"Ein bisschen unheimlich"

Alexander Kluge im Gespräch mit Susanne Führer · 25.09.2012
In seinem neuen Film widmet sich Alexander Kluge künstlicher Intelligenz und Robotern mit menschlichem Antlitz. Doch so fazinierend der technische Fortschritt auch sein mag: Eines - so sagt der 80-jährige Filmemacher und Produzent - wird der Mensch niemals der Technik ausliefern - seine Würde.
Susanne Führer: "Mensch 2.0 – die Evolution in unserer Hand", so heißt der neue Film von Alexander Kluge, den er gemeinsam mit Basil Gelpe gemacht hat. Er kommt am Donnerstag in die Kinos. "Mensch 2.0" erzählt von den Forschungen und, wenn man so will, den Fortschritten auf den Gebieten der Robotik und der künstlichen Intelligenz. Wir sehen viele kluge Menschen und fast so kluge Roboter, die von diesen Menschen entwickelt wurden. Einer der zentralen Sätze des Films kommt von dem Informatiker Takashi Ikegami aus Tokio, er sagt: "Die Definition eines Menschen ändert sich fortlaufend." Ich habe Alexander Kluge gefragt, ob er dem zustimmen kann.

Alexander Kluge: Also ich bin überzeugt, dass sich Menschen dauernd ändern. Es bleibt aber auch sehr vieles gleich. Sie sehen in dem Film zum Beispiel Helge Schneider, den Charakterdarsteller, in einer deutschen Uniform an dem Tag, an dem die Amerikaner in der Normandie landeten 1944, also im Artilleriefeuer, und er trägt 60 rohe Eier durch das Feuer. Und dadurch kommt man auf die Idee, die Knochen, die er auch mit sich trägt, sind eigentlich noch empfindlicher als rohe Eier. Und diese Empfindlichkeit des Menschen, die macht ihn intelligent. Das ist eine Seite, und die ist überhaupt nicht robotisch und lässt sich durch keine technische Entwicklung überwinden. Das heißt, wir versuchen in dem Film so eine Art Dialog zwischen dem Selbstbewusstsein, das wir haben können, weil unsere menschlichen Gefühle und Intelligenzen so alt sind und auch bewährt sind und viel Glück hatten. Dadurch haben sie überlebt. Und auf der anderen Seite kann man dann Respekt entwickeln, weil man selbstbewusst ist als Mensch gegenüber dem, was Computer können.

Führer: Ich habe seit einigen Jahren auf meinem Schreibtisch eine Karte stehen, auf der steht dieser schöne Satz von Joseph Beuys: "Ich denke sowieso mit dem Knie." Das fand ich bisher immer ganz lustig. Durch Ihren Film, Herr Kluge, hat dieser Satz für mich jetzt eine ganz neue Bedeutung bekommen, weil nämlich ein Schweizer Professor für künstliche Intelligenz, also Rolf Pfeifer, ganz plausibel erläutert, dass unsere Intelligenz nicht nur im Gehirn sitzt, sondern auch im Körper.

Kluge: Das ist doch wahr, nicht?! Die steckt in den Zellen, die 500 Millionen Jahre Erfahrung in sich haben. Die steckt in den Knochen, buchstäblich. Und wenn zum Beispiel deutsche Soldaten nach Stalingrad marschieren, marschiert das Knie immer einen Schritt zurück und einen vorwärts. Die wollen da gar nicht erst hin. Die wollen eigentlich nicht sterben. Das ist die menschliche Seite.

Führer: Aber dieser Satz bekommt dann ja noch eine neue Tragweite durch einen Versuch, der da auch gezeigt wird. Ein amerikanischer Forscher hat sich nämlich in seinen Arm einen Chip implantieren lassen und dann die Elektroden mit seinen Nervenbahnen verbinden lassen, und dann konnte er also nur über seine Handbewegung einen Roboter, eine Roboterhand, die kilometerweit entfernt war, steuern. Und auch von diesem Roboter konnte seine Hand dann wiederum Signale empfangen.

