"Ein deprimierender Schritt der Kanadier"

Stefan Krug im Gespräch mit Joachim Scholl |
Kanadas Ausstieg aus dem Kyoto-Protokoll sei verantwortunglos, sagt Stefan Krug von Greepeace Deutschland - er hat am Klimagipfel von Durban teilgenommen. Insgesamt sei die Klimadiplomatie zu langsam und die Welt ungebrochen auf dem Pfad wachsender CO2-Emissionen.
Joachim Scholl: Kyoto sei ein Ding der Vergangenheit - so hat der kanadische Umweltminister Peter Kent einen Tag nach Abschluss der Weltklimakonferenz den Ausstieg seines Landes aus dem Kyoto-Protokoll formuliert. Es ist das erste Mal, dass ein Land sich aus dem 1997 verabschiedeten Vertragswerk zurückzieht. Kyoto, das war der große umweltpolitische Durchbruch, völkerrechtlich verbindliche Klimaziele, 193 Staaten haben sich dazu verpflichtet, jetzt ist es einer weniger. Ich bin jetzt verbunden mit Stefan Krug von Greenpeace in Durban. Stefan Krug hat an der Klimakonferenz teilgenommen - guten Tag, Herr Krug!

Stefan Krug: Guten Tag!

Scholl: In Kyoto hat der kanadische Umweltminister Kent noch gesagt, er sei stolz darauf, dass Kanada seinen Beitrag zur Klimakonferenz leiste. Jetzt dieser Schritt. Hat der Sie auch überrascht?

Krug: Es kam nicht ganz überraschend, weil kanadische Medien schon während der Klimakonferenz in Durban angedeutet hatten, dass Kanada sich aus dem Kyoto-Protokoll zurückzieht. Es war ein Gerücht, das aber von Seiten der kanadischen Regierung weder bestätigt noch dementiert wurde, was immer ein schlechtes Zeichen ist. Insofern kam es nicht wirklich überraschend, zumal Kanada sich seit Jahren als Blockierer jeden Fortschritts beim Klimaschutz aufführt. Kanada ist an dieser Stelle sozusagen dauerhaft blockierend, genauso wie die USA, die seit vielen Jahren den Prozess erschweren.

Scholl: Der WWF, der World Wide Fund For Nature Deutschland, spricht hoch empört von staatlich organisierter Verantwortungslosigkeit von Seiten Kanadas und einem Schlag ins Gesicht der Weltöffentlichkeit. Sehen Sie das auch so?

Krug: Absolut. Das, was Kanada hier macht, ist in hohem Maße verantwortungslos. Die Kanadier haben ja damals sich unter dem Kyoto-Protokoll verpflichtet, ihre Emission um sechs Prozent zu reduzieren, faktisch haben sie sie um rund 35 Prozent seit 1990 erhöht. Jetzt steigen sie aus einem Protokoll aus, das das einzig völkerrechtlich bindende Abkommen zum Klimaschutz ist. Die Kanadier zeigen hier einmal wieder sozusagen, welche Richtung sie beim Klimaschutz wollen. Sie wollen keine verbindlichen Ziele, sie wollen möglichst weitermachen mit der Umwelt zerstörenden Energieerzeugung, die besonders in Kanada um sich greift.

Vor allem die Teersande sind hier das Hauptproblem, denn dort wird Öl mit Chemikalien aus Gesteinsschichten gewaschen und mit hohen, hohen Umweltkosten, einer extremen Umweltzerstörung. Das heißt, die Kanadier sind auf ganzer Linie seit vielen Jahren gegen jede Art von Klimaschutz eingestellt, und insofern ist das jetzt der Gipfel der Verantwortungslosigkeit, aber der Gipfel nach einer langen Reihe von Verantwortungslosigkeiten.

Scholl: Die Begründung lautet ja, dass das Kyoto-Protokoll nicht die beiden größten Emittenten von Treibhausgasen - die USA und China - umfasse und somit nicht funktionieren könne laut der kanadischen Delegierten. Das ist natürlich der wunde Punkt des Kyoto-Protokolls, dass die beiden Riesen sowieso nicht dabei sind. Nun könnte man sagen, Kanada ist konsequent und ehrlich und sagt, wenn die beiden nicht dabei sind, warum wir.

