Ein blaues Tuch als roter Faden

Von Stefan Keim |
"R & J" steht für "Romeo und Julia". Das "This Bridge Theatre" aus Arizona bringt beim Shakespeare Festival in Neuss eine moderne und zugleich altertümliche Fassung des Klassikers für Jugendliche auf die Bühne. Wie bei Shakespeare werden sämtliche Rollen - auch die der Julia - von Männern verkörpert. Ein blaues Tuch dient als universales Requisit.
"Amo, amas, amat" – Ich liebe, du liebst, er, sie, es liebt. Vier junge Männer in Hemden, Krawatten und Anzughosen deklamieren und deklinieren Latein. Wenn eine Trillerpfeife ertönt, stehen sie auf und setzen sich in eine andere Position auf den vier Hockern, die das ganze Bühnenbild darstellen. Das "This Bridge Theatre" aus Phoenix, Arizona, zeigt Shakespeares "Romeo und Julia" in einer Fassung des New Yorker Dramatikers Joe Calarco beim Shakespeare-Festival im Neusser Globe Theater. Die vier brauchen keine Hilfsmittel, um die bekannte Geschichte packend zu erzählen.

Wie im "Club der toten Dichter" bringt die Literatur Befreiung. Zumindest bis die Glocke wieder schellt und der Schulalltag zurückkehrt. Die jungen Leute verschmelzen mit ihren Rollen, träumen sich in eine Welt der Abenteuer und Romantik hinein. Und bleiben doch sie selbst, nur die Krawatten fliegen kurz vor der Pause in die Ecke. Ein blaues Tuch ist das einzige Hilfsmittel, um sich in Amme und Mutter Capulet zu verwandeln. Und natürlich in Julia.

Wie bei Shakespeare gibt es keine Frauen auf der Bühne. Doch hier geht es nicht um eine Auseinandersetzung mit historischen Spielweisen. Joe Calarco holt mit wenigen Eingriffen – fast alle Texte sind original von Shakespeare – die Geschichte auf ein für jugendliche Zuschauer leicht nachvollziehbares Level. Das Globe Theater – ein Nachbau der Bühne der Shakespeare-Zeit – ist an diesem Abend rappelvoll mit Schülern, die begeistert johlen und jubeln. Schließlich ist "Shakespeare´s R & J", wie das Stück hier heißt, demnächst Abiturstoff.

Das mindert nicht die Leistungen der Schauspieler, im Gegenteil. Sie wissen genau, wie viel Komik sie sich leisten dürfen, um die Liebesgeschichte nicht zu beschädigen. Niemals denunzieren sie die Gefühle von Romeo und Julia wegen eines Gags, nach der Pause erspielen sie die tragische Dimension. Es ist völlig natürlich geworden, Männer anzusehen, die sich küssen und Frauen verkörpern. Die hohlen Pathostöne, mit denen viele internationale Shakespeare-Produktionen der letzten Jahre nervten – zum Beispiel das fast namensgleiche Bridge Theatre von Sam Mendes bei den Ruhrfestspielen – fehlen hier völlig. Das Ensemble aus Phoenix, Arizona bleibt stets authentisch.

Die 24-jährige Regisseurin Melissa Scher beweist große handwerkliche Sicherheit und szenische Fantasie. Das blaue Tuch ist Schmuck, Zügel von Pferden und schließlich das Gift, das Romeo am Grab der scheinbar toten Geliebten trinkt. Die Hocker werden immer neu zusammengestellt und verwandeln ständig ihren Charakter. Die bescheidenen Mittel setzt Melissa Scher enorm effektiv ein. Im Kern erzählen die Schauspieler alles mit Stimme und Körper, den ureigenen Mitteln, was in das ohnehin kein aufwändiges Bühnenbild zulassende Globe Theater perfekt passt. Von den vieren und ihrer begabten Regisseurin will man gern mehr sehen.

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Weitere Aufführung: 18. Juni, jeweils 15 und 20 Uhr beim Shakespeare-Festival in Neuss.