Kluge: Und dieser Mann, den ich auch sehr sympathisch finde und der so brutale australische Redeweise hat, der gibt eigentlich eine Metapher, nämlich: Der menschliche Körper ist ein Kunstwerk. Und deswegen, wenn er sich selbst zur Skulptur macht, dann deutet er diese Metapher an. Was wir in dem Film versuchen, ist, brauchbare Beispiele, Metaphern zu bilden für die Gegensätze, mit denen wir umgehen, wenn wir von Intelligenz handeln. Und da ist eben so eine körperliche Intelligenz, dass sozusagen man Interfaces bauen kann zwischen Mensch und Maschine, finde ich schon – das würde einen Alchimisten im Mittelalter entzückt haben. Das ist eigentlich Gold machen, aber mit Menschen.

Führer: Alexander Kluge im Deutschlandradio Kultur, sein neuer Film "Mensch 2.0" kommt in dieser Woche in die Kinos. Herr Kluge, Sie sprechen von Metapher. Da denkt man, gut, das ist noch nicht real, aber Ihr Film legt ja wirklich nahe, dass wir uns auf diesen Menschen 2.0 zu bewegen. Also Mensch 2.0 analog zu Web 2.0 klingt ja erst mal ein bisschen komisch – der Mensch war ja schon immer interaktiv und sozial, aber jetzt wird ja offenbar gearbeitet an einer Symbiose geradezu aus Mensch und Roboter.

Kluge: Und nehmen Sie mal jetzt hier – Sie nannten das Internet, das Netz. Das hätte doch mein Vater oder mein Großvater sich überhaupt nicht vorstellen können, wie viele Menschen da miteinander zusammenkommen und partizipieren. Das tun sie als Menschen und mithilfe eines hoch digitalisierten Netzes. Also diese Symbiose existiert längst, und sie ist nicht feindlich. Und je mehr wir diese Dinge, die intelligent sind, also die künstliche Intelligenz respektieren, je mehr wird die uns respektieren.

Führer: Ich glaube nicht, dass es schon wirklich eine Symbiose gibt zwischen Mensch und Maschine.

Kluge: Nun ja, also wenn ich auf meine Kinder gucke, wie die sehr freiherzig da kommunizieren mit diesen digitalen Möglichkeiten, dann ist das immer eine Beziehung zwischen Menschen, das ist wahr. Da haben Sie recht. Aber gleichzeitig ist es ein neues Glied, ein neues Netz, ein neuer Nerv zwischengeschaltet. Das heißt, eigentlich sind menschliche Beziehungen und Kommunikation dadurch reicher geworden.

Führer: Aber Ihre Kinder kommunizieren wahrscheinlich ja noch nicht, wie in dem Film vielfach zu sehen, mit diesen Androiden, also mit diesen menschenähnlichen Robotern, die wirklich auch Menschengesichter haben, und die sprechen, die auch auf kluge Fragen antworten können. Und einer der Forscher träumt ja sogar davon, wie er so schön sagt, die Informationen eines Menschen in einen Computer einzubringen, und er hofft dadurch, den Tod zu besiegen. Also er hat da so einen Frauentorso gebaut nach einer offenbar verstorbenen Freundin, nennt sie Bina 48, man sieht ein Foto von der Frau und diesen Frauentorso und der Kopf, und die Frau sagt ganz kluge Dinge. Also die Frau, sage ich schon – der Roboter.

Kluge: Ja, und ein ganz klein bisschen übertreibt es dieser Erfinder. So ähnlich wie Doktor Faust bei Goethe ja auch übertreibt. Also eine leichte Verrücktheit ist darin, während umgekehrt – also, dass diese Roboter untereinander gesellig sind, kommunizieren können, reden können, sie können auch neuerdings Musik machen, das hat etwas auch, was mich auch bezaubert. Es ist nur – es sieht nicht aus wie ein menschliches Gesicht oder wie ein Baby oder ein Hund. Wir haben mal studiert, dass in Fukushima die einzigen, wenn Sie so wollen, Gesandten des Menschengeschlechts, die wirklich ran konnten an die Reparatur dieser Unglücksstätte, das waren Roboter. Winzige Roboter, die waren sozusagen unsere Gesandten. Und wenn wir irgendetwas mal auf einen fremden Planeten schicken würden, einen extrasolaren Planeten, um zu erkunden, ob dort Lebensmöglichkeiten sind, dann werden das auch sehr flexible Roboter sein. Und das sind Gesandte unseres Geistes.

