Ein Buch wie eine Vinylplatte
Tom M. Wolf erzählt seine Liebesgeschichte nicht linear, sondern eher so, wie sich eine Schallplatte dreht: Der junge Cincy verliebt sich in Vera, die ihn mal will und mal nicht. Das alles spielt sich ab in einer Mischung aus Springsteen-Country, Urlaubsort und kaputten Vierteln.
Man fragt sich, wie zeitgemäß die Form eigentlich ist, die Tom M. Wolf für seinen Debütroman "Sound" gewählt hat. Eine Geschichte so zu erzählen, dass sie sich auch auf einem Plattenteller drehen könnte, ein Buch wie eine Vinylplatte, mit verschiedenen Schriften auf den nach Rillen unterteilten Seiten - all das ist experimentell, avantgardistisch, in der Tradition eines Douglas Coupland ("Generation X") oder eines Mark Z. Danielewski ("House of Leaves") arrangiert: Literatur einem Pop-Impetus untergeordnet. Andererseits: Cut-Up-Literatur und Collagetechnik sind im digitalen Zeitalter nicht gerade der letzte Schrei - und Vinyl ist eher was für Liebhaber, Nostalgiker und Soundfetischisten. Und die Sampletechnik des HipHop, die das Vorbild für Wolf ist, gibt es auch schon seit Ende der siebziger Jahre.
Aber ums Zeitgemäße geht es Wolf gar nicht so sehr, mehr um Klang und Gleichzeitigkeit, darum, dass sich im wirklichen Leben wie in der Literatur nie alles linear abspielt. Insofern ist es nicht immer leicht, seinen Roman zu lesen. Das Auge wird zur Nadel, die sich in die Rillen fräst und Song für Song abspielt. Das Intro: Der junge Cincy, Mitte, Ende zwanzig, kehrt in seine Heimatstadt am Jersey Shore südlich von New York City zurück, weil ihm von der Uni das Promotionsstipendium gestrichen wurde. Er sucht sich, so beginnt das Album, einen Job auf einer Werft in einem Yachthafen und arbeitet hier als Schichtleiter. Der Job ist das eine - das andere ist ein Mädchen, das er kennenlernt und in das er sich verliebt, Vera. Sie will ihn, will ihn nicht, entzieht sich ihm, ist wieder da. Dieser Sommer, das ist für Cincy mal einer der großen Liebe, dann wieder einer der großen Enttäuschungen, inklusive Reibereien mit der Polizei und Streifzügen in Bars und Kneipen am Jersey Shore.
Die Liebesgeschichte ist eher handelsübliche, doch es gelingt Wolf exzellent, die Atmosphäre seines Schauplatzes einzufangen, eine Mischung aus Suburb, Springsteen-Country, Urlaubsort und kaputten Vierteln, aus Verfall, alter Größe und moderner Architektur, "a geographic remix of the shore", wie der 29-jährige, in Asbury Park geborene Autor das in einem Interview genannt hat: "Rechts und links der Küste entlang bauten sich frischgebackene Millionäre ihre Minivillen. Näher zu uns hin rissen Abbruchunternehmen die Überreste von Motels und Hochhäusern ab, die früher dicht gedrängt am Strand gestanden hatten; wo früher ganze Straßenzüge waren, gähnten nun Krater; um die Krater herum Maschendrahtzäune; auf den Maschendrahtzäunen hing die Stadt papierdünn in Aquarellfarbe auf Karton, die Stadt 1890, 1920, 2020; über den Aquarellen neue Gebäude aus Backstein, Stahl und glänzend grünem Glas." Und in der Stadt Cincy und seine Kumpels, die hier mit alten Autos herumfahren, auf Partys und in Plattenläden gehen, sowie Vera und ihre Freundinnen, aus bürgerlichen Verhältnissen genauso wie aus dem White Trash stammend.
Längere Erzählpassagen wechseln sich auf den Seiten immer wieder ab mit Dialogen, Gedanken, Erinnerungsfetzen, Zitaten aus HipHop-Tracks, all das mit Wiederholungen, also geloopt. Die Form stimmt, der Inhalt auch - nur etwas "gehört", "lesend gehört", wie der deutsche Verlag jubiliert - das hat man beim besten Willen nicht. Der Text schmeißt noch immer die Party eines Buches.
Besprochen von Gerrit Bartels
Tom M. Wolf: "Sound”
Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann
Berlin Verlag, Berlin 2012
355 Seiten, 22, 99 Euro
Aber ums Zeitgemäße geht es Wolf gar nicht so sehr, mehr um Klang und Gleichzeitigkeit, darum, dass sich im wirklichen Leben wie in der Literatur nie alles linear abspielt. Insofern ist es nicht immer leicht, seinen Roman zu lesen. Das Auge wird zur Nadel, die sich in die Rillen fräst und Song für Song abspielt. Das Intro: Der junge Cincy, Mitte, Ende zwanzig, kehrt in seine Heimatstadt am Jersey Shore südlich von New York City zurück, weil ihm von der Uni das Promotionsstipendium gestrichen wurde. Er sucht sich, so beginnt das Album, einen Job auf einer Werft in einem Yachthafen und arbeitet hier als Schichtleiter. Der Job ist das eine - das andere ist ein Mädchen, das er kennenlernt und in das er sich verliebt, Vera. Sie will ihn, will ihn nicht, entzieht sich ihm, ist wieder da. Dieser Sommer, das ist für Cincy mal einer der großen Liebe, dann wieder einer der großen Enttäuschungen, inklusive Reibereien mit der Polizei und Streifzügen in Bars und Kneipen am Jersey Shore.
Die Liebesgeschichte ist eher handelsübliche, doch es gelingt Wolf exzellent, die Atmosphäre seines Schauplatzes einzufangen, eine Mischung aus Suburb, Springsteen-Country, Urlaubsort und kaputten Vierteln, aus Verfall, alter Größe und moderner Architektur, "a geographic remix of the shore", wie der 29-jährige, in Asbury Park geborene Autor das in einem Interview genannt hat: "Rechts und links der Küste entlang bauten sich frischgebackene Millionäre ihre Minivillen. Näher zu uns hin rissen Abbruchunternehmen die Überreste von Motels und Hochhäusern ab, die früher dicht gedrängt am Strand gestanden hatten; wo früher ganze Straßenzüge waren, gähnten nun Krater; um die Krater herum Maschendrahtzäune; auf den Maschendrahtzäunen hing die Stadt papierdünn in Aquarellfarbe auf Karton, die Stadt 1890, 1920, 2020; über den Aquarellen neue Gebäude aus Backstein, Stahl und glänzend grünem Glas." Und in der Stadt Cincy und seine Kumpels, die hier mit alten Autos herumfahren, auf Partys und in Plattenläden gehen, sowie Vera und ihre Freundinnen, aus bürgerlichen Verhältnissen genauso wie aus dem White Trash stammend.
Längere Erzählpassagen wechseln sich auf den Seiten immer wieder ab mit Dialogen, Gedanken, Erinnerungsfetzen, Zitaten aus HipHop-Tracks, all das mit Wiederholungen, also geloopt. Die Form stimmt, der Inhalt auch - nur etwas "gehört", "lesend gehört", wie der deutsche Verlag jubiliert - das hat man beim besten Willen nicht. Der Text schmeißt noch immer die Party eines Buches.
Besprochen von Gerrit Bartels
Tom M. Wolf: "Sound”
Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann
Berlin Verlag, Berlin 2012
355 Seiten, 22, 99 Euro