Krug: Nein, eigentlich ist das Gegenteil der Fall, denn die Kanadier wissen genau, dass es außer dem Kyoto-Protokoll im Moment kein völkerrechtlich bindendes Abkommen gibt. Kyoto hatte schwache Ziele, aber Kyoto hatte ein sehr wichtiges Instrumentarium, um den Klimaschutz weltweit voranzubringen, ein wichtiges Regelwerk, das erstmals überhaupt festgelegt hat, wie Emissionen zu berechnen sind und wie sozusagen eine Vielzahl von Staaten unter einem Protokoll zum Klimaschutz vereint werden kann. Die Kanadier wissen, dass der nächste Klimaschutzvertrag - wenn überhaupt - erst frühestens im Jahr 2020 in Kraft treten könnte, wo dann unter Umständen die großen Schwellenländer und auch die Amerikaner drin sind. Im Moment sieht es allerdings überhaupt nicht danach aus, denn die Amerikaner haben auch in der Vergangenheit sich schon zu solchen Verhandlungsprozessen bekannt und gesagt, ja, wir handeln etwas aus, sind aber dann im letzten Moment zum Beispiel auch in Kopenhagen ja wieder abgesprungen und haben sich in keiner Weise gebunden.

Das heißt, wenn man darauf wartet, dass die Großen ins Boot kommen, kann man sehr, sehr lange warten. Man muss jetzt anfangen, Koalitionen zu schmieden und Blockierer wie Kanada, aber auch wie die USA beiseite lassen. Wir können uns keinen Aufschub mehr beim Klimaschutz erlauben, und wir haben dieses Jahrzehnt noch Zeit, die Emissionen runterzubringen, ein Global-Peak-Jahr sozusagen zu erreichen. Das kann nicht geschehen, wenn man jetzt aus Kyoto aussteigt, wenn man gleichzeitig die Verhandlungen für einen Weltklimavertrag weiter blockiert. Insofern ist die Lage keineswegs so, wie Kanada sie schildert.

Scholl: Erstmals zieht sich ein Land aus dem Kyoto-Protokoll zurück. Was bedeutet das, Herr Krug, für den gesamten Prozess? Wird jetzt über die Kyoto-Ziele eventuell neu diskutiert werden müssen?

Krug: Nun, es war schon in Durban klar, dass Länder wie Kanada, aber auch Japan und Russland ja bereits deutlich signalisiert hatten, sie wollten sich an einer zweiten Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls nicht mehr beteiligen. Die Gründe sind zum Teil fadenscheinig - Kanada erspart sich natürlich eine Riesenstrafzahlung. Sie haben ihre Ziele von Kyoto grandios verfehlt, sie müssten geschätzt 14 Milliarden Dollar an Strafzahlungen leisten, deswegen sind sie jetzt vorzeitig und einseitig ausgestiegen. Das Kyoto-Protokoll selber wird nach Beschlusslage von Durban im nächsten Jahr verlängert, aber es bleibt eine hohle Schale, wenn nicht klar wird, welche Reduktionsziele die Industriestaaten hier reinlegen.

Wir müssen mehr Länder unter dem Kyoto-Protokoll ins Boot bringen. Durban als Klimakonferenz war sicher für die Klimadiplomatie ein Erfolg, weil man erstmals einen Pfad wieder für alle Länder beschlossen hat, um einen Klimavertrag abzuschließen, aber Durban hat für den Klimaschutz selbst an dieser Stelle kein positives Ergebnis gebracht. Keines der Länder hat seine Reduktionsziele erhöht, es wurde kein Peak-Jahr für die Emissionen weltweit in diesem Jahrzehnt festgelegt, es wurde kein langfristiges Ziel für die CO2-Reduktion 2050 festgelegt. Also alle diese Baustellen sind noch offen. Der Kyoto-Prozess muss fortgesetzt werden, aber er muss vor allem durch konkrete Reduktionsverpflichtungen deutlich gesteigert werden. Wenn wir uns bei den Reduktionsverpflichtungen nicht auf einem Pfad bewegen, der zwei Grad in diesem Jahrhundert Erwärmung garantiert, dann nutzen alle diese Verträge nichts. Insofern, man sollte sich an das halten, was man hat, und das möglichst optimal gestalten.

Scholl: Der Rückzug Kanadas aus dem Kyoto-Protokoll. Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Stefan Krug von Greenpeace Deutschland, zur Zeit noch in Durban. Das Protokoll sieht ja vor, den jährlichen Ausstoß von Treibhausgasen der Industrieländer ab 2008 um durchschnittlich fünf Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken - das ist der Plan. Das haben nur wenige Staaten erreicht, und der gesamte Ausstoß ist weiter gestiegen, auch im letzten Jahr wieder. An dieser Tatsache hat ja Kyoto nichts geändert, da kann man ja doch auch verzagen ein wenig, oder?

