Ein Blick über die Grenzen

Von Frank Meyer · 15.03.2013
Auf der Buchmesse Leipzig gab es dieses Jahr wieder viel Raum für die internationale Literatur. Vor allem für ein Land, das zum ersten Mal offiziell in Leipzig vertreten war: die Türkei. "Füllhorn Türkei", so hieß eine Veranstaltung zur türkischen Literatur, die in Deutschland mehr Leser finden soll.
Was wir alles tun! Wir unterstützen Verleger, die türkische Bücher in andere Sprachen bringen, wir zahlen Stipendien für Übersetzer, wir haben Übersetzer-Workshops eingerichtet! Onur Bilge Kula preist auf der Buchmesse die türkische Übersetzungsförderung, er ist im Kulturministerium in Ankara zuständig für Publikationen und Kulturaustausch.

Seiner Preisrede kommt die türkische Wirklichkeit in die Quere, beim Thema - türkische Kulturinstitute im Ausland:

"Wird man die kritischen türkischen Filme da zeigen, wird man die kritischen türkischen Autoren dort vorstellen können, wird man demokratisch sein? Das ist das Problem! Mamma Donna."

Sezer Duru, eine sehr temperamentvolle Übersetzerin aus Istanbul. Sie meint: ohne demokratische Kultur, ohne Meinungsfreiheit in der Türkei bleibt es schwierig, die Bücher aus dem Land international bekannt zu machen.

An der Seite von Sezer Duru saß Michael Krüger vom Hanser Verlag, der unter anderem die Romane des türkischen Literaturnobelpreisträgers Orhan Pamuk verlegt. Er sieht ein noch viel grundsätzlicheres Problem: Es gebe im Moment sehr viele, zu viele Literaturen, die über den deutschen Markt bekannt werden wollen.

"Warum? Weil die gesamte angelsächsische Literatur, die eigentlich das Sprungbrett ist, weil jeder Englisch sprechen kann, fällt mehr oder weniger aus. Es gibt kaum einen englischen, kaum einen amerikanischen Verlag, der sich für diese Literatur auch nur interessiert."

Keine guten Aussichten also, auch für die Verleger aus Kroatien, Albanien und Ungarn, die heute auf der Messe ihre Programme vorgestellt haben.

Da will die Kurt-Wolff-Stiftung Mut machen. Sie vergibt auf der Buchmesse jedes Jahr zwei Preise an herausragende unabhängige Verlage. An diesem Freitagnachmittag hat die Stiftung einen Newcomer ausgezeichnet, einen sehr jungen Berliner Verlag, der erst seit einem Jahr zeitgenössische Literatur aus der Türkei nach Deutschland bringt.

"Auf der Titelseite des Verlagsprogramms stand mit großen Lettern geschrieben: Achtung! Klischeefreie Zone! - und im Innern machten die Verlegerinnen klar, dass ihnen Klischees über die Döner-Türken zu blöd seien." Unter anderem so hat die Laudatorin - die Schriftstellerin Maja Haderlap - die Vergabe des Kurt-Wolff-Förderpreises an den Binooki-Verlag begründet.

Hatten die Deutschen bisher kein Interesse an Büchern aus der Türkei? Leider nicht, sagt Selma Wels, eine der beiden Binooki-Verlegerinnen:

"Der Grund, warum wir Binooki gegründet haben war, auch der, dass wir so lange darauf gewartet haben, dass türkische Literatur auf Deutsch veröffentlicht wird. Es gab immer wieder Verlage, die vereinzelt türkische Literatur auf Deutsch herausgebracht haben, aber kein Verlag so konzentriert wie wir das tun."

Selma Wels war in Eile, denn gleich nach dem Kurt-Wolff-Förderpreis gab es auch noch den "Buchmarkt-Award" für den jungen Binooki-Verlag. Zumindest die Verlagsszene scheint diese deutsch-türkische Verlagsidee geradezu herbeigesehnt zu haben.

Den Hauptpreis hat die Kurt-Wolff-Stiftung an den Wallstein-Verlag aus Göttingen vergeben, als Anerkennung für die mutige Mischung, die dieser Verlag hinbekommt: sorgfältige Editionen zur Literatur seit dem 18. Jahrhundert plus wissenschaftliche Bücher plus deutschsprachige Gegenwartsliteratur.

Der Wallstein-Verleger, Thedel von Wallmoden, hat schon sehr konkrete Pläne, wofür er das Preisgeld - 26.000 Euro - ausgeben wird.

"Wir bereiten Projekte vor wie den Briefwechsel zwischen Hedwig Pringsheim und ihrer Tochter Katja Mann. Die Manns - schon im Schweizer Exil - Hedwig Pringsheim von München aus an die Tochter schreibend, wie sich die Verhältnisse dort verändern nach der Machtergreifung 33.

Es ist ein Geheimbriefwechsel, weil Hedwig Pringsheim die Botschaften an ihre Tochter verschlüsselt in ihren Briefen. Zwei Bände, fast 1700 Seiten, Sie können sich vorstellen, dass solche Dinge sehr schwer zu finanzieren sind, und da freuen wir uns besonders, wenn uns dieser bedeutende Scheck ein bisschen unter die Arme greift."

Thedel von Wallmoden kann abendfüllend schwärmen von diesem "Geheimbriefwechsel", Ende April sollen die beiden Bände erscheinen.
Ist die Gutenberg-Galaxis - trotz der vielen neuen Bücher - am Ende, killt das Digitale das Papier? Das Thema lässt die Messe nicht los. Was sagen eigentlich die Autoren, wie wollen Sie ihre Texte gelesen sehen, im Papierbuch, im E-Reader oder Online? Stichprobe bei Lisa Kränzler, 30 Jahre alt, mit ihrem Roman "Nachhinein" nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse.

"Also meine Präferenz ist das Buch, das ganz altmodische Buch mit zwei Deckeln und mit einer schönen Schriftart und mit einem Cover hoffentlich aber vorschreiben will ich das nicht!"

"Hah! Jetzt sag nichts Falsches! Also im Prinzip ist es mir egal. Aber eigentlich finde ich Papierbücher doch erotisch! Aber - meine Güte! Wenn meine Bücher auf Kaugummipapier gedruckt werden, sollen die Leute es auf Kaugummipapier lesen!"

Beherzter Opportunismus bei Hannes Stein, einem in die USA ausgewanderten Österreicher, in Leipzig stellt er seinen ersten Roman "Der Komet" vor.

Einen ganz besonderen Versöhnungsversuch zwischen der Papierwelt und der digitalen Kultur gab es beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels, bei einem Vortrag zur Frage "Überlebt Gutenberg das Internetzeitalter?" Das Versöhnungsangebot: Im Prinzip war schon Franz Kafka ein "digital native"!

"Er hat in einem Aufsatz geträumt von einer 'Unmittelbar-Korrespondenz', das heißt, einem Apparat, derartig konstruiert, dass man nur auf einen Knopf drücken musste und sofort erschien auf dem Papierband die Antwort.

Letztendlich ist das so etwas wie SMS oder Twitter, Instant-Messaging.
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