Ein Brasilianer in Perleberg

Von Franziska Ritter · 13.11.2013
Frederico de Oliveira hat einen Traum: Der junge Bariton aus Rio de Janeiro will es auf europäische Opernbühnen schaffen. Ausgerechnet die brandenburgische Provinz soll das Sprungbrett für seine Gesangskarriere werden.
Ein Zug der Ostdeutschen Eisenbahngesellschaft rollt durch Eichenwälder, passiert dann und wann ein verschlafenes Nest. In Perleberg steigt Frederico de Oliveira aus und schlendert über den Marktplatz.

Für die nächsten Wochen ist hier das Zuhause des Brasilianers: ein 12.000-Einwohner-Städtchen im nordwestlichen Zipfel Brandenburgs:

"Ich mag es hier sehr. Es gibt einen Park am Ufer des Flusses, die Stadt ist sehr ruhig und friedlich. Nachts ist niemand auf den Straßen unterwegs."

In die ländliche Stille hinein lässt de Oliveira sein Skateboard aufs Pflaster knallen. Wer ihn so durch die Perleberger Straßen rollen sieht, könnte den 33-Jährigen für einen Basketballspieler halten: knapp zwei Meter groß, breite Schultern, dunkle Haut. Nichts lässt auf den ersten Blick ahnen, dass es die Liebe zur klassischen Musik war, die den jungen Brasilianer nach Perleberg geführt hat. Das Einzige, was de Oliveira über das Städtchen wusste: Hier wurde Lotte Lehmann geboren, die berühmte Sopranistin.

De Oliveira absolviert in Perleberg die Lotte-Lehmann-Akademie, die Talente aus aller Welt auf eine Karriere an der Oper vorbereiten soll. Drei Wochen lang nimmt er Gesangsunterricht, paukt Deutsch und feilt an seiner Darstellung. Wenn er den Mephisto singt, lässt er auch mal den Teufel raus.

Am Klavier sitzt Klaus Sallmann, sein Gesangslehrer. Er hält große Stücke auf den Bariton:

"Es ist noch nicht mal die Stimme, die auch toll ist, sondern es ist der Mensch und die Persönlichkeit und seine Art, direkt die Figur zu verkörpern. Man hört das ja sofort, er ist Mephisto, er liebt es, der Teufel zu sein, er liebt es, schaurig zu lachen, er liebt es, zu charakterisieren. Wenn man’s ganz pathetisch sagen wollte: Er trifft sofort ins Herz des Zuschauers."

Die großen Gefühle, sie haben den Brasilianer zur Oper gebracht. Vor ein paar Wochen noch stand er in Rio de Janeiro auf der Bühne, wo ich ihn besucht habe. Er probte seinen Part bei "Carmen" ‒ für ihn eine ganz besondere Oper:

"Carmen handelt von Liebe, Tradition und Eifersucht ‒ meine Lieblingsoper, wegen ihr habe ich begonnen zu singen. Als ich ,Carmen’ zum ersten Mal sah, dachte ich: Oh mein Gott, das will ich auch machen. Es hat mich sofort gepackt."

De Oliveira war 19, als er die Oper "Carmen" im Fernsehen sah. Er lebte damals noch in der brasilianischen Provinz, studierte Biologie. Als er wenig später zum ersten Mal ein klassisches Konzert erlebte, da war es um ihn geschehen: Er verschrieb sich voll und ganz der Musik.

De Oliveira probt seinen Auftritt als der Torrero. Er kennt die Bühne gut; hier, in der Musikhochschule von Rio, hat er bis vor kurzem noch Gesang studiert.

De Oliveira ist einer der wenigen Profis bei dieser Aufführung; der Chor besteht aus Laiensängern. Für seinen Auftritt bekommt er gerade mal ein Taschengeld, die Opernkunst hat in Brasilien keine Tradition.

"Das Problem: Als junger Sänger hat man es hier schwer, Fuß zu fassen; in den Theatern singen meist die gleichen Leute. Da es nur wenige Produktionen gibt, haben sie nur eine Besetzung ‒ das macht es noch schwerer."

De Oliveira hat also Rio den Rücken gekehrt und die Megacity gegen Perleberg eingetauscht. Er versucht sich hier einzuleben, im Lokal um die Ecke kennt man ihn schon. Im Imbiss von Petra Unterberg lernt de Oliveira deutsche Küche kennen: "Brot und Wurst."

Es gibt Bohneneintopf, aber so weit reicht de Oliveiras Wortschatz noch nicht. Seine Opernsprache klingt dagegen erstaunlich perfekt:

"O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn." Gemeinsam: "Voller Hooohn."

Die offenen Vokale, das deutsche L, das H: All das strengt de Oliveira an. Wenn er sich zwischendurch vom harten Akademieprogramm erholen will, dann dreht er Musik von Elis Regina auf. Ein Stück alte Heimat.

Die Brasilianerin singt von der Hoffnung, die eine Seiltänzerin ist; mit jedem Schritt kann sie in die Tiefe stürzen. Immer hoffen, immer balancieren, so fühlt er sich gut getroffen, der skateboardfahrende Bariton aus Rio. Nach dem Lotte-Lehmann-Kurs will er sein Glück in Stuttgart versuchen:

"Trotz aller Schwierigkeiten, die wir in der Musik oder am Theater haben, brauchen wir Geduld. Wir dürfen nicht anhalten, sondern müssen unseren Träumen folgen."