Krug: Das ist richtig. Die faktische CO2-Reduktion ist sehr ernüchternd. Wir haben seit 1990 eine Zunahme von über 40 Prozent, wir hatten aber auch schon von 1970 bis 1990 eine Zunahme von 40 Prozent. Das heißt, die Welt ist ungebrochen auf dem Pfad wachsender CO2-Emissionen. Der gesamte Klimaprozess ist sicher diplomatisch ein wichtiger Prozess, kommt aber zu spät, wenn es darum geht, Reduktionsziele so zu vereinbaren, dass der Klimaschutz auch faktisch stattfindet. Und das ist das Hauptproblem, die Klimadiplomatie ist zu langsam. Und wenn jetzt natürlich noch Staaten wie Kanada, aber auch die USA immer neue Knüppel zwischen die Beine des Prozesses werfen, immer weiter versuchen, sich lediglich auf freiwillige Verpflichtungen zurückzuziehen.

Ich denke, ohne Kyoto wären die Emissionen noch sicher höher gewesen. Wir haben in Deutschland oder in Europa etwa eine relativ fortschrittliche Klimaschutzgesetzgebung durch Kyoto unter anderem auch erreicht, der Emissionshandel in Europa wurde nur möglich durch das Kyoto-Protokoll. Allerdings sind auch die Europäer jetzt ganz besonders gefordert, ihre eigenen Reduktionsverpflichtungen zu erhöhen. Man sieht, wenn auf USA oder Kanada oder auch China wartet, wartet man vergeblich. Wir brauchen Vorreiter, die vorangehen, die ihre Ziele ehrgeizig selbst setzen und sagen, wir schaffen das, wir glauben auch daran, dass das eine Erfolgschance für die Wirtschaft ist, und die jetzt vorangehen. Insofern denke ich mal, es ist ein deprimierender Schritt der Kanadier, es ist verantwortungslos, aber man darf sich nicht an diesem Schritt aufhängen, man muss den Prozess jetzt umso intensiver vorantreiben.

Scholl: Nun haben die Kanadier relativ offen zugegeben, dass sie eben auch wirklich auch ökonomischen Gründen sich zurückziehen, also mit Hinblick auch auf die horrenden Strafzahlungen, die fällig gewesen wären. Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung hat gestern in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" auch von einer neuen Ehrlichkeit gesprochen, in einem anderen Zusammenhang, nämlich die Welt würde sich neu sortieren in Umweltfragen, es würde die alte Nord-Süd-Teilung nicht mehr geben, sondern eine klare Trennung jetzt zwischen Ländern, die langfristig und verantwortungsvoll denken, und den anderen, die eben immer noch auf kurzfristige nationale, eben meist ökonomische Interessen setzen, so wie Kanada jetzt eben. Beobachten Sie diese Entwicklung auch, Herr Krug, war das in Durban spürbar?

Krug: Ja, das ist auf jeden Fall eine Entwicklung, die sich fortsetzen wird. Die Schwellenländer sind ja mittlerweile zu den Hauptemittenten aufgestiegen, wir haben mittlerweile China als Nummer eins, wir haben große Länder wie Indien, wie Südafrika, die jetzt enorme Zuwächse und enorme Wachstumsraten haben, die natürlich mit hohen CO2-Emissionen einhergehen. Gleichzeitig aber muss man sehen, dass diese Länder in sich auch gespalten sind. Die alte Nord-Süd-Spaltung funktioniert nicht mehr, diese Trennlinie geht mittlerweile durch die Länder selbst hindurch. Wir haben in China oder Indien sehr wohlhabende Mittel- und Oberschichten, die einen Lebensstandard pflegen, wie wir es tun, wir haben aber demgegenüber dort auch noch Millionen Menschen in bitterer Armut. Und diese neuen Konstellationen auch innerhalb der Länder erschweren und komplizieren natürlich den Abschluss, wenn man in den alten Schemata Entwicklungsland/Industrieland denkt. Die hauen so letztlich nicht mehr hin, und man muss dieser veränderten globalen Gesamtlage Rechnung tragen, indem man auch schaut, wer ist wirklich bereit voranzugehen, wo man quer zu den bisherigen Lagern Koalitionen knüpfen und wie kann man auch diese Länder so ins Boot holen, dass der Prozess einer kohlenstoffarmen Wirtschaft für sie ein attraktives Wirtschaftsmodell ist und die erkennen, dass damit mehr gewonnen werden kann, und nicht mehr das Gefühl haben, sie werden in irgendeiner Weise von den Industrienationen über den Tisch gezogen. Wenn man dann natürlich sieht, wie sich Staaten wie Kanada und USA verhalten, trägt das gerade nicht dazu bei, dieses Vertrauen zu stärken, sondern unterminiert natürlich Vertrauen und gibt vielen Entwicklungs- und Schwellenländern wieder den Eindruck, dass die, die viel reden über den Klimaschutz, faktisch aber das Gegenteil tun.

Scholl: Kanada zieht sich aus dem Kyoto-Protokoll zurück. Das war Stefan Krug von Greenpeace Deutschland. Er war in Durban und wir haben ihn dort erreicht. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Krug!

Krug: Sehr gerne.

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