Ein "Chatroom" für Spaß und Selbstmord

Von Martin Burkert · 21.01.2009
In "Chatroom" von Enda Walsh plaudern jugendliche Internetnutzer munter drauf los, bis der selbstmordgefährdete Jim dazu stößt, und die Lage ernst wird. Der Regisseur Oliver Krietsch-Matzura hat eine einfallsreiche und kompakte Neuinszenierung auf die Bühne gebracht.
Der heute 39-jährige irische Autor Enda Walsh hat sein Stück "Chatroom" Ende 2005 in München mit Jugendlichen entwickelt und uraufgeführt. Nächtelang ist er durch Internet-Foren gesurft, um sich inspirieren zu lassen. Seitdem ist sein Stück mehrfach nachinszeniert worden, jetzt für das "Freie Forum Theater" (FFT) Düsseldorf und das "Junge Theater Mülheim an der Ruhr".

"Die verdammten Besserwisser" heißt ein Internet-Forum, in dem sich junge Leute virtuell treffen. Es gibt einen Filter. Nur Kids aus einer Region treffen sich, die etwa im gleichen Alter sind, 15, 16 Jahre. Wie beim Chatten üblich, weiß allerdings keiner, ob die Angaben stimmen. Alles kann "gefaked" sein. Man verrät keine echten Namen, nur "Nicknames", wie es neudeutsch heißt.

Die "Chatter" ziehen zunächst locker her über Britney Spears, Joanne K. Rowling und die spießigen Eltern. In ihren Gesprächen kritisieren sie Filme, die Erwachsenen, selten werden sie persönlich. Die Kommunikation läuft, wie im echten Netz, oft oberflächlich, teilweise aggressiv, meist eher witzig.

Das Geplauder wird existenziell und spannend, als ein depressiver Junge dazu kommt, der sich Jim nennt. Er ist offenkundig selbstmordgefährdet. Jim erzählt, wie sein Vater ihn und die Familie mit sechs Jahren rüde verlassen hat, und dass er immer Außenseiter geblieben ist. Einige "User" sind fasziniert von Jims Todessehnsucht. Sie fordern ihn auf, mit seinem Selbstmord ein Zeichen gegen die verlogene Erwachsenenwelt zu setzen. Jim ist nicht abgeneigt, aber tut er es wirklich?

Regisseur Oliver Krietsch-Matzura und der Bühnenbildnerin Dorothee Curio setzen den virtuellen Raum einfallsreich theatralisch um. Keine Videoeinblendungen, keine Beamerbilder flimmern. Der "Chatroom" ist als Stuhllandschaft aus 30 bis 40 unterschiedlichen Stühlen markiert. Am Rande steht ein angedeutetes Hochhaus, von dem man herunterspringen könnte.

Die Schauspielerinnen und Schauspieler sind alle in weiß gekleidet, der Farbe des Computerbildschirms und der Geisterwelt. Ein paar Träume kommen zum Vorschein. Der Eine trägt ein Prinzessinnen-Diadem, der Zweite modische Kniebundhosen mit knielangen Strümpfen, der Dritte wirkt wie ein Cricket-Spieler.

Die Figuren sprechen aneinander vorbei. Sie sind in Gestik und Haltung deutlich voneinander abgesetzt. Da gibt es einen, der Chef sein will. Mit geradem Rücken ruft er nach geordneten Gesprächsstrukturen. Ein Mädchen präsentiert sich als nervöse Zicke, ein anderes zurückhaltend, hört am liebsten nur zu. Im Spiel werden Augenkontakte vermieden. Die Richtung geht ins Publikum, zu den potenziellen "Mit-Chattern".

Zu Beginn sind die Figuren ganz konsequent stilisiert, nicht naturalistisch gespielt. Leider ist das nicht konsequent durchgehalten. Zum Ende hin stören ein paar Ausbrüche und übertriebene Zickereien. Das ist unpassend für das vorher aufgebaute Ambiente der Scheinwelt.

Von dieser Einschränkung abgesehen, ist es eine kompakte Inszenierung des originellen Stückes. Der "Chatroom" zeigt sich in seiner komischen und ernsten Widersprüchlichkeit. Er bringt neuartige Kommunikationsmöglichkeiten und zugleich die Gefahr einer noch höheren Vereinzelung.

"Chatroom"
Von Enda Walsh
Inszenierung: Oliver Krietsch-Matzura
"Freies Forum Theater" (FFT) Düsseldorf und "Junges Theater an der Ruhr" in Mülheim