zu dem kollektiven Tagebuch mit dem Titel "Echolot".
Jörg Drews: "Verantwortlich in dem Sinne, dass es von persönlichen wie nationalen Schuldverstrickungen nicht wegblickt, sondern sie auf sich nimmt, sie reflektiert, sie als eingesenkt in unser aller Leben versteht und sie konstruktiv umsetzt. "
Die Kritik der Prosa Kempowskis als "historisches Entertainment" weist Drew zurück. Ebenso die gelegentlich geäußerten Vorbehalte gegenüber der Montagetechnik, die Kempowski insbesondere in den Bänden des "Echolots" perfektioniert hat.
Jörg Drews: "Der Autor tritt allerdings zurück hinter dem Arrangeur und sein Künstlertum zeigt sich nicht im "Schöpfertum", sondern darin, anderen ihre Sprache zu lassen, ja ihnen überhaupt erst und noch einmal eine Stimme zu geben – ein paar Tausend Menschen, stellvertretend für die Millionen, die in unserem, dem 20. Jahrhundert gelebt und vor allem: gelitten haben. "
Die wohlmeinenden Worte nimmt Kempowski gern an – mag sich aber die eine oder andere Spitze nicht verkneifen.
Walter Kempowski: "Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss mich herzlich bedanken für dieses wunderbare Preisgeschenk, das sie mir nun endlich gemacht haben. Und auch für den wunderbaren Vortrag, der im ganzen und großen wohl stimmende Sachverhalte wiedergibt. "
Lakonisch ist dann auch, was sich Walter Kempowski für seine Rede überlegt hat. Welche literarische Erlebnisse er Thomas Mann verdanke, fragt er sich. Und nennt als größtes nicht etwa die Romane, sondern die Tagebücher. Gesteht, dass deren Lektüre immer wieder von den zahllosen Fotografien überlagert wird, die von Thomas Mann existieren. Sieht den Zauberer in München versonnen am Fenster stehen oder am Schreibtisch sitzen.
Walter Kempowski: "Oder jenes andere Bild von ihm: Er sitzt im Strandkorb. Und wir sehen, meine Damen und Herren, überdeutlich die Sockenhalter, die ihm die Strümpfe straff hielten. Befremdlich und unbegreiflich, dass er diesen Schnappschuss passieren ließ. An seinen allerletzten Aufenthalt an der See denken wir sogleich, als ihm das Gehen im Sand schwer fiel. Seine Gefäße waren brüchig geworden. Und schon bald darauf fütterte er in Zürich die Spatzen – was leider nicht fotografiert wurde. "
Auf die Selbstinszenierung Thomas Manns blickt Kempowski zurück. Mit milder Ironie. Erweist seinem Ruf als genauer Beobachter alle Ehre. Seziert die Überreste mit Blick auf das, was nicht zu sehen ist.
Walter Kempowski: "Dass er je mit dem Schlauch im Garten gestanden hätte und den Rasen gesprengt in Kalifornien oder an der Isar, ist nicht überliefert. Ganz zu schweigen etwa davon, dass er mit einer Küchenschürze angetan am Herd sich ein Spiegelei gebraten hätte. "
Die Zuhörer in Lübeck sind angetan. Sie wissen, dass selbst in dem gelegentlichen Spott Kempowskis die Ehrfurcht mitschwingt, dass der Autor ihn bei anderer Gelegenheit stets auch auf sich selbst richtet. Und dass diese Art von Humor die Ausnahme sein wird in der kommenden Woche voller Ehrungen für Thomas Mann.
Nach Übergabe der Urkunde an den Ausgezeichneten hat das Publikum noch einen Augenblick Zeit, sich zu Musik von Robert Schumann zu sammeln. Sich die früheren Preisträger in Erinnerung zu rufen – Günter Grass zum Beispiel oder Ruth Klüger, Uwe Johnson und Günter de Bruyn. Sich zu überlegen, was wohl Walter Kempowski mit seinem Scheck über zehn Tausend Euro anstellen wird. Dann spannt der Bielefelder Literaturwissenschaftler Jörg Drews einen großen Bogen.