Führer: Na ja, solche Roboter gab es ja schon auf anderen Planeten, aber die Entwicklung scheint ja weiterzugehen. Wenn wir das Beispiel nehmen aus dem Film: Das sind ja bisher wirklich nur Maschinen, nur mit Chips ausgestattet, die dann von Menschen gelenkt, gesteuert werden. Aber in dem Film sehen wir schon Roboter, die mit Hirnzellen von Ratten betrieben werden. Und diese Hirnzellen, eingepflanzt in den Roboter, sind lernfähig.

Kluge: Da fängt die Stelle an, wo es mir auch ein bisschen unheimlich ist …

Führer: Da bin ich froh, dass Sie das sagen, Herr Kluge!

Kluge: Nein, nein – da suche ich nach Ankern, ja. Nach Ankern, weil sie einfach zu schwach sind als Menschen, sie sind zu verletzbar. Also wir sollten mit unseren Träumen vorsichtig sein. Und die Anker, die haben wir aber in uns, die tragen wir lebenslänglich in uns und die sind jedem Computer letztlich überlegen. Zum Beispiel die Glückssuche, die in einem Menschen steckt, sein natürlicher Instinkt. Das, was in einem Volleyballspieler den Blick lenkt. Der Volleyballspieler, der ist kein wissenschaftliches Instrument, der ist das Gegenteil eines Roboters. Aber er hat in seinem Blick den Ball im Kopf, rennt auf den zu und fängt ihn durch Vereinfachung, durch einen ganz robusten Kontakt, der alles Übrige weg lässt. Ich schildere Ihnen mal, was ein Roboter täte. Also erstens fragt er, was ist ein Ball überhaupt, wie unterscheidet der sich von Hunden? Dann: fliegt der oder fliegt der nicht? Dann kommen seine Zweifel, ob es regnet oder schneit. Und so weiter, der würde also mit seiner Allwissenheit überhaupt nichts tun. Der würde keinen Ball fangen.

Führer: Noch. Wer weiß, wie es weitergeht. Denn zum Ende des Films hin, Sie haben gerade gesprochen von den Ankern und von unseren Träumen und der Glückssuche. Da scheinen aber dann verdammt viele Forscher, Männer, von der Unsterblichkeit zu träumen. Da kommt einer nach dem anderen, und einer sagt ja sogar so schön: Altern ist nichts Natürliches.

Kluge: Ja. Das ist ja ein Dialog in diesem Film. Das ist der eine Standpunkt. Und wenn Sie jetzt den Enzensberger nehmen, den Dichter, der ist jetzt mein Standpunkt, und der sagt: Fünf Sinne mögen wir von der Natur mitbekommen haben, aber eigentlich haben wir bereits und gebrauchen 24. Die sind alle sterblich. Und Serres, der französische Philosoph, der sagt am Ende: Und wir leben in einem Labyrinth. Und das Labyrinth muss man sich nicht vorstellen, dass man es von oben sehen kann. Sondern das geht ganz tief in den Untergrund. Und unten ist es dunkel und unheimlich. Und deswegen hat Pegasus, der Erfinder des Labyrinths, das Fliegen gelernt. Und dieses Fliegen ist der Ariadnefaden. Das finde ich einen sehr stolzen und selbstbewussten Gegenstandpunkt zu den Fantasien der Wissenschaftler.

Führer: Wenn ich es etwas altmodisch formulieren darf, dann beharren Sie sozusagen auf der Würde des Menschen gegenüber dem Computer?

Kluge: Das ist ganz richtig. Das, was man nicht verkaufen kann und nicht weggeben kann, das ist die Würde, ja. Und die ist sehr alt, und die ist ein Menschenrecht. Und wir sind viel zu kompliziert, um die jemand anders auszuliefern. Auch nicht der Technik.

Führer: Sagt Alexander Kluge. Ab Donnerstag läuft sein Film "Mensch 2.0 – Die Evolution in unserer Hand", den er gemeinsam mit Basil Gelpke gemacht hat, in den Kinos an. Ich danke für das Gespräch, Herr Kluge!

Kluge: Danke!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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