Jörg Drews: "Einer bewirtschaftet hier seine eigenen Deformationen. Aber von Anfang an stellt er sich eben untrennbar davon den deutschen nationalen Deformationen, der Selbstentstellung Deutschlands und vor allem des deutschen Bürgertums durch das Dritte Reich, welches wahrscheinlich unserem Selbstrespekt noch viel tiefer verstört hat, als wir sogar bis heute ahnen, ihn vielleicht sogar irreparabel zerstört hat."
Um den Begriff der Verantwortung, der Verantwortlichkeit kreist seine Laudatio. Unter diesem Blickwinkel lässt er das Werk Kempowskis Revue passieren – angefangen von dem Bericht "Im Block" von 1969 bis hin zu dem kollektiven Tagebuch mit dem Titel "Echolot".
Jörg Drews: "Verantwortlich in dem Sinne, dass es von persönlichen wie nationalen Schuldverstrickungen nicht wegblickt, sondern sie auf sich nimmt, sie reflektiert, sie als eingesenkt in unser aller Leben versteht und sie konstruktiv umsetzt. "
Die Kritik der Prosa Kempowskis als "historisches Entertainment" weist Drew zurück. Ebenso die gelegentlich geäußerten Vorbehalte gegenüber der Montagetechnik, die Kempowski insbesondere in den Bänden des "Echolots" perfektioniert hat.
Jörg Drews: "Der Autor tritt allerdings zurück hinter dem Arrangeur und sein Künstlertum zeigt sich nicht im "Schöpfertum", sondern darin, anderen ihre Sprache zu lassen, ja ihnen überhaupt erst und noch einmal eine Stimme zu geben – ein paar Tausend Menschen, stellvertretend für die Millionen, die in unserem, dem 20. Jahrhundert gelebt und vor allem: gelitten haben. "
Die wohlmeinenden Worte nimmt Kempowski gern an – mag sich aber die eine oder andere Spitze nicht verkneifen.
Walter Kempowski: "Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss mich herzlich bedanken für dieses wunderbare Preisgeschenk, das sie mir nun endlich gemacht haben. Und auch für den wunderbaren Vortrag, der im ganzen und großen wohl stimmende Sachverhalte wiedergibt. "
Lakonisch ist dann auch, was sich Walter Kempowski für seine Rede überlegt hat. Welche literarische Erlebnisse er Thomas Mann verdanke, fragt er sich. Und nennt als größtes nicht etwa die Romane, sondern die Tagebücher. Gesteht, dass deren Lektüre immer wieder von den zahllosen Fotografien überlagert wird, die von Thomas Mann existieren. Sieht den Zauberer in München versonnen am Fenster stehen oder am Schreibtisch sitzen.
Walter Kempowski: "Oder jenes andere Bild von ihm: Er sitzt im Strandkorb. Und wir sehen, meine Damen und Herren, überdeutlich die Sockenhalter, die ihm die Strümpfe straff hielten. Befremdlich und unbegreiflich, dass er diesen Schnappschuss passieren ließ. An seinen allerletzten Aufenthalt an der See denken wir sogleich, als ihm das Gehen im Sand schwer fiel. Seine Gefäße waren brüchig geworden. Und schon bald darauf fütterte er in Zürich die Spatzen – was leider nicht fotografiert wurde. "
Auf die Selbstinszenierung Thomas Manns blickt Kempowski zurück. Mit milder Ironie. Erweist seinem Ruf als genauer Beobachter alle Ehre. Seziert die Überreste mit Blick auf das, was nicht zu sehen ist.
Walter Kempowski: "Dass er je mit dem Schlauch im Garten gestanden hätte und den Rasen gesprengt in Kalifornien oder an der Isar, ist nicht überliefert. Ganz zu schweigen etwa davon, dass er mit einer Küchenschürze angetan am Herd sich ein Spiegelei gebraten hätte. "
Die Zuhörer in Lübeck sind angetan. Sie wissen, dass selbst in dem gelegentlichen Spott Kempowskis die Ehrfurcht mitschwingt, dass der Autor ihn bei anderer Gelegenheit stets auch auf sich selbst richtet. Und dass diese Art von Humor die Ausnahme sein wird in der kommenden Woche voller Ehrungen für Thomas Mann.